Inhaltsverzeichnis

Das Dorf in der Grünen Aue

Vorwort

Meine Schrift möchte sich mit diesem einen Dorfe Gronau beschäftigen. Die Nachbargemeinden Zell, Schönberg, Wilms- und Elmshausen werden nur da einbezogen, wo es notwendig ist. Mein Versuch soll dem Leser möglichst viele der überlieferten Details zugänglich machen und sie in einen lesbaren Zusammenhang bringen. Dabei habe ich mich bemüht, das Gesicherte und Belegbare von unvermeidbaren Annahmen und Vermutungen erkennbar zu trennen. Die absichtlich in großer Zahl beigefügten Bilder mögen zur Veranschaulichung beitragen.

Der Inhalt der Arbeit wurde keinem strengen Schema unterworfen. Ich möchte vielmehr je nach Quellenlage mit den Lesern zwanglos durch die Vergangenheit des Dorfes wandern. Hierbei bilden die einzelnen Kapitel Schwerpunkte, die bald die Örtlichkeit und die Fluren, bald die Menschen und ihr Alltagsleben, bald auch historische Begebenheiten und die Entwicklung des Gemeinwesens zum Inhalt haben. Dabei läßt sich nicht umgehen, daß wir im zeitlichen Ablauf gelegentlich zurückgreifen oder auch vorausschauen. Ferner wollte ich auf die häufig schwer verständlichen Zitate nicht verzichten. Gerade sie bringen uns die Atmosphäre vergangener Zeiten näher. Hoffentlich helfen bei der Lektüre solcher Stellen die in Klammern eingefügten hochdeutschen Übersetzungen zum besseren Verständnis. Wenn Zitate nicht genauer bezeichnet sind, handelt es sich in der Regel um solche aus den alten Quellen (Kirchenbücher, Kompetenzbüchlein etc.).

Daß die Schrift keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, ergibt sich aus der Art des Stoffes.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Beginn einer ganz andersartigen Zeit findet unsere Wanderung durch Gronaus Vergangenheit ihren Abschluß. Inhaltlich wird der Einheimische neben Vertrautem auch mancherlei Überraschungen und auch Aufklärung über mündliche Überlieferungen finden. Auswärtige interessierte Leser bemerken vielleicht Einzelheiten, die gerade in den heutigen, immer stärker am Alltag der Vergangenheit orientierten Betrachtungsweise von Interesse sind.

Noch einige Worte zu den verarbeiteten Quellen:

Unersetzlich waren die „Kompetenzbüchlein“ der Pfarrer (im Text erläutert), besonders das älteste des Pfarrers Martin Knapp von 1503, ferner das älteste Kirchenbuch, beginnend 1551. Daneben fanden zahlreiche z.T. verstreute oder auch unzugängliche Urkunden, Berichte, Mitteilungen und Zeitungsartikel, vor allem auch Hinweise aus den Geschichtsblättern des Kreises Berstraße Verwendung. Besonders sind die Beiträge von Rudolf Kunz, Jugenheim, hervorzuheben, die an den verschiedensten Orten veröffentlicht wurden. Ihm sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Abschließend möchte ich Herrn Pfarrer Hans Pohl für seine Bereitschaft, mir die Quellen des Gronauer Pfarrarchivs zugängig zu machen, ebenso danken wie für seine umfassende Hilfe, für Rat und Tat.

Eberhard Kühner

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Gronau im Laufe der Jahrhunderte

1. Die Lage

„... Gronau liegt eingebettet in das mitteldeutsche Hügelland (...) Fruchtbar und heiter. Unglaublich heiter. Manchmal werde ich an die Hügel um Florenz erinnert, wenn man eins der vielen Schlangenwegchen verfolgend, jetzt einen Weinberg in die Höhe steigt, jetzt unter Walnußbäumen geht und froh sieht, wievieles derselbe Boden trägt. Unten Getreideland und mitten im Getreide Obstbäume. Und die Blumenwiesen, das ist rein zum Lachen. — So geht es immer auf und ab. Nach Westen zu sieht man die Rheinebene, ganz im Dunst die Wormser Kathedrale, hügelauf die Odenwaldhöhen mit den köstlichen Wäldern. ...“

So empfand die große Graphikerin Käthe Kollwitz (1) die Landschaft des Gronauer Tales. Es ist ein Kessel, im Osten und im Süden ganz von bewaldeten Bergen umschlossen, während die nördlichen Hügel Wein, Obst und Ackerland tragen. Die Verbindung zu den Nachbargemeinden bestand in der Vergangenheit nur aus Pfaden oder wenig ausgebauten Feldwegen, die teilweise noch bestehen oder erkennbar sind: Nach Ober- oder Unterhambach, nach Wilmshausen und Schönberg führten sie und waren sicher sehr stark benutzt. Knoden wurde über den „Knodener Höhenweg“ oder einen der Waldwege erreicht, sonst wurde der steile und steinige „Friedhofsweg“ durch die finstere „Schliefenbach“ nach Schannenbach im Osten benutzt. Nur nach Westen gelangte man auf einer Straße abwärts durch die Engstelle bei der „Strieth“ oder „Struth“ zur Zeller Au und weiter durch das enge Zeller Tal nach Bensheim, in die Stadt und zum Markt.

„Grunowe“ und „Grunawe“ heißt das Dorf in den alten Quellen. Das war die Grüne Aue, an die heute nur noch der Name der Gastwirtschaft „Auf der Au“ erinnert. Die „Au“ war eine Folgeerscheinung des „Meerbaches“, hierzulande nur „die Bach“ genannt. der in alten Zeiten den ganzen Talgrund in eine feuchte Wiesenlandschaft verwandelte. Sprachgeschichtlich bedeutet ja „Meer“ auch Sumpf. Nach mündlicher Mitteilung soll in vorgeschichtlicher Zeit das westliche Talende oberhalb der Enge bei der „Dingeldeins-Mühle“ ein See gewesen sein. (2) Auf der entgegengesetzten Seite, im Osten, hieß noch 1715 das Gelände im Bereich des heutigen Oberdorfes und des „Mühlkandel“ die „obere Au“: „...Auf der obersten Au, wo der Mühlgraben durch gehet.“ (3) Der Bach entspringt auf den östlichen Höhen im Schannenbacher Moor. Er wird weiterhin durch eine Reihe von Bächlein oder „Klingen“ aus den benachbarten bewaldeten Hängen gespeist. Der Boden im Gronauer Tal wäre kaum fruchtbar zu nennen, denn das anstehende kristalline Gestein liefert eher nährstoffarme, trockene Böden, die besonders auf den „Buckeln“ zutage treten, wenn nicht die fruchtbaren Lößablagerungen der Eiszeit große und teilweise viele Meter starke Schichten bildeten. Sie haben wohl schon sehr früh ihre Anziehungskraft auf landsuchende Menschen ausgeübt. (4) Zusammen mit dem milden Klima und der Sonneneinstrahlung auf die Hänge im Norden, die den Weinbau noch recht hoch oben lohnend machte, sind jene Landschaftsmerkmale möglich geworden, die Käthe Kollwitz zu ihrer Begeisterung hinrissen.

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2. Geschichtliche Anfänge

Die ältesten Hinweise auf menschliche Besiedlung liefern Funde aus der Jungsteinzeit. (5) Es handelt sich um fünf Steinbeile, die um die letzte Jahrhundertwende im „Zeller Tal“ zu Gronau gefunden wurden. Leider fehlen alle Angaben über die Fundumstände. Von den Objekten befinden sich zwei im Landesmuseum zu Mainz, zwei weitere in Ostberlin. Das fünfte Beil ist verschwunden. Immerhin ist damit der Aufenthalt von Steinzeitleuten im Gronauer Tal belegt. Vielleicht sind auch die beiden eiszeitlichen Knochen, ein Mammut-Wirbel und ein Rinder-Atlas, ebenfalls unter unbekannten Umständen im Gronauer Tal gefunden, Reste ihrer Tätigkeit als Jäger.

Einen Hinweis auf spätere menschliche Besiedlung entnehmen wir der Beschreibung eines Grenzumganges um die Gronauer Flur von etwa 1586 (6) , wo am „alten Kesselberg“ (heute Saubacher Berg) ein „Hinkelstein“ als Orientierungspunkt genannt wird. Er kann im Zusammenhang mit der Anwesenheit der Kelten im Odenwald gesehen werden, ist aber heute verschwunden.

Neben diesen spärlichen Quellen lassen sich vielleicht auch über einige Flurnamen (7) Rückschlüsse auf heidnische Zeiten ziehen: Die Gepflogenheit in Zeiten der Christianisierung, alten heidnischen Orten oder Heiligtümern christliche Namen oder Attribute zuzuordnen, könnte in der Gronauer Flur beim „Petersberg“, beim „Heiligenberg“, in der „Petersstrieth“ (früher auch „Deufelsstrieth“) auf eine Besiedlung zu heidnischer Zeit hinweisen.

All diese kleinen Lichtstreifen im Dunkel der Vergangenheit können nur darauf hindeuten, daß das fisch- und waldreiche Tal sicher die Menschen Vorgeschichtlicher Zeit angezogen hat.

Die bislang älteste Erwähnung unseres Dorfes in geschichtlicher Zeit entnehmen wir dem „Lorscher Codex“, der berühmten Urkundensammlung des alten Reichsklosters (8). Da heißt es einmal: „Gerolt von Grunowen 1 (Pfennig) Zins vom Hemingisberg (Hemsberg)“ und zum anderen: „Gerolt von Grunowen von einem Weinberg 12 Käse (Zins)“. — Das ist nicht gerade überwältigend viel, zumal keine Daten vorliegen. Wir erfahren aber immerhin, daß Gronau nach vorsichtiger Schätzung (9) ab ca. 1150 bis 1200 als Ansiedlung, wohl als Fronhof, bestanden hat. Die Vorfahren der späteren Landesherren waren Dienstmannen des Klosters. Ihr ältester Vertreter hieß Eberhard von Erbach (10) und könnte schon Dienstherr des erwähnten Gerolt gewesen sein. Seinerseits war er wahrscheinlich Untervogt des Klosters unter einem jener Obervögte, aus denen später die Pfalzgrafen hervorgingen. Die Klostervögte haben sich während des Niederganges der Reichsabtei immer mehr verselbständigt, bereichert, zu deren Untergang beigetragen und planmäßig an der Zukunft der eigenen Herrschaft gebaut. Bei dieser Entwicklung der Dinge blieben die Erbacher noch lange „Schenken“ und Lehensträger der Pfalzgrafen.

Im Zusammenhang hiermit müssen wir auch bedenken, daß in einem Dorf auch mehrere Herrschaften gleichzeitig einen Anteil zu Lehen tragen konnten, Wodurch die Verhältnisse oft sehr unübersichtlich wurden. So vermachte — vermutlich letztwillig — zwischen 1210 und 1220 ein Ritter Rugger von Lindenfels dem Kloster Petershausen bei Heusenstamm mehrere Weingärten in Gronau. Noch 1422 hatten neben dem Schenken von Erbach auch der Erzbischof von Mainz, die Pfalzgrafen sowie die Grafen von Katzenelnbogen (11) Anrechte in unserem Dorfe.’

1232 hörte das einst mächtige Reichskloster auf zu bestehen. Was noch übrig war, ging an den Erzbischof von Mainz über. Nun war, wie oben erwähnt, die Zeit zur Entwicklung selbständiger Nachfolger gekommen. Die ersten Bemühungen der Erbacher Schenken, sich vom Vasallenverhältnis zur Pfalz zu lösen, mißlangen zwischen 1307 und 1311.’

In diese Zeit fällt die dritte urkundliche Erwähnung Gronaus im Jahre 1318 (12). Dort nämlich bestätigt Erzbischof Peter von Mainz eine Stiftung von Gronau an den Nikolausaltar in Bensheim. Mindestens jetzt, wahrscheinlich aber schon viel früher, hat das Dorf auch eine Kapelle besessen. Als besonderes Stichdatum ist dann das Jahr 1387 hervorzuheben, weil sowohl eine Kirche, wie auch der Hof schon vorher’ bestanden haben müssen.

Zur gleichen Zeit muß sich die Gemarkung des Dorfes gegenüber Bensheim — und im Rahmen des Amtes Schönberg auch gegenüber Zell — abgegrenzt haben. Von der Burg Schönberg aus wurde es verwaltet, hatte nun einen eigenen Schultheißen und ein Dorfgericht (13). Jedoch erst ab 1464 gehörte das Amt zu Erbach.

An jenes Jahrhundert erinnert ein altersgrauer unscheinbarer Sandstein an einer Biegung des Knodener Höhenweges. Seine Erhaltung verdankt er der Tatsache, daß er als „Dreimärker“ noch heute die Bensheimer‚ Schönberger und Gronauer Fluren scheidet. Die kaum noch erkennbare Jahreszahl bedeutet 1479. R. Kunz schreibt dazu (14):

„1478 hatten die Bensheimer mit den Schönbergern einen heftigen Streit. Das Urteil wurde am 9. März 1479 gefällt und darin hieß es u.a.: ‚Sollen die von Bensheim und Schönberg innerhalb 6 Wochen redlich Marksteine setzen, der Maß, daß dieselbe Stein fürbaß die Bensheimer und Schönberger Marken daselbst scheiden und einer (Stein) off den andern zeigen.‘ — Das besagt eindeutig, daß viele Steine um die Schönberger Mark gesetzt wurden.“

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Die Bensheimer und Schönberger Steine mußten sich also gegenseitig „ansehen“, in diesem Falle ist nur der Bensheimer Stein mit dem alten „b“ im Wappen stehengeblieben.

Es entsteht der Eindruck, daß solche Streitigkeiten schon bei der Entstehung der neuen Mark vorprogrammiert waren. Sie sollten sich noch lange hinziehen, betrafen auch durchaus nicht nur die beschriebene Westseite der Gemarkung. Nicht endenwollende Auseinandersetzungen hatten die Waldgebiete zum Kernpunkt. In seiner Chronik (15) schreibt der Reichenbacher Pfarrer Martin Walther 1607 und 1608 über Streitigkeiten zwischen dem Schönberger Amt und Bensheim, betreffend die Waldgerechtigkeiten, die vor dem Hofgericht zu Heidelberg verhandelt wurden, zu denen Vertreter von Bensheim einerseits und Gronau‚ Zell, Knoden, Breitenwiesen andererseits erscheinen mußten. Die Auseinandersetzungen lassen sich in Abschriften im Bensheimer Stadtarchiv zwischen 1479 und 1700 mit 11 Protokollen nachweisen, Einlagen reichen bis ins 19. Jahrhundert.

3. Der alte Ortskern: Kirche, Pfarrhaus und Hof

Um sich die alten Verhältnisse vorstellen zu können, muß man den heutigen Ortskern im engsten Sinne untersuchen. Das sind die Gebäude, die sich um den seltsamerweise „Römer“ genannten Platz vor der Kirche gruppieren.

Auffallend ist dort zunächst die Kirche (16), ein Empire-Bau von 1832, der Fundamente früherer Kirchenbauten unter sich birgt. Darauf bezieht sich ein Eintrag im Kirchenbuch von 1685, anläßlich einer Beerdigung im Kircheninnern: „Es fand sich aber ein solch hartes und starckes Fundament von einer Mauer, daß auf keine Weise einzukommen war und schiene es, als ob die Mauer der Kirch erstlich daher gegangen, und die Kirch nach der Hand vergrößert worden sey.“ Da sich diese Beobachtung auf das alte Kirchlein bezieht, ist an noch ältere Baureste zu denken. Gleich rechts neben der Kirchentreppe führt eine steile Einfahrt auf ein schlichtes verputztes Wohnhaus zu, links ein unschöner Anbau aus unsern 60er Jahren. Leicht versetzt zum Wohnhaus steht eine Scheuer, auf der rechten Hofseite eine Reihe neuerer Schuppen. Diese Anlage war „der Hof“.

In geschichtlicher Sicht bildeten Kirche und Hof stets eine eng auf einander bezogene Baugruppe. Beide werden erstmals in einer Urkunde vom Jahre 1387 (17) genannt. Da stiftet Schenk Heinrich von Erbach ein „Jahrgedächtnis“ für sein Seelenheil an einer ganzen Reihe von Kirchen. Deren Pfarrer bekommen danach folgendes Entgelt für derartige Feiern:

„Danach han ich gesetzet an alle diese nachgeschrieben Gotshuser an iecliches ein Malter Korn...“, und dann folgen die einzelnen Kirchen und dabei „. . ‚item eyme Pfarrer zu Grunawe ein Malter vff dem Hove daselbes...“. Demnach gibt es in Gronau zu jener Zeit ein Gotteshaus, einen eigenen Pfarrer und einen „Hof“. Das bedeutet aber auch, daß das Dorf vom alten Bensheimer Kirchspiel losgelöst ist, ohne daß wir das genaue Datum der Trennung kennen.

Glücklicherweise fand sich eine Darstellung der Baugruppe aus dem Jahre 1741, die sich kaum wesentlich von den alten Zuständen unterscheidet. Bei dem Bildchen handelt es sich um eine winzige „Vignette“, als Schmuck in einem „Geometrischen Rissbuch“ der Pfarrgüter, angefertigt von dem gräflichen Geometer Joh. Wilhelm Grimm. Darüber trägt eine schwebende Engelsfigur ein Spruchband mit dem Zitat:

„Fürchte dich nicht du kleine Heerde!
denn es ist eures Vaters Wohlgefallen
euch das Reich zu geben. Luc. 12. N. 32“ (s. S. 23)

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Wirklich treffend für unser kleines Dörflein, das noch 1715 ganze 161 Einwohner umfaßte (18). (s. Farbbild)

Die genannte Darstellung des engsten Dorfkerns, hier von Süden aus gesehen, läßt bei sehr starker Vergrößerung Einzelheiten erkennen, die man noch heute gut verfolgen kann.

Die Kirche

Die Form des Kirchhofs ist annähernd einem Schiffsrumpf zu vergleichen. Das Eingangstor mit Bogen sitzt am „Bug“. Auf der entgegengesetzten Seite im Osten erkennt man den gotischen Chor, etwas zu groß dargestellt im Vergleich zum Kirchenschiff, dann den Turm, von zwei Rundfenstern flankiert — und ringsherum die Gräber. An der Südostecke steht ein kleiner Karner, ein Beinhaus für die Gebeine geräumter Gräber.

Dem romantischen Maler Karl Phillipp Fohr (19) verdanken wir die einzige größere Darstellung der ehemaligen Kirche mit dem Pfarrhaus und der alten Linde im Hintergrund. Das reizende Aquarell, eine Ansicht von N-O, ist heute bereits öfter in Reproduktionen zu sehen. Der spitz behelmte Turm überragt das steile Kirchendach; die gotischen Fenster sind deutlich zu erkennen: ein verlorenes Schmuckstück unseres Dorfes. — Bauteile des alten Pfarrhauses von 1722 sind in dem sogenannten „Kreuzerhaus“ in der Hambacher Straße erhalten. (s. Farbbild).

Über Alter und Baugeschichte der Kirche wissen wir wenig. Leider sind die Möglichkeiten, bei Umbauten unserer Tage (1966-68) Erkenntnisse darüber zu gewinnen, nicht genutzt worden.

Dagegen berichtet schon Knapp Von einem umfassenden Umbau:

„Anno 1509/10 Vnd 11 worde bey myr / Martino Knapp obgeschriben / Vnd Hans Creißen / Hanß Schnidern / Heilligen Knechten (=etwa Kirchenpflegern) / der thurn XVIII (Z 18) schu im gemuche(r) (=im Gemäuer) herhocht (= erhöht) Vnd der helm dar uff gemacht / Item (=ebenso) das Chor py(?) von Grunde uff gefürt Vnd gar gemacht / mit der Heilligen (Knecht) gelt (=Kirchenkasse) vnd der nachbauern (=Nachbarn, Mitbauern) Handt Hilff / vnd warde in keym Hauss 1 ch gesatz (Kein Anwesen wurde auch nur mit einem Pfennig belastet) dan allein etlich samulung dar zu geschach (als daß lediglich eine Sammlung zu diesem Zweck geschah) / doch kam 10 oder 12 gl (Gulden)...“.

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Der Pfarrer betont hier, daß nur die Kirchenkasse, freiwillige Sammlung und Helfer das Werk zustande brachten. — Die drei schönen Chorfenster werden kaum im Rahmen dieser Arbeiten entstanden sein. Solche teure Werkarbeit wäre sicher erwähnt worden, sie ist also einer früheren Bauperiode zuzuschreiben. — Nach dem Abbruch der Kirche um 1831 erwarb Großherzogin Wilhelmine die Fensterge- Wände und ließ sie in die künstliche Kirchenruine auf dem Heiligenberg bei Jugenheim einbauen. Sogar von den Rundfenstern auf beiden Seiten des Turmes finden sich noch zwei Segmente, eins davon ist in die Wand eines Backofens eingebaut, ein anderes liegt auf einem Steinhaufen im „Hof“. Weiter wurde ein kleines gotisches Glasfenster aus der alten Kirche, eine Darstellung des Christuskin- des, in ein Südfenster der neuen Kirche eingefügt. In Privatbesitz existiert auch noch eine barocke Figur des Jesusknaben, der sich auf die blaue Weltkugel stützt.

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Der Hof

Die erwähnte Vignette zeigt den Hof als geschlossenes Viereck. Die überdachte Toreinfahrt beim „Bug“ des Kirchhofs bildet eine gerade Fortsetzung der westlichen Gebäudereihe. Die den Hof quer nach Süden abschließende Scheuer — im Volksmund „Zentscheuer“ genannt-verläuft im Gegensatz zu der alten Darstellung heute in N-S-Richtung. Ihr Torbalken trägt die Jahreszahl ihrer Erbauung: 1797. Lediglich die nördlichen Fundamente der Scheuer mit einem Bruchsteinkeller und der Zahl 1654 an einem kleinen Fenstersturz sind alt. Unter dem ansteigenden Gelände des Hofes mögen die Reste des ehemaligen Querbaues liegen.

Die Hofbesitzer trugen in alter Zeit die Bezeichnung „im Hoffe“. Später trat der „Hof“ vor die jeweilige Berufsbezeichnung. Der letzte Hofbesitzer unseres Jahrhunderts war der „Hoveschmied“, sein Vorgänger der „Hoveküfer“ Ludwig Werner I.

Daß dieser Hof sehr alt sein muß, war bekannt. In den 30er Jahren soll ein Balken mit der Jahreszahl 1407 ausgewechselt worden sein, und noch vor 1945 war eine altertümliche hölzerne Wendeltreppe durch einen modernen Bauteil ersetzt worden. — Als dann im Sommer 1981 ein Zimmer im südlichen Oberstock erneuert werden sollte, traten beim Abklopfen des Putzes Reste von Wandbemalung zutage: Das Fachwerk war ursprünglich — wie heute wieder — im Innenraum sichtbar gewesen. Jedes Fach trug eine zweifarbige Umrahmung, schwarz bzw. blau und rötlich braun. Auch das Balkenwerk ließ Reste von Bemalung erkennen — rot und mit Schablonen aufgetragen. Nur Teile des südlichen Fachwerks waren später ausgemauert worden. Als einen Höhepunkt des Zimmerschmucks entdeckte man unmittelbar neben der Eingangstür ein kleines Wandbild im Feld eines rechteckigen Faches: Ein dunkel gekleideter Reiter mit hohem Hut reitet einer Dame entgegen, die ihm drei stilisierte Lilien zur Begrüßung reicht. Beide tragen die Tracht des 16. Jahrhunderts. Auch im Untergeschoß wurden Reste von Ausmalung gefunden. Der nördliche Teil des Hauses zeigt keine altertümlichen Merkmale und scheint ein späterer Anbau zu sein (20).

Aus den Quellen des Gronauer Pfarrarchivs läßt sich eine sicher nicht ganz vollständige Reihe von Hofpächtern entnehmen. Die ersten Namen gehören noch in die vorreformatorische Zeit, also vor 1539, die beiden ältesten sogar noch ins 15. Jahrhundert. Einmal handelt es sich um eine bäuerliche „Jorgezyt“, eine Stiftung für eine jährliche Seelenmesse:

„Item 1 malter von dem jargezyt Cuntz im Hoff (gibt) Klern Hans (=Hans Klar) uff den essertag (=Aschermittwoch)‚ der hat das gut, das do vor leidt zu Unterpfand...“: Hans Klar bewirtschaftete seinerzeit ein Flurstück, das der alte Cuntz im Hof letztwillig als Sicherheit für die Bezahlung dieser Seelenmessen bestimmt hatte. Die Abgabe ruhte auf dem Flurstück, gleichgültig, in wessen Besitz es sich jeweils befand. Der folgende Eintrag zum gleichen Fall macht die Sache noch deutlicher:

„Item 1 malter korn Klern Hans vom jarzyt Cuntz im Hoff und Metz (=Mechthild)‚ syne hauß frawen, d0 by sollen syn sant annen capellan (der Gronauer Altar war der heiligen Anna geweiht), der hat auch 1 malter d0 von uff den esser tag.“ — So erfahren wir auch den Namen von Cuntzens Frau sowie den Hinweis, daß neben dem Gronauer Pfarrer ein Kaplan hier tätig war. Durch einen anderen Eintrag wissen wir, daß dieser seine Tätigkeit sowohl in Gronau als auch in Bensheim auszuüben hatte.

Einer der Nachfolger von Cuntz im Hoff war Veltin Margeff ( =Valentin Markgraf), der 1503 an der Pest starb. Schon 1422 werden zwei Vertreter der Familie genannt. Bei Veltin fehlt der Zusatz „im Hoff“. Es handelt sich hier auch nicht um Seelenmessen, sondern um Pfarrzinsen:

„Item 2 malter korns (von) Veltins selige Hoff gut (gibt) Elss, syn haußfraw, heißt der Schencken Hoff, leidt neben der Kirchen.“ — Damit haben wir auch den Nachweis über die Lage des Hofes. Er heißt noch „der Schencken Hoff“, da die Erbacher erst 1532 in den Grafenstand erhoben wurden — als Schenken waren sie noch Vasallen der Pfalzgrafen. — Frau Elss wird stets „Kreyßin“ genannt, obgleich sie eine verheiratete Markgraf war. „Kreiß“ kann ihr Mädchenname gewesen sein, vielleicht war sie auch eine verwitwete „Kreis“. — Ihr Sterbedatum wissen wir nicht, doch hat sie wieder eine Stiftung für Seelenmessen hinterlassen:

„Item 4 sh (Schilling) geben die Heilligen Knecht vor (=für) Elsen Kreyßin jorzyt/ haben sye eyn acker for / (...) / (es) sol gescheen vff modag oder Dinstag nach vnßer Kerbe 1 mess.“ — Ihre jährliche Seelenmesse fällt demnach auf den Montag oder Dienstag nach der Gronauer Kerb, die hier zum ersten Male erwähnt wird, leider ohne Datum. (21)

Elß Kreiß muß den Hof schon vor 1511 abgegeben haben, denn im gleichen Jahr verteidigte der Pfarrer seine Ansprüche an den Hof gegenüber dem Schultheiß

Lorentz Odenheimer, der demnach nun Hofbesitzer war:

„Anno quo supra (=1511) stalt sich Lorentz odenheymer wider mich / zu geben 2

mat. (Malter) Korns vom fron Hoff / dy vor ime vnd myr geruchlich gefallen eim pherer XL (=40) jar vnd vielleicht men (:mehr) ...“, was bedeutet, daß Odenheimer des Pfarrers Anspruch auf die zwei Malter Korn abstreitet, obgleich das schon seit über 40 Jahren so bezahlt worden war. Der Eintrag fährt fort:

„...vnd wißen (weisen) das die alten register auß / wie das die alten Schencken gestifftet haben / vnd das jerlich IIII (4) meßen darfor gescheen / fritags in der fronfasten (=die vier Fastenzeiten des Jahres = Quatember) / also hab ich des bericht genummen (mich darüber unterrichten lassen) von Hans Schnidern vnd Hanß Creißen / der Ziit heillige Knecht / die dan dar vor waren, daß ich den odenhemmern lorentz mir zyttiret...“.

Solche Vorgänge mußten festgehalten werden, weil sonst alte Pfarrechte leicht verlorengegangen wären. — Vielleicht geht die hier gemeinte Stiftung noch auf das zitierte Datum von 1387 zurück.

In dem behandelten Eintrag heißt der Hof „fron Hoff“. Diese Bezeichnung ist noch ganz mittelalterlich, ein Hinweis auf das alte „Fronhofsystem“ (22) und somit auf das Alter des Hofes.

Als nächsten „Hof“-Namen treffen wir auf „Hannß im Hoff“ und „Hannßmüller im Hoff“, beide wohl auch identisch. Der Beiname „Müller“ läßt eine Verbindung zur Klausenmühle erkennen, die, wie der Hof, herrschaftlicher Pachtbesitz ist. Eine solche Verbindung machen auch andere Textstellen wahrscheinlich.

Zeitlich sind wir nun etwa bei‘ der Einführung der Reformation in unserem Kirchspiel angekommen. — 1579 bis 97(†) tritt „Hanß Grießer im Hoff“ oder „im Hause“ auf, auch „der große“ genannt — im Gegensatz zu dem „kleinen“ oder dem „Müller“. Auf ihn folgt sein Stiefsohn „Jacob Metzler im Hofe“, der bis 1636 (lt. Pfr. Clein) zu verfolgen ist.

Neben den genannten Quellen gibt es noch einen überraschenden Hinweis auf die Ursprünge des Hofes. Im Zins- und Gültbuch des Pfarrers Pagenstecher von 1759 steht unter „Nro. 3“: Danach hat die „Gndigst. Herrsch. erblich und Järlich an die Pfarr (zu liefern), (s. die untenstehende Menge), soll von einem Hof bey der Kirch, d. Münchs Hoff genant, her kommen, welcher vor dem der Kirche gewesen, und nachher an die Herrschaft kommen. Der Clausen—Müller ist sonst angewiesen gewest, von seinem Mühl Pfacht dieses an die Pfarr zu liefern. Sr. (Simmer) 27.“

Wenn wir statt „... der Kirche gewesen“ das Kloster einsetzen, so ist der wechselnde Besitzstand: Lorsch („Münchs Hoff“) — Erbach („Fron-Hoff“) bis zum herrschaftlichen bäuerlichen Pachthof deutlich erkennbar. Dem Pfarrer Pagenstecher müssen noch Quellen zur Verfügung gestanden haben, die heute verschwunden sind. Hier wird wieder die Verbindung des Hofes mit der Klausenmühle deutlich.

Kirche und Hof: Der engste Dorfkern ist uralt. Um ihn haben sich die Höfe der ersten hörigen Gronauer Bauern gruppiert, mit größeren Abständen als heute und in stärkerer Abhängigkeit vom „Fron-Hoff“. — Nach germanischer Sitte hat vor der Kirche sicher stets eine Linde gestanden, unter der bei zunehmender Unabhängigkeit der Bauern vom Hof das Haingericht tagte. — Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts können wir mit einem Rathaus rechnen, in das aus praktischen Gründen auch der erste Schulunterricht verlegt wurde. Die erste Erwähnung eines Rathauses findet sich 1621.

4. Gronau als Kirchspiel

(Kirchengemeinde einschließlich Nachbarorte)

Die Gründung eines Gronauer Kirchspiels vor 1387 sollte nicht die Vorstellung erwecken, als sei damit eine völlige Trennung von Bensheim erfolgt. Die kirchliche Betreuung bzw. Aufsicht oder Kontrolle durch das Erzbistum Mainz — direkt ausgeübt wohl von Bensheim aus — blieb für die nächsten rund 150 Jahre, bis zur Reformation bestehen:

„Item von den Questionirern die do reiten gen Grunaw hat ein pferrer von ir ichlichem (von jeglichem) 12 ch oder ein (ge—)schenk / vnd was er (= der Questionirer) verzert das bezalt er / vnd schenkt der magd auch vnd dem glockner“ — notiert Martin Knapp. Wir verstehen unter dem „Questionirer“ einen Kontrolleur der kirchlichen Gelder (eigentlich „Schatzmeister“). Vielleicht hatte er vorwiegend die Almosen und Spenden zu überprüfen. Für die Bewirtung im Pfarrhaus war er dem Pfarrer, der Magd und dem Glöckner ein kleines Entgeld schuldig.

Mit der Gründung einer eigenen Kirche und der Installierung der Pfarrstelle waren Unkosten verbunden, die einen gewissen Kirchenbesitz vorraussetzten. Auch der Pfarrer mußte besoldet werden.

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Als das mittelalterliche Kirchspiel Bensheim aufgelöst wurde, entstanden mehrere kleinere Nachfolger, darunter auch Gronau (vor 1387)

Der Kirchenbesitz ist aus Spenden hervorgegangen. Das kann man teilweise den Flurnamen entnehmen: Pfaffenrech, Pfaffenacker‚ Pfaffenheck sind sicher schon vor Gründung des Kirchspiels Kirchenbesitz gewesen. Bei anderem Kirchengut ist eine solche Bestimmung nicht im Namen zu erkennen.

Das Gronauer Kirchspiel war ja verhältnismäßig spät entstanden (23) und hatte im Gegensatz etwa zu der fränkischen Urpfarrei Bensheim keinen größeren Stammbesitz zur Bestreitung seiner Kosten. Hier setzten sich die Einkünfte des Pfarrers und „des Altars“, d. h. der Kirche, aus zahllosen kleinen Spenden und Stiftungen zusammen. Sie waren auf ähnliche Weise zustandegekommen, wie wir es bei den „Jarzyten“ gesehen haben. Noch befinden wir uns in Zeiten mit weitgehender Naturalwirtschaft. Die Abgaben lagen auf gewissen Grundstücken, auf denen sie auch weiterhin lasteten, wenn der Besitzer wechselte. Das konnten Äcker, Wiesen, Wingerte und „Hecken“ (=Bauernwald) sein. Es ist zu verstehen, daß der Pfarrer über seine Einkünfte sorgfältig Buch führen mußte. Die Naturallieferungen konnten auch durch Geld abgelöst und das Geld wiederum auf Zinsen ausgeliehen werden. Vor allem mußte das Augenmerk des Pfarrers bei Besitzerwechsel, bei Verkäufen oder Erbschaftsfällen auf den neuen Besitzer gerichtet sein. Die Bauern haben immer wieder versucht, sich dieser Abgaben zu entledigen, besonders nach einem Pfarrerwechsel. Eine Randnotiz betont „der Bauren Arglist und Ungunst“. Dieses System der Pfarrbesoldung ist bruchlos über die Reformation hinaus fortgesetzt worden. Pfarrer Lesch, zunächst 20 Jahre lang katholischer Priester, hat weiterhin seine Einträge in das alte Buch seines Vorgängers Knapp vorgenommen. Aber auch spätere Pfarrer haben sich erst hier orientiert, ehe sie ihre eigenen kleinen Register oder Kompetenzbüchlein anlegten. — In ihnen wurde die Lage der betreffenden Flurstücke festgehalten, d.h. ihre „Forchung“ (=Begrenzung) durch Nachbarn, Wege, Wasserläufe und Steine. Jeder neue Besitzer war besonders wichtig und wurde vermerkt mit „itzt...“ oder „modo...“ und dem neuen Namen.

War ein Register unansehnlich geworden oder wollte ein neuer Pfarrer nach eigenen Vorstellungen seine Notizen festhalten, so wurde ein neues angefangen. Unter den Registern ist das erwähnte von Martin Knapp das älteste:

„Anno Dni. 1503 Jahr nach Christi Geburt hab ich / Martino Knapp / der Zijt Pferrer vnd Verwesser der Kirchen zu Grunaw angefangen ein Register zu machenn / dar in man findt was ein Pferrer do selbst zu der selben Zijt (an) Zienß . habt jerlich / geschriben aus den (alten) Registern in den newen“.

Knapp hat sich also auf noch ältere Register gestützt, und sein Verfahren hat sich sicher schon von den ersten Anfängen des Kirchspiels an immer auf diese Weise fortgesetzt. Aus der Reformationszeit liefert uns Pfarrer Dügel dafür eine Parallele: „Grundtliche, ordentliche und warhafte Verzeichnis alles und jedes was ein Pfarher zu Grunaw jerlich Einkommen hab an Geld, Korn, Haber‚ Wein und Kappen (Kapaunen=Hähnchen), auch kleinen Zehenden‚ Wiesen, Ecker vnd Weingarten, so zur Pfarr gehoren. Aus alten vnd newen Registern fleyssig zusammen geschriben vnd verzeichnet durch Jost Dügeln, Pfarhern daselbst‚ anno 1574, den 14. Octobris“.

Die Register oder Kompetenzbüchlein der Pfarrer ergeben nun folgendes verwirrende Bild: Eigentlich bestand das Gronauer Kirchspiel nur aus dem Dorfe und seiner Gemarkung selbst. In seiner geringen Ausdehnung wäre es aber aufgrund dieser mageren Einkünfte nie lebensfähig gewesen. Betrachten wir dazu jedoch die Ortschaften außerhalb des Kirchspiels, die nach Gronau zinsten — auch schon in katholischer Zeit — so wird die unklare Sachlage erst erkennbar. Knapp unterscheidet in seinem Register an Abgaben Korn-Gült, Wein-Gült, kleinen Zehnten und Kappen, sowie Geldzins, der aber hier nur geringe Aussagekraft hat. Es ergibt sich, daß nur die vier folgenden Ortschaften nach Gronau zinsten:

Zell: Korn-Gült, Wein-Gült, Kl. Zehnten
Schönberg: Korn-Gült, Wein-Gült
Schannenbach: Kl. Zehnten
Wilmshausen: Kappen

Wenn das der Fall war, dürfen wir vermuten, daß schon damals die Bewohner der genannten Orte den Gottesdienst bzw. die Messe in unserm Dorfe besuchten. Die Frage nach der tatsächlichen Ausdehnung des Kirchspiels stellte so lange kein Problem dar, wie Bensheim und Gronau zum gleichen Bekenntnis gehörten. Das gilt auch für die Reformationszeit‚ in der ja Bensheim ebenfalls protestantisch war. Erst 1628, mit der Rekatholisierung der Stadt, entstand jener seltsame Zustand, daß die drei Orte Zell, Schönberg und Wilmshausen zwar nach dort pfarrten, d.h. daß ihre Bürger dort getauft, verheiratet (“copuliert“) und beerdigt werden mußten, obgleich sie konfessionell, mit Kirchenbesuch, Konfirmation, vor allem aber mit dem Abendmahl nach Gronau gehörten. —Jedenfalls war die wirtschaftliche Grundlage der kleinen Pfarre stets sehr schwach. Gerade dieser Schwäche verdanken wir eine unserer wichtigsten Quellen: die kleinen Pfarregister. Der Kirchenweg der Schönberger nach Gronau zum Gottesdienst ist durch die

Jahrhunderte hin immer der gleiche geblieben: Er führte vom „Thal“ (Lautertal) herauf, etwa über den heutigen „Trimm-dich-Weg“, dann über einen Pfad am Ackerrand bis zu dem alten Grenzstein am Höhenweg, auf demselben ein Stück entlang bis zu einem heute verschwundenen Wegweiser, der „Eisernen Hand“, am „Bannels“ (=Bannholz) hinab zum „Hartmannsrech“ und zur „Klausenmühle“. Hinter der Mühlwiese führte der „Eselstreck“ ein Stück die untere Au entlang bis zur Dorfstraße.’

Aber noch einmal zurück zur katholischen Zeit: Eine typische und immer wieder aufgeführte Einrichtung waren die „Heilligen Knecht“. Sie erscheinen als eineArt Kirchenpfleger oder Kirchenrechner, als Berater des Pfarrers in Fragen des Herkommens‚ also als Zeugen und sind wahrscheinlich mit den mehrfach erwähnten „Eidtgeschworn“ identisch.

„Item hat ein Pferrer auch Heckenn (=Bauernwald), ein stuck an dem Waldt oben am Dorff (=Pfaffenheck, s. Anm 3.) / diß alles mußen die eidtgeschworn eym Pferrer zeygen...“ Von ihnen wurde der ortsfremde neue Pfarrer bei seiner Ankunft unterrichtet, für ihre Zuverlässigkeit waren sie vereidigt. In Zweifelsfällen gab es noch eine weitere Einrichtung: . .wan er will an dem Kanzellgericht / wo sy im anderst nit gezeijgt wurden.“ Hierbei mag es sich um eine Art Kirchenvorstand gehandelt haben. (24)

Im Dorfe bestanden — sicher schon seit langer Zeit - eine „Bruderschaft“ und eine „Schwesternschaft“, zivile Vereinigungen mit meist wohltätigen Zielen und auf religiöser Grundlage. Knapp schreibt unter weiteren fälligen Einkünften:

„Item in den fir fronfasten / alle weg vff den Sampstag / beget man die bruder vnd Schwestern mit 4 pristern / mit (=einschließlich) dem Pferrer / den dryen git der pferrer zessen (=zu essen) vnd ir ichlichem (jeglichem) 1 sh ch (zSchilling-Pfennig) / oder 4 sh. vnd nit zessen / dar vmb mussen dy bruderknecht (=Kastenmeister = Kassenwart der Bruderschaft) eym pferrer geben jerlich 4 mal 17 sh.“

Das besagt, daß diese vierteljährliche Feier der Bruder- und Schwesterschaft bezahlt werden mußte, daß der Pfarrer die drei assistierenden Priester zu bewirten hatte und daß ihm seine Ausgaben vergütet wurden. Solche Bruderschaften sind im dörflichen bzw. bäuerlichen Bereich wahrscheinlich selten. Leider finden wir über ihre Tätigkeit keine Angaben. In den Registern der Reformationszeit und auch später treffen wir noch auf Abrechnungen mit der Bezeichnung „Bruderschaft“, die sich wahrscheinlich auf einen finanziellen Nachlaß der genannten Einrichtung beziehen.

p31

Die in unserem Kirchspiel 1539 eingeführte Reformation folgte der Lehre Luthers, wie die Grafschaft Erbach. Pfarrer Peter Lesch führte sie hier ein, nachdem er bereits 20 Jahre lang katholischer Priester gewesen war. Er blieb weitere 20 Jahre Pfarrer des Ortes bis zu seinem Tode im Jahre 1559. Seinem Eifer verdanken wir auch, daß bereits 1551 mit der Führung eines Kirchenbuches begonnen wurde. Vielleicht erfolgten aber die Einträge der ersten Jahre nachträglich.

Die Einführung des neuen Bekenntnisses wird wohl nicht schlagartig geschehen sein. Der erfahrene Peter Lesch wußte, dafS nicht nur bei einer Gemeinde alte Vorstellungen, Bräuche und Gepflogenheiten verändert oder abgeschafft werden mußten, auch für ihn selbst mag das neue Bekennntnis eine beachtliche Umstellung bedeutet haben. Wir erfahren aber nichts darüber. Erst nach Leschs Tod, im Jahre 1560 kann man mit der Einführung der neuen Kirchenordnung des Grafen Georg den Vorgang der Reformation als abgeschlossen betrachten.

Die Neuerungen verliefen auch nicht ohne einen gewissen Radikalismus. R.Kunz berichtet über das Jahr 1544: . . ließen sie (zdie jungen Grafen) in ihrem Übereifer den gesamten „papistischen Ornat“ aus allen Kirchen des Landes nach Erbach bringen: Die. wertvollen Geräte aus Gold und Silber wurden nach Straßburg

Das gotische Glasfenster mit einer Darstellung des Jesusknaben verkauft, darunter 10 Kelche. Die Gemälde, Kruzifixe usw. wurden teils zerschlagen, teils in alle Winde zerstreut. Wenn sich auch diese „Bilderstürmerei“ in Grenzen gehalten hat, muß man sie doch höchst bedauern, weil auf diese Weise wertvolle Kunstgegenstände für alle Zeit der Vernichtung anheimgefallen sind.“ (25) Den Gronauer Quellen ist zu diesem Thema nichts zu entnehmen. Wir dürfen aber froh sein, daß wenigstens das kleine gotische Glasfenster erhalten geblieben ist.

5. Die Dorfbewohner im 16. Jahrhundert (26)

Wer waren sie nun, die dieses kleine Dorf bewohnten, es mit ihrem Leben und ihrer Arbeit erfüllten?

Mit ein wenig Phantasie kann man die Namen einiger der ältesten Gronauer aus den Flurnamen ableiten:

„Arno“ oder „Arnold“ vom „Arnstein“ im Westen des Schneckenberges
„Berwart“ oder „Berwert“ vom „Berwertersgrund“ = „Bärbelsgrund“
„Hartmann“ vom „Hartmanns Rech“
„Haurich“ oder „Haunrath“ vom „Hauntswieschen“
„Lamprecht“ vom „Lamprechts Rod“ = „Labersrodt“ und ein „Maynard“ oder „Meinhart“ hat einmal in der Gegend des „Hehnerfeldes“ 6 Morgen Ackerland der Kirche gestiftet, wohl schon vor der Entstehnung der Gemarkungsgrenzen zwischen Zell und Gronau, denn diese Flur scheint die Grenzlinie zu überschreiten. Die alten Gronauer und ihre Nachfolger waren Hörige oder Leibeigene, d.h. unfreie Bauern. Soweit wir das Verhältnis derselben zu ihrer Herrschaft überhaupt ein wenig überschauen können, erscheint es in den Unterlagen patriarchalisch, doch sind keinerlei Anzeichen für ein besonders gespanntes Verhältnis erkennbar. Amtmänner, Amtsverweser oder Amtskeller auf dem Schloß zu Schönberg machen stets den Eindruck redlicher‚ um solide Verhältnisse bemühter Beamter. Von den Bauernunruhen oder gar Bauernkriegen jener Zeit läßt sich hier nichts feststellen, und mit Beginn der Kirchenbücher finden sich mehrfach Patenschaften der Amt- leute bei Bauerntaufen.

Die Bauern bewirtschafteten in der Regel eine halbe Hube, gelegentlich auch 3/4 bis ganzeHuben. Leider ist die Größe einer Hube unbekannt, es hat sich um Mittel- bis Kleinbauern gehandelt. Zu dem „Hubgut“ (zinspflichtigem Land, das der Dreifelderwirtschaft unterlag) ist zumindest in späterer Zeit in der Regel noch etwas Privatland hinzuzurechnen (das unabhängig von der Fruchtfolge der Dreifelderwirtschaft frei bearbeitet wurde). Die Bauern hatten gewöhnlich zwei Ochsen als Zugkrafte. Das Ochsengespann, das in seinem ruhigen Schritt die Fluren auf und ab zog und die Gronauer Äcker bearbeitete, hat für lange Zeiten zum typischen Landschaftsbild gehört — wie andernorts auch. Pferde besaßen neben den „Hofbauern“ nur die Müller, um auch entferntere Kunden bedienen zu können.

Ein Bericht über die ersten bekannten Gronauer besagt (27):

p33

„Die älteste, wenn auch nicht vollständige Einwohnerliste stammt aus dem Jahre 1422. In Auerbach fand eine Schiedsgerichtsverhandlung wegen des Streits um die Allmende und die Mark zwischen Bensheim und Auerbach statt, dazu waren auch 22 Märker als Zeugen aus Gronau geladen. (...) Die Liste zeigt, daß es damals mindestens 22 Familien in Gronau gegeben hat bzw. ebenso Viele Häuser. Wir bringen die Namen in alphabtischer Folge:

Cuntz von Schannenbach / Dirsam, Cunz / Gerhard / Greise, Klaus (=Creiß) / Hans von Schannenbach / Heinz von Breitenwiesen / Henne von Büdingen / Knode, Klaus / (K)node‚ Wenz / Lorenz / Markgraf, Klaus / Markgraf, Peter / Meffried, Cunz / Meffried, Peter / Rennschild, Peter / Schneider, Peter / Schneider, Peter / Stephan / Weinheimer, Konrad / Werner von Schannenbach / Wicke, Klaus/ Zeringer, Peter.“

Auch die Einträge der „Jargezyt“, aus denen uns Cuntz im Hoff schon bekannt ist, reichen ins 15. Jahrhundert zurück.

Hier zunächst der Wortlaut eines solchen Vermächtnisses:

„Anno 1505 hat Clarn Hans by lebendigem libe Vnd mit guttem syn / syner Haußfrawen willen geben 1 firtell erden an der steinfurst / stost an peter langen neben zu / oben an den pfad / Vnden an Hans schnidern vnd Niclausen Henseln /vff die ander sidt an der Pfar wingart da selbst / Dar Vor sall man in (=ihm) Vnd syn Haußfraw Margret jerlichs begehen vff den fritag vor dem palmtag“ (=Ihm und seiner Frau jährlich am Freitag vor Palmarum eine Seelenmesse lesen).

Wir erfahren auf diese Weise die Identität des Spenders und seiner Frau, auch die Beschreibung eines Flurstücks und dessen Namen und die Namen der Anrainer, die demnach Zeitgenossen des Spenders waren.

Weitere Angaben von Ortsansässigen können wir Knapps Bericht über die Pest von 1503 entnehmen:

„Anno 1503 was by myr / martino Knapp / der zijt pferrer zu grunaw / ein sterben an der pestalenz / do starb der lang Hans . mullers lenhart . Schoffer Ewalt . veltin margeff. der Hirt . Daub Hanß vnd ander gut leut den(en) got gnad / by funffzig/ alt vnd jung / beider geschlecht / hub an in der fasten in Hanß sedlers Hauß gegen der Kirchen vber / dem starb wib vnd kindt do zu mall“.

Von den Familiennamen der obigen Liste von 1422 findet sich hier nur Margeff (:Markgraf) wieder, der um 1519 mit der Witwe Els ganz verschwindet. Dagegen begegnen uns Dirsam (:Dörsam), Meffried (zMeffert), Rennschild, Schneider und Wicke (=Wick) in Knapps Register wieder. Bezeichnend ist, daß es häufig noch ganz an Familiennamen fehlt. Der Mangel wurde durch Hinzufügen des Herkunftsortes behoben. Für uns ist besonders typisch „Wernher von Schandenbach“, schon 1422. Er ist wahrscheinlich der Stammvater der Familie Werner. Der gleiche Name für einen Nachfahren tritt noch unter den ersten Eintragungen im Kirchenbuch 1551 auf.

Von den Namen der Pesttoten des Jahres 1503 treffen wir später noch die Familien Lang, Müller, Schoeffer an, ferner Hans Sedler‚ in dessen Haus die Pest begonnen hatte. Die Wohnstätte ist zu lokalisieren, die Familie Sedler (=Sattler) kann bis zum 30jährigen Krieg Verfolgt werden. Ebenso verhält es sich mit den Dörsams. Die Mefferts sind später in Zell ansässig. Die Familie Metzler (=Metzger) läßt sich durchgehend seit dem 15. Jahrhundert bis heute in Gronau nachweisen, obgleich der Name 1422 noch nicht genannt wird. Am Anfang steht Contz Metzler, der in den erbach-schönbergischen Amtsrechnungen (28) schon 1429 nachgewiesen ist. Sowohl die Berufsbezeichnung wie der Familienname „Metzler“ werden gegen Ende des 16. Jahrhunderts weitgehend in „Metzger“ umgeändert (29).

Bis zur Einführung des ersten Kirchenbuches im Jahr 1551 liefern uns die besprochenen Kompetenzbüchlein oder Register Unterlagen über die Einwohner Gronaus in Form der „Fortschreibungen“. Bei Besitzerwechsel mußte jedesmal der neue Besitzer, also der nunmehr für die Abgaben Verantwortliche, namentlich genannt werden. Aus dem bisher über Namen gesagten ist leicht zu entnehmen, wie sie sich immer wieder geändert haben, wie neue kamen und alte verschwanden. Sie werden den heutigen Gronauern oft überraschend vorkommen, obgleich wir Viele von ihnen noch in der näheren oder weiteren Nachbarschaft vorfinden: Dörsam, Odenheimer, Schneider, Weimar. Andere sind ganz verschwunden: Barben, Balmar, Hemmerlin, Kistenmacher, Kreiss‚ Kess, Klar, Klüpfel, Philips, Pflüger. Wieder anderen merkt man deutlich die Herkunft aus der Nachbarschaft an: Die Kessenauers stammen aus der Kessenau, einer Wüstung bei Hüttenfeld, später kommt auch Hans Raupenstein vor, dessen Name aus der Gegend von Winterkasten kommt. Die Jerigs begegnen uns wohl in dem heutigen Namen Gehrisch wieder. Die Ausbildung der Familiennamen war zu Anfang des 16. Jahrhunderts noch in Bewegung. Zudem war die Rechtschreibung ganz willkürlich und der Name wurde oft so geschrieben, wie der Betreffende nun einmal im Dorfalltag genannt wurde. Irrtümer waren also unver- meidlich. Häufig nannte man auch den Sohn bei dem Vornamen des Vaters, so daß etwa aus Hans Metzler, Sohn des Bastian Metzler, ein „Bässlins Hans“ wurde. Auch Spitznamen waren beliebt: Matthes Pfeiffer hieß „Felgen Matz“, sein Bruder „Felgen Hans“. Hans Philips nannte man „Hampel“, Hans Odenheimer wurde „der Heunsel“ genannt, Nikolaus Kistenmacher rief man „Kistennickel“ oder nur „Kissnickel“, und noch 1610 lesen wir (30):

„. ..ist Peter Cuntz zu Elmshausen Handel (=Streit), seinen Zunamen belangend, vor Gericht erörtert worden im Beisein des Herrn Amtmanns, daß er sich nicht soll Kistenmacher, sondern Kuntz schreiben. Seine Freunde (:Verwandte) aber zu Gronau, Hepppenheim und Hambach mögen ihren erwählten Zunamen auch behalten, ohne einiger Partei Nachteil.“ (31).

Die Gründe für dieses Urteil kennen wir nicht, doch scheint es, daß die Kistenmachers aus den Cuntzes hervorgegangen sind und sich ihren Namen, aus welchen Gründen immer, neu zugelegt haben.

Von den Familiennamen vor dem 30jährigen Krieg haben sich fünf bis in die Gegenwart erhalten: Die Metzgers wurden schon erwähnt, ebenso die Werners, die zweifellos aus Schandenbach stammen. Hess sind erstmals 1533 im Dorfe zu belegen, Pfeiffers 1552. Am schwierigsten ist die Herkunft der Rettigs zu ermitteln. Die in unserem Dorfe ansässigen Linien kommen einerseits aus dem Raum Knoden/ Schannenbach / Hohenstein um 1500. Eine weitere Linie stammt aus Mitlechtern um 1800. Es sind aber auch Rettichs von Knoden nach Zell gezogen, auch andere kleinere Linien sind zu verfolgen, so daß ein klares Bild nur schwer zu gewinnen ist. Der Name „Rettig“ scheint sich von der „Rodung“ herzuleiten, ähnlich wie Röder. Die alten Schreibweisen lauten: Retgen, Redgin, Rettgen, Rettge, Rödig, Rödtge mit weiteren Varianten. Ein Gronauer Flurstück heißt „Im Rödchen“; 1611 „Im hohen Rettgen“ und „Im hohen Rettich“, wobei es sich um eine kleine Rodung handelt.

Aus dem Pestbericht von 1503 konnten bereits Angaben über die frühere Bevölkerung entnommen werden. 1564/65 folgte ein weiterer Pestzug mit 29 Toten, und 1573/74 brachte die furchtbarste Bilanz: „Das Dorf hatte damals 34 Häuser, demnach etwa 180 Einwohner. Davon sind (...) 77 Personen gestorben.“ (32). Und:

„Auffällig ist, daß sowohl im Jahre 1564 wie im Jahre 1573 die Pestfälle in den Monaten September bis Januar auftraten. Das mag damit zusammenhängen, daß der Überträger der Pest, wie man erst 300 Jahre später entdeckt hat, der Floh der Hausratte war. Wahrscheinlich hielten sich die Ratten in der kühleren Jahreszeit überwiegend in den Häusern auf, und ihre Flöhe kamen dann eher mit den Menschen in Berührung.“ (n. Kunz)

p36

Im Winter wohnten die Menschen eng beieinander und mit der Hygiene war es in der kalten Jahreszeit noch schlechter bestellt als im Sommer. Hans Sedlers Haus (Pest von 1503) stand auch unmittelbar am Bach. An der Kirchenmauer unterhalb des dortigen Friedhofs lag zudem ein Brunnen, der gewiß oft infiziertes Wasser führte.

Neben den genannten Pestzügen sind nur noch Einzelfälle in den Jahren 1568 und 1586 bekannt. Uber die schweren Seuchen des 30jährigen Krieges erfahren wir nichts, da das Kirchenbuch zwischen 1621 und 1646 keine Eintragungn enthält.

Die Seuchen bedeuteten neben dem unsagbaren Elend der einzelnen Familien auch einen Rückschlag für die gesamte Bevölkerung und ihr Wirtschaftsleben. Während des Zuges 1573/74 sind zwei Familien völlig ausgestorben, bei anderen gab es nur wenige Überlebende. Die verwaisten Huben waren wohl manchmal sehr wohlfeil zu haben.

Wenn 1503 „by funffzig / alt vnd jung“ starben, so war das etwa ein Drittel der Bevölkerung, 1564/65 etwa ein Fünftel, und für 1573/74 sind mehr als 45% anzunehmen. Es scheint aber, daß sich die Einwohnerzahl nach einiger Zeit immer wieder eingependelt hat. Folgende Übersicht mag das verdeutlichen (33): (Auszug aus der Bevölkerungsstatistik nach Kunz, geschätzte Zahlen in Klammern):

Jahr Häuser Familien Einwohner
1422
1503
1533
1542
1564
1574
1600
1623
(22)
(30)
(30)
(30)
(34)
(34)
(—)
(—)
22 Männer
40 Steuerzahler
27 leibeigene Männer
29 Steuerzahler
34 Hausgesessene


37 huldigende Untertanen
(160)
(180)
(160)
(150)
(180)
(120)
(160)
(200)
(Forts. s. 30jähr. Krieg)

Trotz der Seuchenverluste bewegen sich die geschätzten Einwohnerzahlen immer um 160. Das Ansteigen um 1542 bis 1564 zeigt, daß unter ungestörten Verhältnissen die Dorfbevölkerung stetig gewachsen wäre. 1574 erkennen wir den Rückschlag durch die große Pest, dann steigt die Einwohnerzahl auf geschätzte 200 Personen an, ein Wert, der aber nur noch drei Jahre anhält.

Es kamen natürlich auch andere Krankheiten hinzu, besonders seuchenähnliche Kinderkrankheiten, denen man noch machtlos gegenüberstand. Da sind vor allem die „Barbeln oder Durchschlechten“ (=Pocken) zu nennen und die Rote RuhLDer Tod im Kindbett und die Säuglingssterblichkeit Waren sehr groß. Vielleicht erkannte man gelegentlich auch Gründe dafür. 1594 schreibt der erzürnte Pfarrer: „Margret/ Peter Heßen Fraw / starb in der Kindsnot durch Fahrleßigkeit der Weiber und Ammen“.

p37

Unter den seltenen Todesursachen finden sich ein Fall von Lepra, einmal ein Tumor, beide 1574, ferner 1595 ein Fall von „morbo gallico“ (wohl Syphilis).

Sonst heißt die Sterbeursache, besonders bei älteren Leuten, einfach „Schwachheit“, eine allgemeine Bezeichnung für Krankheit. Unter „Hauptschwachheit“ ist wohl meist Tuberkulose zu Verstehen. Schließlich kamen hier und da natürlich Arbeitsun- fälle als Todesursachen vor, etwa der Sturz von der Heufuhre oder vom Baum.

Von einem dramatischen Todesfall durch „Gewalteinwirkung“ ist noch zu berich- ten, der die ganze Dorbevölkerung aufgestört haben muß:

„Anno Domini 1593 / Mittwoch den 11 Januarij ist Peter Becker . / christlich zur erden von der ganzen Gemeinde Grunaw bestattet worden / hat Hans Becker (Vater) der ermeldet Gemein einen daler zu Vertrincken geben. / Vor gedachter Peter Becker aber ist 23 Jahr alt gewesen, / denn er Ao. 74 (...) getaufft (...) / Seinen Todt aber belangend hat sich die Sach alß gehalten / Als er (...) seinen Petter (Taufpaten) Peter Schützen das Neu Jahr gebracht haben er / sein Bruder Cuntz / Peter Schütz Vnd Hanns Schütz mitt einander gezecht / vnder der Zech mit einander sich in den Hof hünab begeben / allda mit de.. Word.. (.9) Vnd einer bloßen Wehr / welches Peter Beckers gewesen / Vnd Schütz Hans solches aus der Scheide gezogen / gegeneinander gefochten Vnd dabei Wunden (P?) ...“

Leider ist anschließend die Schrift ganz unleserlich geworden, sei es, weil dem Schreiber die Tinte ausgegangen ist und er in der Erregung zum Wasser griff, oder daß später ein Löschversuch unternommen wurde, weil irgenwelche Bedenken auftraten. Es entsteht jedenfalls nicht der Eindruck, daß irgendeine Beschuldigung erhoben worden sei, eher ist an ein ungewolltes Versehen, an einen Unglücksfall zu denken.

Wenn bisher Vorwiegend von Bauern die Rede war, so hat es im Dorfe in wechseln- der Anzahl auch stets Handwerker gegeben. Berufe wie Metzger und Wirt werden zwar selten genannt, sind aber vertreten und wurden wahrscheinlich meist nebenbe- ruflich von Bauern ausgeübt, z.B. war Jörg Jerig gleichzeitig Metzger und Huben- bauer. Schneider und Schuster wurden gern von zweiten und dritten Söhnen der Bauern als Beruf gewählt. Sie treten dann als „Beisassen“ auf, waren keine „Gemeinsmänner“, keine vollberechtigten Ortsbürger‚ besaßen aber ein kleines Haus, vielleicht auch eine kleine Scheuer und etwas Land, stets etwas Weinberg, wohl auch eine Ziege.

Ein offensichtlich besonders geachteter Beruf war der des Benders oder Küfers, den nur Hubenbauern ausübten. Als „Hofküfer“ oder „Herrschaftlicher Küfer“ mußte einer von ihnen die Herrschaft zu Schönberg versorgen.

Demgegenüber kamen die Schmiede mit wenigen Ausnahmen von außerhalb, blieben auch oft nur einige Jahre. Von manchen ist nur der Vorname bekannt: „Endres der Schmied“ oder „Meister Nicolaus der Schmied“. Erst von 1602 bis 1615 ist ein Schmied, Hans Reuschel, für längere Zeit hier geblieben.

p38

Hier eine kleine Übersicht von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis um 1618:

Name Beruf Zeitraum etwa Bem.
Metzler‚ Bastian
NN, Georg, aus Wimpfen
Schneider, Caspar
Hoffmann, Georg
Jerig, Jörg
NN, Endres
NN, Nicolaus
NN, Martin
Wild, Leonhard
Kolb‚ Veltin
Koch, Hans
Hämmerlein, Georg
Reuschel, Hans
Meinzer, Hans
Sattler, Nickel
Sattler, Georg
Schott, Ulrich
Schott, Hans
Metzger, Philipp
Metzger, Peter
Kolb, Bernhard
Groß, Jacob
Groß, Dietrich
Schwöbel, Georg
Berner, Hans Ulrich
Bender/Küfer
Bender/Küfer
Bender/Küfer
Leinweber
Metzger
Schmied
Schmied
Schmied
Schmied
Schmied
Schmied
Schmied
Schmied
Schneider
Schneider
Schneider
Schuhmacher
Schuhmacher
Wagner
Wagner
Zimmermann
Zimmermann
Zimmermann
Zimmermann
Zimmermann

um



vor
um
um
um
um








um






1550-1588
1611-1615
1612
1589-1608
1537-1568
1564-1565
1579
1582
1584
1586
1589-1597
1593-1594
1602-1615
1575-1603
1591-1612
1611-1619
1556-1606
1585-1613
1597
1613-1619
1562-1577
1598-1600
1604-1608
1616-1619
1616-1620
(†)


wohl eingesessen
(† Pest)
(†)





wohl bei Hans Koch




(†)




(verzogen)



Die zu Beginn des Krieges erwähnten Namen können natürlich noch längere Zeit im Dorf ansässig gewesen sein, doch geben die Quellen darüber keine Auskunft. Als Gastwirt kennen wir in der besprochenen Zeit nur Hanß Kreiß, den „Wurt“, der 1567 wegen einer Schlägerei in seinem Haus genannt wird. (34) Es bleibt noch die Gruppe der Hirten, aus der wir die Namen von 8 Kuhhirten kennen, doch waren zeitweilig zwei gemeinsam tätig. Die einheimische Familie Odenheimer stellte nacheinander drei Hirten.

Im Gegensatz zu späteren Zeiten sind keine Namen von Schweinehirten überliefert. Als Kuriosum sei hier noch des einzigen Landsknechts gedacht, der im Kirchenbuch genannt wird. Es ist Stephan Wechter aus Freiburg im Breisgau, der 1582 die Witwe Gertraud Steinbach aus Ursell heiratete.

p39

6. Recht und Ordnung

Die hohe Gerichtsbarkeit, die nur schwere Vergehen ahndete‚ unterstand von jeher dem Zentgericht auf dem Landberg bei Heppenheim. Die Erbacher hatten sich aber weitgehende Gerichtsbefugnisse, natürlich auch die Ortsgerichtsbarkeit bewahrt. Ehe wir zur Besprechung derselben übergehen, sei von einem eher beiläufigen Fall berichtet, der aber den Schauplatz und die örtlich auftretenden Probleme aus dem behandelten Zeitabschnitt heraus lebendiger werden läßt. Der hier angesprochene Fall drehte sich um Pfarrgerechtsame, die ja ständig gefährdet waren, verteidigt und präzise ausgelegt werden mußten.

Zu ihnen gehörte auch der bereits bekannte „kleine Zehent“. Er umfaßte verschiedene Abgaben teils pflanzlicher, teils tierischer Produkte, unter anderem auch den „Ferkelzehent“. Das konnte recht komplizierte Rechnungen ergeben, besonders, da beispielsweise in Schandenbach zwei Drittel an das pfälzische Amt Lindenfels, ein Drittel aber an den Gronauer Pfarrer gingen. In Zell war es umgekehrt: Ein Drittel ging noch an den Bensheimer Pfarrer und zwei Drittel an den zu Gronau. Diese Anteile mußten für jeden Wurf berechnet werden, wurden aber meist in Geld erstattet. Da war es üblich und notwendig, Präzedenzfälle festzuhalten, die später wieder als Beweise dienen konnten:

„Anno 1598. Sind Bastian Cuntzen zu Grunaw von einer Morcken (=Muttersau) 7 Ferckel gefallen, von welchen eines unter den 7 Wochen — so der Zehend fällig — stirbt (=innerhalb der 7 Fälligkeitswochen für den Zehten). Als ich hernach meinen Zehendt fordert, gab er zum Bescheid, er wer (wäre) mir nicht mehr als die 6 (Ferkel), jedes mit dreyen Pfennigen abzulösen schuldig, denn das sibendt were ihm gestorben. — Ich, M. Rhelin aber sagt, ich wer damit nicht zufriden, sintemahlen ich bei meiner Pfarr ein ander Gerechtigkeit wüßt (=andere Auslegung), weil solches (Ferkel) keinem Theil allein gestorben (=der Verlust betrifft beide Teile), vnnd ich meinen Zehendt noch nicht vssgezogen habe. — Derwegen, als ich der Gemein Grunaw disse berürte Gerechtigkeit für hielte (vortrug) erkanndt sie einhellig dahin, daß wir uns selbst mit einander sollten vergleichen, welches wir beede wohl zu friden waren. Darumb Bastian Cuntz mit mir accordiret also: Gab mir für meinen Zehenden 8 Albus 2 Pf., sonsten aber hätt zur selbigen Zeit ein Ferkel vmb 13 oder 14 Albus verkaufft mögen werden.- Geschehen vnnd verhandelt vor einer gantzen Gemeinde zu Grunaw / daselbsten vnder der Linden / Sambstag den 8. Julij anno 1598. Vffgezeichnet ad memoriam Successorum (=zum Gedächtnis für meine Nachfolger)“.

Nicht weniger als fünf solcher Einträge liegen vor, ein Zeichen dafür, wie wichtig derartige Dinge für den Pfarrer sein mußten, die uns heutigen vielleicht nebensächlich erscheinen. Solange noch kein Rathaus bestand, wurden alle Angelegenheiten von öffentlichem Interesse „vor der ganzen Gemein“ und „unter der Linde“ verhandelt. Es bestand auch ein viel größeres Interesse des einzelnen an allen Geschehnissen im Dorf, abgesehen davon, daß die Teilnahme an den Verhandlungen auch zu den Pflichten des Ortsbürgers gehörte. Vor allem tagte ursprünglich unter der Linde das „Haingericht“, das Ortsgericht also, das später ins Rathaus verlegt wurde, wohl noch vor 1600. Bis dahin wird man sich bei extremer Witterung in der Kirche versammelt haben.

Glücklicherweise wurde die Gronauer Haingerichtsordnung im Jahre 1765 von dem erbachischen Landmesser und Schatzungsschreiber im Amt Schönberg, Johann Wilhelm Grimm‚ erneuert. Wir kennen ihn schon als Zeichner der kleinen Vignette mit Kirche und Hof. Die Erneuerung geschah auf Wunsch des Schultheißen Johann Konrad Pfeiffer und auf Grundlage der alten, damals noch vorhandenen Vorlage. R. Kunz (35) vertritt die Ansicht, daß „Nicht nur die Benutzung alter, längst aus dem Gebrauch gekommener Münzangaben (Albus, Pfund, Heller) zeigt, daß die Ordnung sicherlich in ähnlicher Form schon lange vor dem 30-jährigen Krieg bestanden hat“. Damit sind wir zeitlich in der gerade behandelten Geschichtsperiode unseres Dorfes, im 16. Jahrhundert. — Und noch ein Zitat:

„Besonders wertvoll an der Gronauer Ordnung ist, daß ihr ein Vorspann vorausgeschickt ist, in dem der Verlauf eines Haingerichts in allen Einzelheiten beschrieben ist. Diese einzigartige Darstellung, zu der uns kein ähnliches Beispiel im südhessischen Raum bekannt ist, soll hiermit ebenfalls veröffentlicht werden, weil sie dem Leser einen unmittelbaren und lebendigen Eindruck vom Ablauf eines Haingerichtes vermittelt, auch zeigt, wie wirklich demokratisch es damals in der gemeindlichen Selbstverwaltung zugegangen ist“:

„Nach der herrschaftlichen Verordnung soll das Haingericht jederzeit nach dem Neuen Jahr, sobalden die gemeine Rechnung aufgesetzt ist, gehalten Werden. — Wenn nun der herrschaftliche Schultheiß solches hegen und halten will, so wird tags vorher durch den Burgermeister (das war der Gemeinderechner, im 16. Jahrhundert „Rechenmeister“) die Gemeinde bei einer namhaften Straf hierzu aufgefordert, frühe um soviel Uhr auf dem Rathaus zu erscheinen. Die Gerichtsschöffen werden aber eine Stunde früher in des herrschaftlichen Schultheißen Haus bestellet, von daraus sich diese miteinander auch auf das Rathaus verfügen. Sobalden sich solche nun allda eingefunden, läßt der Schultheiß mit der Kirchenglocken drei Zeichen läuten, damit die Leute sich eiligst versammeln. Nach Verweilung einer Viertelstunde werden vom Schultheiß die Namen in der Gemeinde abgerufen, ob sie alle erschienen.“

Das eigentliche Gericht setzte sich aus dem Schultheißen als Beauftragten der Herrschaft und den Gerichtsschöffen oder Beisitzern zusammen.

Alle Vollbauern der Gemeinde bildeten die Gruppe der „Gemeinsleute“. Sie waren zu unterscheiden von den „Beisassen“, den Ortsbewohnern ohne volles Bürgerrecht.

„Hierauf spricht der Schultheiß zu der Gemeinde also: Da wir nun alle beieinander versammlet sind, unser jährliches Haingericht zu hegen und zu halten, so helfet mir, den göttlichen Beistand hierzu zu erbitten, und bete jeder zuvor ein gläubiges und andächtiges Veterunser.“

Das „Hegen und Halten“ des Haingerichts verlief nach einem umständlichen Ritus, in Zell etwa nach den gleichen Regeln. Unter anderem heißt es:

„Hierauf macht der Schultheis den Anfang und spricht: So hege ich demnach das Haingericht im Nahmen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen. Nun wohlan, ihr ehrsame liebe Brüder und Beysitzer! Nachdem wir nun unser jährliches Haingericht wollen hegen und halten, solches aber ohne Umfrag nicht geschehen kan, so ermahne ich euch, daß ein ieder sein bedencken und mir alle gemeine Sachen richten und schlichten helfen wolle, nach Gerechtigkeit, nicht nach Gunst, weder Freundschaft noch Feindschaft anzusehen. Solt mir demnach hierauf Handgelöbnis geben, daß ihr diesem getreulich ohne Heucheley und Arglist nachzukommen gedencket.“

Danach folgte die Verlesung der Verbote (es waren deren sechs) und 30 Gebote, die alljährlich die Ordnungsbestimmungen der Gemeinde dem einzelnen Einwohner in Erinnerung brachten. Zu den Verhandlungspunkten gehörte die Aufnahme neuer Ortsbürger als Gemeinsmänner oder Beisassen‚ das Vorlesen herrschaftlicher Verordnungen, natürlich die Rechnungsvorlage durch den „Bürgermeister“, die Einsetzung und Verpflichtung eines neuen „Bürgermeisters“ und die Behandlung von Klagen und Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde.

Dann wurde das Haingericht wieder mit einem Vaterunser abgeschlossen. „Wenn dieses geschehen — und der Gemeind wird was zu verzehren gegeben — sagt der Schultheis: Es hat der liebe Gott einen Trunk bescheret, den ihr in der Stille ohne Tumult mit schuldiger Danksagung und Ehrerbietung unter der Warnung, wie es Christen geziemt und gebühret, genießen sollet. Wer dabei Zänkerei und Schlägerei anfänget, sich mit üblen Schmähreden, unnötigem sündlichen Fluchen und Schwören und gottlose Vermeßungen, dadurch der Name Gottes entheiliget, seine so edle Gaben gemißbrauchet und die gemeine Ruh und Wohlstand gestöret wird, vergehet, die ganze Haingerichtszehrung — herrschaftliche Strafe daneben Vorbehalten — zahlen solle. Auch ist es keinem erlaubt, ohne Erlaubnis in der Rathausstuben Tabak zu rauchen. Untersteht sich einer, solches deßenungeachtet zu tun, der soll der Gemeinde 1 Maß Wein (pro Kopf) zur Strafe geben. Wornach sich also ein jeder zu achten, vor Schaden zu hüten und sich hernach mit keiner Unwißenheit zu entschuldigen hat.“

Die genannten 30 Gebote der Haingerichtsordnung im engeren Sinne behandeln Vorschriften zur Brandbekämpfung, Ordnung in und um das Haus, Einhaltung der Grenzen der Äcker und Sicherung der Grenzsteine und der Ackergeräte, Be- und Entwässerung, Diebstahl in Wiese, Feld und Wald, Wegebau und „Handfrohnden“ für die Gemeinde, Erhaltung der „Bannzäune“ (um das Dorf) und das Verhalten im Dorf, vor allem bei „Mordgeschrey“, also Hilferuf, der zur sofortigen Hilfe durch Anwesende verpflichtete.

Noch einige Bemerkungen zu den „Handfrohnden“. Es handelte sich dabei meist um die Instandsetzung der Wege oder des Bachbettes. Nach Möglichkeit wurde dazu in den arbeitsärmeren Zeiten aufgerufen. Verpflichtet waren sowohl die Gemeinsmänner als auch die Beisassen. Versäumnisse wurden hart bestraft. Hinzu kamen Handarbeiten und Frohnfuhren für die Herrschaft. Letztere konnten unter Umständen weit führen und bedeuteten stets spürbare Arbeitsausfälle in der eigenen Wirtschaft.

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Die Wegearbeiten waren an den steilen Hängen ein Dauerproblem, besonders auf dem Schönberger Weg, der vom östlichen Talweg zur Höhe auf den „Fahrweg“, diesen entlang und dann wieder hinab ins Tal und zum Schloß führte. Pfarrer Martin Walther von Reichenbach berichtet in seiner Chronik (36): „Den 28. Maij (1616) ist der Weg von Schönberg nach Gronau durch den ganzen Umstand huius praefec- turae (=alle Gemeinden des Amtes) erweitert und gebesert worden.“ Im Rahmen der Handfrohn sind sicher auch die Pflasterungen durch die Schliefenbach hinauf nach Schannenbach sowie der „Steinige Weg“ im Süden unseres Tales geschaffen worden. Walther berichtet von ähnlichen Unternehmungen in Reichenbach, Elmsund Wilmshausen.

Kriegerische Unruhen belasteten ebenfalls mit Einquartierungen und Durchzügen vor allem die jüngeren wehrfähigen Einwohner. Man muß auch bedenken, daß selbst „befreundete“ Truppen oder solche ohne unmittelbaren kriegerischen Auftrag eine ständig wiederkehrende Gefahr bedeuteten. Bei Walther lesen wir a. a. O.: „Den 5. Junij 1615 ist viel Kriegsvolk aus Niederland die Bergstraße herausgezogen nach Savoien, derowegen in Dörfern Tag und Nacht fleißig gewacht worden. Wacht gehalten:

12 Mann von Zell zu Seeheim in der Kellerei (das Amt Seeheim gehörte bis 1714 zu Erbach)

12 Mann von Gronau zu Jugenheim, 10 Mann von Reichenbach zu Schönberg.

Unsere gnädigen Grafen und Herren sind selbst zu Seeheim persönlich bei dem Obristen gewesen, um Schaden zuvorzukommen, und ist der Durchzug solches Volks zu Bensheim geschehen den 21. Junij 1615.“

Und: „Das niederländische Kriegsvolk ist kaum vor 3 Wochen hier hinaufgezogen, ist wieder abgedankt und auf dem Rhein wieder hinabgeführet worden den 5. Julij 1615.“

7. Die Gronauer Fluren

Nicht umsonst zeigt ein Gerichtssiegel von 1766 für Zell den Weinstock, für Gronau aber einen Baum als charakteristische Merkmale. Der Anteil der Gronauer Gemarkung an Wald betrat noch heute 55%. Er unmgibt im Süden, Osten und Nordosten den Gronauer Talkessel. Unter Hinweis auf die Entstehung der Gronauer Dorfgemarkung um 1387 schreibt R. Matthes:

„Die auf diese Weise entstandenen neuen Dorfgemarkungen umfaßten aber nur die Feldmark, während die ausgedehnten Waldbezirke als gemeinsames Eigentum, als sogenannter „Märkerwald“, unter der Oberherrschaft der Stadt Bensheim weiter bestand. Das „Märkergericht“, eine Körperschaft, die aus Vertretern der einzelnen Ortschaften gebildet war, sorgte für Gerechtigkeit und Ordnung bei der Pflege und Nutzung des Waldes. Trotzdem führte dieser Zustand zu ständigen Streitigkeiten, denn die Bauerndörfer konnten sich mit dem Gedanken nicht abfinden, daß die Stadt Bensheim in solch unmittelbarer Nähe der Ortschaften so große Waldgebiete besitzen sollte. Immer wieder im Laufe der Jahrhunderte lehnten sich die Bauern gegen dieses „Unrecht“ auf und versuchten, das Joch der Bensheimer abzuschütteln. — Immer wieder waren die Bensheimer gezwungen, durch Pergamenturkunden und umfangreiche Zeugenverhöre ihre „Obermärkerschaft“ nachzuweisen.“

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Wir kommen auf dieses Thema zurück.

Die sich von Zell heraufziehenden Weinlagen im Norden enden etwa mit der Flur „Hinter den Zäunen“ auf der Höhe der Talmitte. Sie gehen dann in Grünflächen, Äcker oder aufgeforstetes Land über. Im Tal liegen Wiesen und Äcker, letztere heute zu einem großen Teil aufgelassen und als Weideflächen genutzt.

Der gegenwärtige Anblick der Gemarkung täuscht darüber hinweg, daß ursprünglich alles, was nur irgend zum Ackerbau taugte‚ auch unter dem Pfluge lag. Das typische Wiesenland beschränkte sich auf feuchte Gebiete, und auch im Walde wurden im Bereich der Klingen viele kleinere Flächen als Wiesen genutzt. Sie sind heute zum größten Teil aufgeforstet und nicht mehr erkennbar.

„Hye nach volgent die drye gemeyn felder...“ heißt es im Register von Knapp. Seit dem Hochmittelalter waren die Fluren dreigeteilt. Das War die „Dreifelderwirtschaft“, eine Wirtschaftsform‚ die durch gemeinsamen Fruchtwechsel eine optimale Flächennutzung ermöglichte. Im ringsum abgeschlossenen Gronauer Talkessel läßt sich diese Aufteilung ungestört verfolgen.

Die gesamte Ackerfläche (mit nur geringen Ausnahmen) gliederte sich in „Oberfeld“, „Mittelfeld“ und „Unterfeld“. Ersteres erstreckte sich etwa vom „Hintenaus“ über die östlichen Fluren bis zur „Pitz“, das Mittelfeld reichte von dort bis zum „Eichelsgrund“ und zum „Mannsrain“ (dem heutigen Schießrain) und das Unterfeld umfaßte die Ackerflächen am heutigen „Auberg“ (früher „Appenberg“) bis zur Zeller Grenze sowie die Fluren am „Hartmannsrech“, Pfaffenrech“, teilweise auch am „Hintenaus“, soweit sie nicht Wein trugen.

Wenn das Oberfeld Wintergetreide trug, stand auf dem Mittelfeld Sommerung (=Hafer, Gerste), während das Unterfeld brach lag, sich erholte und als Viehweide diente, da ja andere Düngung weitgehend unbekannt war. Eine solche Wirtschaftsweise bedingte aber, daß jeder Bauer nach Möglichkeit auf jeder der drei Fluren auch eigenes Ackerland haben mußte, wollte er nicht zeitweise auf eine Ernte verzichten weil sein Acker brach lag. In diesem Sinne nannte man auch die Erträge der Dreifelderwirtschaft „unständig“, etwa im Gegensatz zum Weinberg, der ja ständige Ertrage lieferte. Da die Pfarrer ihre Abgaben nicht von Bauern sondern von den betreffenden Ackerflächen bezogen, schrieben sie in ihr Büchlein: „wan es dregt vnd was es dregt“, nämlich wenn es überhaupt trägt und nicht brach liegt und was es trägt, nämlich Winter- oder Sommergetreide.

Die Bewirtschaftung der drei gemeinen Felder verlangte vom Bauern aber auch, daß Saat und Ernte zur gleichen Zeit begannen, das war der „Flurzwang“. Dafür wurde das Vieh auf der gemeinsamen Brache vom „gemeinen Hirten“ geweidet bzw. gehütet:

„Zum neunten verbiete ich auch, daß wo flürlich gebauet wird, keiner ohne Erlaubnis der Gemeinde Frucht ins Brachfeld bauen (=bestellen) solle...“ heißt es in der Haingerichtsordnung.

Die Äcker lieferten ja die Grundnahrungsmittel. Von einer guten, mittleren oder schlechten Ernte war das Leben schlechthin abhängig, und da die Erträge nur gering waren, mußte auch jede denkbare Fläche unter den Pflug genommen werden. Man übersieht heute zu leicht, daß vor nicht langer Zeit Fluren ackerbaulich genutzt wurden, die nun brach liegen.

Oben auf der „Hummelscheid“ kann man die Merkmale des Ackerbaues feststellen, der noch nach dem 2. Weltkrieg betrieben wurde. Überall dehnten sich Getreidefelder. Die mit Wintergetreide bestandene Flur muß zur Erntezeit mit ihren großen gelben Flächen ein eindrucksvolles Bild gegeben haben. Dazwischen standen schon immer die Obst— und Nußbäume, deren Anpflanzung und Schutz in der Haingerichtsordnung besonders hervorgehoben wird:

„Drey und zwanzigstens gebiete ich auch, daß ein jeder, so in hiesiger Gemeinde begütert ist, bei einem halben Gulden Straf Bäume auf seine Gütherstücke setzen und in gutem Bau (und) Beßerung (=Pflege) erhalten soll, dargegen verbiete (ich), daß keiner sich gelüsten laße, einen Obstbaum mit einem Hieb oder sonsten auf eine andere Art suche zu verderben. Solte einer angetroffen werden, der so verwegen und boshaft, solchen Frevel auszuüben, der soll ohne Bitte und Flehen mit drey Ortsgulden (=Viertel eines Gulden) abgestraft werden und an Stelle des verderbsten wieder einen anderen tüchtigen Stamm setzen.“

Wir sehen, das von Käthe Kollwitz so voll Begeisterung beschriebene Bild der Gronauer Flur hatte seine sehr materielle Begründung. In jenen Zeiten unsicherer Ernten, der Hungersnöte und allgemein niedrigen Erträge mußte tatsächlich jede Quadratrute ausgenutzt, jeder Feldrain, jeder Strauch als Eigentum gegenüber nachbarlichen Übergriffen verteidigt — aber auch nutzbringend verwendet werden. „Unter den Hübnern“ wurden nach der Größe ihres Besitzes ganze, halbe, Drittelsund Viertels-Hübner unterschieden. Sie bildeten den eigentlichen Bauernstand, sie waren stets Untertanen und Gemeinsleute.“ (37) Zur Hube gehörten bestimmte Ackerstücke, aber auch Wiesen. Auf einer noch zu besprechenden neu entdeckten Wegekarte von 1737 führt ein besonderer „Hubgüterweg“ in die Schliefenbach zu den dortigen Hubenflächen. Es konnten auch Äcker in ganz entfernten Waldgegenden liegen.

Jeder Eigenbesitz an Boden war gegen das Nachbargrundstück, an das er stieß oder „fürchte“, abgesteint. Hierfür waren die „Steinsetzer“ Verantwortlich, ein Ehrenposten wie der des „Gerichtsschöpfen“. Nur bewährten Gemeinsmännern wurde das Amt übertragen, für das eine gräfliche „Steinsetzerordnung“ bestand. Ihre Erneuerung von 1695 (38) trägt die Überschrift: „Der Alten Gebrauch, in der Hochlöbl: Graffschafft Steinsetzer Ordnung.“

Das bereits zu biblischen Zeiten aktuelle Problem der Grenzsteinverrrückung wird darin so behandelt:

„Drittens: Da auch einer oder mehr mit Willen oder Vorsatz einen Marckstein ausgrübe, umwürfe‚ auszackert oder anderswohin versetzt und wißentlich erfunden wirdt, der soll nach Anweisung von SA.L. Halßgerichtsordnung peinlich gestrafft werden.“

Schwierigkeiten für „Anrainer“, Anstößer“ oder „Nebenläger“ brachte das Beetpflügen mit sich: Der nach rechts wendende Pflug transportiert Erdreich von links nach rechts, eine ständige Bewegung in der gleichen Richtung. Um diesen Transport auszugleichen, mufS beim nächsten Pflügen die umgekehrte Richtung genommen werden:

„Zehendens‚ wofern einer seinen Acker das Jahr über mehr als einmal neben seinen Beforchten zusammenzackert, derselb soll 12 Pfennig zur Straf erlegen.“ und: „Eilftens, da einer oder der andre zu nahe an die Marcksteine zackert, wenn seines Nebenlägers oder Aufstößers Acker besamet ist, daß eine Furch von demselber herüberfällt, soll solcher, der freventlich handelt und seinem angräntzenden Nachbar Schaden dadurch suchet zuzufügen, 12 Pfennig zur Straf erlegen und den Schaden vergüten.“

Die Heuerträge der Wiesen bedeuteten die Grundlage für die Winterfütterung des Viehes. War das Heu verbraucht, mußten die Tiere mit Stroh oder Laub Vorliebnehmen oder es mußte geschlachtet werden. Das war ja auch die Ursache für die strenge Regulierung des erlaubten Viehbestandes.

Die Wiesen wurden also sorfältig gepflegt, vor allem bewässert. Das Wasser wurde durch die Klingen, viele kleine Waldbäche und Rinnsale herbeigeführt, dann mit Hilfe eines wohldurchdachten und sicher komplizierten Systems von kleinen Stauwehren und Gräben geleitet und auf die anspruchsberechtigten Anlieger verteilt. Es war im heutigen Sinne „bewirtschaftet“.

Hier sollen zunächst die bekannteren Bäche und Klingen aufgeführt werden:

Als Hauptzweig des Meerbachs sei die „Schliefenbach“ genannt, die als besonders reizvoller, auch besonders steil abfallender Wasserlauf die gleichnamige Flur in unzähligen kleinen Kaskaden laut rauschend über das Felsgestein zu Tale stürzt. Ihr wichtigster Parallellauf ist der „Rehklingen“. Er entspringt unterhalb Knodens im Bereich der „Bergwiese“.

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Im Süden tritt in der Nähe des aufgelassenen Steinbruchs der Klingen des „Trankstein“ zutage. Er wird im Westen vom Saubacher Berg begrenzt, der im Mittelalter „Der alte Kesselberg“ genannt wurde. Auf dessen Westflanke fließt die „Saubach“. Hinter dem nächsten Berg, dem „Eichelberg“ entspringt die „Lohrbach“, noch einen Rücken weiter der „Kandelborn“, der schon frühzeitig reguliert war, denn „Kandel“ bedeutet eine künstliche Rinne. Dann sei da noch das Rinnsal im Eichelsgrund erwähnt und auf der anderen Talseite „Schliefenklingen“ und das Bächlein der „Hummelscheid“, die „Humerts-Heiden-Klingen“ aus Knapps Register.

Der sorgfältigen Verteilung des Wassers nun diente folgender Artikel:

„Zum sechzehenden gebiete (ich), daß wo einer mit Wiesen begüthert ist, das Waßerwehr soll machen helfen und soll(en), wie solche in der Lage liegen — wenn ihrer viele darinnen liegen, zwey das Waßer haben (jeweils zusammen). Haben ihrer aber nur zwy oder drey daselbsten (Wiesen), soll einer um den andern wechselweis das Waßer aufwenden. Derjenige, so gegen diese Verordnung handelt und seinem Nachbar das Waßer heimlicherweise nimmt, der soll mit einem Ortsgulden abgestraft werden.“

Man soll nicht — was sicher auch gelegentlich Vorkam — seinem Nachbar „das Wasser abgraben“. Zwei weitere Punkte befassen sich mit dem unerlaubten Befahren oder Beweiden von Grasflächen.

Die bedeutendste Wiese war wohl die „Nächstwiese“ — wie ihr Name sagt, die nächste am Dorfe. Oft wurden die Wiesen einfach nach dem wasserspendenen Klingen genannt. Unter den Waldwiesen gab es die Lang- und die Breitwiese, die Berg- und die Knodener Wiese, nach der Lage, Buben-‚ Haunts- Steckertswiese nach uralten Besitzern benannt. Eine Ausnahme bildet die heutige „Knodener „ Wiese, die 1503 noch „gressit Klinge“, wohl nach dem rauschenden Bach und später gar „Streitwiese“ hieß, was sicher auf eine Auseinadersetzung mit Nachbarn hinweist. Die kleinsten und entferntesten von ihnen gehörten oft zum Pfarrgut: „1503 Wyß, heist im Drankenstein (...) ist was ungelegen und widt.“

Für das Vieh stand auch der Allmendbesitz, „die gemeine Alimenten“ zur Verfügung, Gemeindebesitz der Ortsbürger, aber in Gronau nicht sehr ausgedehnt. Der Flurname „Kühruh“ im Grenzbereich zwischen Gronau und Bensheim — lange Zeit Streitobjekt zwischen Bensheim und Amt Schönberg - erinnert daran, daß hier das Vieh im Schatten einer Baumgruppe ruhen konnte. Auch im Osten, an der Grenze nach Knoden im Bereich der „Bergwiese“, lag eine Almendweide. Schließlich war auch der Märkerwald eine Form des Almendbesitzes und hauptsächlich für die Schweinemast wichtig. Gute Bucheckern— und Eicheljahre spielten eine große Rolle. „Allmende“, also Gemeinbesitz bedeutete aber keinswegs beliebige Nutzung: „Auch soll zweyundzwanzigstens keiner sich unterstehen in unsern gemeinen Waldungen ohne Erlaubnis eine Stauden, es seye groß oder klein, zu hauen, bey einem Gulden Straf.“ Sträucher waren ja besonders für den Backofen, aber auch für den Bau von Zäunen und für mancherlei andere praktische Zwecke notwendig. Über die Wege sind wir neuerdings durch die Flurkarte von 1737 (39) besser unterrichtet. Sie ist auch die einzige Karte, die sowohl die Gronauer als auch die Zeller Flur umfaßt. Ihr Verfasser J. Wilhelm Grimm nennt vor allem die nicht sehr zahlreichen Hauptwege oder „gemeine Straßen“.

Da ist zunächst die „Zeller Straße“ zu nennen, „welche daraus auf Zell und Bensheim bey der Bort Mühle hinein gehet“. Im Dorfe Zell zweigt „ein Weg, so aus Zell nach dem Vordteren Waldt und Oberhambach gehet“ und der Weg von der „Stumpfen Mühl, so durch deßen Mühlhoff nach dem Vorderen Wald gehet“ ab. Der „Steinige Weg“ wird so beschrieben: „Weg nach dem Eselsberg so von Zell bey der Bort Mühl hinaus bis auf die Straßen und unten am Eselsberg in den Emeser Bühlweg sich ziehet“. Letzterer, heute Enserbühlweg, meist aber nur noch Schleifbergweg genannt, ist der Weg am Friedhof vorbei zum Sportplatz und weiter. Auf besagter Karte wird er so beschrieben: „Weg über den Emeser Bühl (=Ameisenbukkel) welcher beym Rath Hauß (auf dem „Römer“) hinaus in Eichels— und Eselsberg gehet‚ so forth bis in die Straßen welche linkerhandt nach Schannebach und rechter Handt nach Bensheim weiset / lauffet (=Forststraße).“ Von der heutigen Forststraße abzweigend sind der „Weg so unter dem Eichelsbrunnen im Wald fortlauffet“ und abzweigend der „Weg gegen die Schlieffenbach“ aufgeführt. Die Dorfstraße setzt sich im Osten fort und heißt im östlichen Teil „Schlieffenbacher Hubgüther Weg“, der sich dann in einige Seitenwege verzweigt.

Der heutige „Knodener Höhenweg“ wird überraschend „Landstraße“ genannt, welche nach Osten zu „. . ‚in die Finstern Höll im Märker Wald weiter gehet“, nach Westen über den Röderweg nach Bensheim führt. Der Höhenweg muß früher in seiner ganzen Länge „Vyerweg“ gehießen haben. So wird er schon 1503 genannt, und 1586 steht in der Beschreibung eines alten Grenzumganges (40) : „Vom Weißen Stein ufm Krewenberg (=Krähberg, Zeller Gemarkung) (...) so Bensheim, Zell und Gronau scheidet, bis an den vierweg (...) und weiter bei der Schencken Bannholz (=Bannels). Zwischen diesem Stein auswärts liegt der Vierweg auf Gronauer Gemarkung (wie heute auch noch), deßen sich Bensheim zu gebrauchen (=Benutzungsrecht der Bensheimer).“ Der Name „vyerweg“ ist wohl eher aus „Führweg“, also „Fahrweg“ herzuleiten, andernfalls vielleicht aus einem „Viehweg“. Die Verbindung vom Tal herauf heißt heute irrtümlich „Bei den vier Wegen“. So heißt heute auch ein Flurstück westlich des Höhenweges. Eigentlich müßte der steile Verbindungsweg „Schönberger Weg“ heißen. Hier fuhren die Gronauer Zinsfuhren — mit Vorspann — ihre schweren Lasten zur Höhe hinauf. Auf Grimms Karte heißt er „Der neue Weg welcher auf die Land Straßen ziehet.“ Er war damals wohl gerade erneuert, in guten Zustand versetzt und abgesteint worden, wie es auch die Karte ekennen läßt. An die Zentfuhren nach Schönberg erinnert auf der Höhe des Weges hinter dem Schneckenberg noch das „Weinloch“ : Nach der Überlieferung haben die Gronauer einmal einen besonders gut geratenen Jahrgang für sich selbst behalten, das Faß mit einem Wein-Wasser-Gemisch (wegen des Geruches) auf die Zentfuhre gepackt und über der Tiefe des „Weinlochs“ „verunglücken“ lassen. Es läßt sich gut vorstellen, wie die treuherzigen Spitzbuben mit dem gräflichen Zeugen an der „Unglücksstätte“ stehen. Später wird der Höhenweg auch einmal „Weinstraße“ genannt.

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Die besprochenen Hauptwege ermöglichten den Zugang zu den „Dreien Fluren“ nur in sehr beschränktem Maße. Es mag noch Feldwege gegeben haben, die Grimm nicht für so bemerkenswert hielt um sie in seine Karte aufzunehmen, doch bleiben zumindes die Zufahrten zu den einzelnen Ackerstücken zu besprechen. Dorthin führten die sogenannten „Schleifwege“ oder „Schleifen“, weil das Ackergerät dorthin geschleift wurde, direkt auf dem Boden oder mit Hilfe einer einfachen Schleife mit Kufen. Der Flurname „Auf der Schleif“ erinnert noch daran, dagegen ist dies beim „Schleifberg“ fraglich, da an seinem Fuße ‚einmal eine Schleifmühle gelegen hat. Die Schleifwege wurden nur solange als Wege benutzt, wie das unumgänglich notwendig war, um bestimmte Äcker zu erreichen. Anschließend bestellte man sie ebenfalls.

Neben den Hubenäckern hat es schon früh Privateigentum an Boden gegeben, wie der Flurname „Auf dem Eigenen“ besagt. In dem noch zu besprechenden Schatv zungsregister von 1715 sind recht ausgedehnte Flächen als Privatbesitz eingetragen. Dann sei noch auf die Sonderkulturen hingewiesen, über die wir leider nur selten etwas erfahren. Auf den Anbau von Linsen deutet der Flurname „Linsenberg“ hin, sie werden auch gelegentlich in den Kompetenzbüchlein genannt. Ein Eintrag bei Pfarrer Krug (um 1750) scheint zu bedeuten, daß Linsen stellenweise auf der Brache angebaut wurden.

Im Jahre 1575 lesen wir im einzigen Eintrag über Flachs: „In den kleine Zehenden zu Gronaw gehört Flachs vnnd Rüben vnd Nus. Hat diß Jahr 3 Neunling Flachs ertragen.“ Das ist nicht eben viel zu dem Thema, und wir wissen nicht, wie der Flachs in die Fruchtfolge eingebaut war.

Zu den Sonderkulturen sind auch die Krautgärten zu zählen, die außerhalb anderer Kulturen angelegt wurden und für die Alltagsernährung wichtig waren.

Die bedeutendste Kultur außerhalb der drei Fluren war der Wein. Als Grundlage für das verbreitetste Volksgetränk unserer Gegend hatte sein Anbau ungleich größere Bedeutung als heute. Er beanspruchte auch eine erheblich größere Fläche, was an vielen verwilderten Wingerten und Weinterassen zu erkennen ist. Die ältesten Winberge lagen am „Appenberg“ (=Auberg). Da sein Name noch sowohl Zeller als auch Gronauer Gebiet umfaßt, ist er älter als die vor 1387 entstandene Gemarkungs- grenze. Vielleicht gleich alt, jedenfalls von mindestens gleicher Bedeutung war das Gebiet auf der Steinfürst‚ deren warme Südhänge schon 1503 genannt werden und die bis heute Schwerpunkt des Gronauer Weinbaus geblieben sind. Der Name leitet sich von dem „steinernen First“ ab, der oben auf der Höhe zutage tritt. In seinem Gebiet lagen drei Wingerte, deren Namen überliefert sind: „Im Siegel“, an welches noch das „Ziggelspädche“ erinnert, und die noch nicht lokalisierten „Langes Viertel“ sowie „Kindelß Wingert“.

Die Höhe zwischen Steinförst und Schneckenberg wurde „Arnstein“ genannt. 1503: „acker — ist wingart gewest‚ hynden auß, heißt am arnstein.“ Dort sind ebenfalls heute noch Weinterrassen zu erkennen. Das trifft für den eigentlichen Schnecken- berg nicht zu, obgleich auch er in größerem Umfang Wein getragen hat. Die Terrassen am Mühlberg sind wenigstens teilweise noch gut zu erkennen. Da lesen wir von Weinbergen „Am mullenberg im Knoblochsgrund“. In der Gegend hinter der Klausenmühle lag auch der „Kellerswingert“, wohl ursprünglich Teil der Entlohnung eines Schönberger Amtskellers. Auch der „Neters Wingert“ muß hier gelegen haben, wohl nach einem verdorbenen Personennamen genannt.

Zu den sehr alten Weinhängen gehören auch die des Münzenbergers und der oberen Strieth. Dort trug ein Weinberg den ungeklärten Namen „Im Heuecken“. Die ebenfalls uralte Weinbauflur „Hinter den Zäunen“ grenzte nach oben zu, also nach Norden, an die Flur „Windkissel“, einen Hügel, der heute zum erwähnten „Eige- nen“ gehört: „. . ‚eyne wingart . am Winkißel oder Hinder den Zewn“. In dieser Gegend endet heute der Gronauer Weinbau. Ob er früher noch weiter nach Osten ausgedehnt war, ist ungewiß.

8. Die Dorfanlage bis zum 30jährigen Krieg

Den Ortskern im engen Sinne kennen wir bereits. Für die Zeit von 1422 bis 1574 können wir der Tabelle über die Bevölkerung einen geschätzten Bestand von 30 bis 34 Häusern entnehmen. Er wird sich bis 1623 noch etwas erweitert haben.

Die Grenzen der Bebauung erstreckten sich etwa von der Einmündung der Hintergasse im W bis zur Pitz im O und von der N-Seite der Hintergasse bis zum Anfang der Hambacher Straße. Sonach war das westlichste Anwesen zu Anfang des 16. Jahrhunderts das alte Stammhaus der Metzgers (Nr. 79, heute Marquardt), vielleicht noch der Hof Nr. 75 auf der anderen Bachseite.

Im Gebiet der Hintergasse weitete sich der bebaute Raum zum typischen Haufendorf, das von der Einmündung der Gasse beim Pfarrhaus an einen Straßendorfähnlichen Charakter annahm, wo die Giebelseiten der Wohnhäuser und Scheunen schon damals zur Straße zeigten.

Die gesamte Bebauung muß sehr locker gewesen sein, mit großen Abständen zwischen den Höfen. Hinter der südlichen Reihe lagen die Gärten, begrenzt durch den Steilhang. Die Flur darüber heißt heute noch „Ober den Gärten“. Ihr nördliches Gegenstück ist die Flur „Hinter den Zäunen“. An beiden Hängen zogen sich schützend und sichernd die „Bannzäune“ entlang und begrenzten das eigentliche Dorf.

Die Haingerichtsordnung sagt dazu:

„Zum siebenundzwanzigsten, was die Zäune um den Bannkreyß anbetrifft, soll ein jeder, so weit er an solchen begüthert ist, diesen zuzuhalten schuldig seyn, bey einem Ortsgulden (=% Gulden) Straf. Wenn aber einer seinen Zaun neben den gemeinen Weg setzet und die Stöpfel (=spitze Zweigenden) gegen den Weg wendet, soll die Gemeind Macht und Recht haben, solchen Zaun wieder wegzureißen und nach Belieben abzustrafen.

Und da sich jemand unterstünde‚ einen Zaun auf die gemeine Alimenten (Almend) oder sonsten auf seines Nachbarn Guth zu setzen, hat die Gemeinde eben auch die Macht, solchen nach Verdienst abzustrafen.“

Die Bannzäune faßten das Dorf zusammen, waren Symbol der Zusammengehörigkeit, des gemeinsamen Rechts und des Schutzes gegen die Tiere der Wälder. Wie andernorts wurden sie durch „Falltore“ geöffnet und geschlossen, wofür der jeweils letzte Benutzer verantwortlich war. Ihre Instandhaltung war Pflicht der jeweiligen Anrainer.

Die Gronauer Hubenbauern bewirtschafteten in der Regel „Zwei—“ oder „Dreiseithöfe“, deren offene Seite der Straße zugekehrt war. Das Wohnhaus, damals noch ein „Wohnstallhaus“ mit dem Kuhstall im späteren Vorratskeller, zeigte, wie gesagt, mit dem Giebel zur Straße, die beiden anderen Seiten wurden von Scheuer und Stallungen eingenommen. Diese Anordnung variierte aber je nach den örtlichen Gegebenheiten.

Für Kleinbetriebe gab es daneben die Anordnung, daß Wohnstallhaus und Scheuer in Firstrichtung aneinandergefügt waren. (41)

Diese drei Typen sind heute noch zu sehen.

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Wollen wir den Versuch unternehmen, uns das alte Dorf vorzustellen, müsseniwir von der Tatsache ausgehen, daß man bei Neubauten nach Möglichkeit die alten Fundamente benutzte, und da nur wenige Häuser in ihrer heutigen Substanz noch auf die Zeit vor dem großen Krieg zurückgehen, sind die meisten Altersangaben auf die Hofstätte, nicht auf das Gebäude bezogen. Mit Sicherheit uralt ist das Wohngebäude auf dem „Hof“. Auch das genannte Haus Nr. 79 (Marquardt) ist sehr alt und noch nicht unterkellert. Das erste Rathaus stand zweifellos an der gleichen Stelle wie der im vorigen Jahrhundert abgebrochene Folgebau. Es muß um 1600 entstanden sein und nahm einen Teil des Platzes vor dem heutigen Rathaus, aber auch einen Teil der heutigen Straßenbreite ein. Auch das Anwesen Nr. 85 (Lippe) muß zu den ältesten Höfen gerechnet werden, obgleich sich heute keine erkennbar altertümlichen Merkmale zeigen. Vielleicht gehört auch das kleine Haus Nr. 88 in diese Gruppe.

Es gelingt nur sehr selten, meist im Zusammenhang mit Kirche, Pfarrhaus und Hof, die Wohnstätte eines alten Gronauers im heutigen Dorf zu lokalisieren. Dann ist aber auch das annähernde Alter zu bestimmen.

Die Pest von 1503 brach in „Hanns Sedlers Hauss gegen der Kirchen vber“ aus. Hierfür kommt nur die Hofreite Nr. 92 in Frage. Im Keller befand sich noch vor kurzem eine alte ehemalige Außenmauer, die zu einem früheren und kleineren Haus gehört hat. Das Anwesen ist heute stark verändert.

Dann entnehmen wir eine schöne Lagebeschreibung dem Register von Pfarrer Busch von 1611:

„12 albus 6 Pfennig von Hauß Vnnd Hof bezahlt Conrad Ruell (er ist laut Eheregister Pförtner zu Schönberg) (später Nickel Werner) an der Kirch / beforcht (grenzt an) oben zu Peter Metzler der Schultheiß / vnden die Kirch selbsten / außen Jacob Metzlers Hofgut.“ Das ist der Hof Nr. 91 neben der Kirche gewesen, das Anwesen Thierolf, heute abgerissen. Es grenzte oben an das Sogenannte „Baueck“ (Nr. 95/ 97), wo demnach damals der Schultheiß Peter Metzger gewohnt hat. Zusätzlich treffen wir hier noch auf einen Hinweis auf Jacob Metzler „im Hoff“.

Besondere Beachtung verdient das Pfarrhaus. Die Hofreite muß schon von der Gründung des Kirchspiels an pfarreigen gewesen sein und hat wohl stets ein Pfarrhaus getragen. Die erstekonkrete Nachricht liefert wieder Martin Knapp:

„Anno Dmi. millesio quingentesio vndetio (1511) hab ich / Martino Knapp / der Zyt pherrer zu grunawe / ein funff gibbelet Haus gebaut / der Pharr zu gut / zu grunawe / das kost mich by 40 gl. (Gulden) / Hoff, got sall myner sell den Ion geben / bitt (du) auch got for mich.“ Die fünf Giebel bedeuten wohl Dachgauben. Das Haus ist 76 Jahre alt geworden — ein Hinweis auf die Kurzlebigkeit damaliger Bauten. Jedenfalls schreibt Pfarrer Ziegler (1586-97) unter Knapps Eintrag: „Ist abgebrochen Ao 1587 vnd wieder ein Newes an die Stat gebawet. cost vff 350 fl.“ Es ist also größer geworden als sein Vorgänger. Zieglers Haus hat die Verwüstungen des großen Krieges erlebt, danach ist sicher wieder ein Neubau notwendig gewesen.

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Wie sah es zu jener Zeit im Innern eines Pfarrhauses aus, wenn ein neuer Pfarrer eintraf? Pfarrer Ziegler schreibt:

„Geschirr vnd Hauß Rhaat
Ein (altter) schüßel schranck in der Kuchenn
Ein (alter beser) Tisch in der obern stuben
Zwey Faß / Eines New daz ander Altt
Soll ein pfarher dran sein (=sich darum bemühen), daz ihme ein Butter Zuber in die Kelter gestelt werde. Ist bei mir nit dahin gebracht worden.
Zween breiter back Diell / Ein Kelter Seyll (Ein) bapstisch allt Meßbuch / ist zerrißen vnd nichtig“

In zwei Pergamentseiten dieses alten Meßbuches waren die Kompetenzbüchlein der Pfarrer Krug und Dügel eingeschlagen. Sie zeigen schöne Initialen und konnten der Betrachtung jeweils beider Seiten wieder zugänglich gemacht werden.

Das Pfarrgrundstück wird im Register von Johannes Knesch (1578 bis 82) wie folgt beschrieben: „Die Pfarrbehausung im Dorff Gronauw sampt einem Baum- und Grasgarten darbey, stoßen ahn dreyen Orthen (=Seiten) vff den gemeinen Weg und Straßen im Dorff / Vff die vierte Seiten (ist) Anstoßer Georg I-Ieß seligen Erben...“. Das ist die Hofreite Nr. 94 (Dingeldein). Ihr damaliger Besitzer Georg Heß war gerade verstorben. Er ist ein Stammvater aller noch im Ort ansässigen Träger des Namens gewesen. Das heutige hübsche Fachwerkhaus ist freilich späteren Datums. Die Lage von zwei besonders interessanten Hofreiten dieser Zeit konnte leider noch nicht ermittelt werden. In seiner Reichenbacher Chronik schreibt Pfarrer Walther unter Nr. 187: „Herr Konrad Hoilin, Keller zu Schönberg, und Herrjohann Busch, Pfarrer zu Gronau, haben dieses Jahrs (= 1608) den Sommer durch ihre Häuser zu Gronau bauen laßen.“ Beide konnten sich nicht allzu lange ihres Besitzes freuen. Hoilin starb schon 1614 und Busch 1620. Die Anwesen wurden verkauft.

Ein Beispiel für Hintereinanderordnung von Wohnhaus und Scheuer ist das Anwesen Nr. 117. Das heutige Haus mit der Jahreszahl 1758 steht auf einem Viel älteren Fundament, über dessen Giebelseite hinaus es erweitert und durch einen mächtigen Eichenposten abgestützt wurde, sodaß darunter ein geschützter Freiraum für den Kellereingang entstand. Der Kellerhals zeigt: 1.P.1.H.8. Hier kommt als ältester Hofbesitzer nur Peter Heß d. Ä. in Frage, der 1618 geheiratet hat. Ähnlich liegen die Dinge weiter dorfaufwärts in der Hofreite Nr. 127. Auch hier wurde auf dem alten Fundament ein neues Haus errichtet. Der Kellerhals trägt die jahreszahl 1618. Es ist aber an einer verschlungenen „l“ zu erkennen, daß eine Änderung vorgenommen wurde, die unter Umständen auf einen vorhergehenden Bau hinweist. Ein früher über der Haustür und jetzt im Hausinnern befindliches Eichenbrett in Form eines Tudorbogens trägt 1619. Das wird das Datum der Fertigstellung sein. Mündlich ist überliefert, das Fachwerk sei von auswärts (Gernsheim?) gekommen. Ein reich verzierter Fenstererker ist leider verputzt.

In der Hintergasse ist das Anwesen Nr. 14 das einzige, das aufgrund eines Spitznamens als alte Hube erkennbar ist: Knapp nennt 1503 „Clesgern by dem Born“, womit der heutige „Gassenbrunnen“ gemeint ist, der in alten Zeiten von einer Klinge gespeist wurde.

Schräg gegenüber gibt uns das Anwesen Nr. 7/9 ein besonderes Rätsel auf: Nach einem Gerücht soll hier „früher“ ein „Kloster“ gewesen sein. Das ist aber nach Lage der Dinge ganz unwahrscheinlich, doch zeigten sich im Innern im auffallend dicken Mauerwerk des Erdgeschosses merkwürdige Nischen oder „Wandschränkchen“; an der Decke aus vermutlich späterer Zeit eine Stuckkante. Das Gebäude wirkt im Erdgeschoß altertümlich. Des Rätsels Lösung könnte so aussehen, daß wir hier den Sitz der besprochenen Bruderschaft vor uns haben. In seiner Besprechung des Themas hat Parrer Dr. Haupt (42) eine Interpretation des Begriffs „Bruderschaft“ im engen Zusammenhang mit dem des Mönchtums geliefert, wie sie in Gronau nicht zutreffend war. Vielleicht ist so das „Kloster“ ins Spiel gekommen.

Das schöne Fachwerkhaus Hintergasse Nr. 15 (Anwesen Schöneberg) ist leider nicht datiert, gehört aber sicher auch zu den ganz alten Höfen. Gegenüber, an einem Seitenweg, ist ein Keller in den Berg getrieben. Die in der letzten Ziffer unleserliche Jahreszahl 163? gehört schon mitten in den Krieg.

Andere Gronauer Häuser sind durch ihr stark geschwärztes Dachgeschoß als „Rauchhäuser“ anzusprechen. Von ihnen gehören sicher mehrere ebenfalls zu den hier zu besprechenden sehr alten Hofreiten. Über solche Häuser schreibt Heinrich Winter (41):

„Von der großen Rauchstube über der Küche wurde der Rauch nicht etwa in einen Schornstein durch die Dachräume geleitet. Er durchdrang die Rauchstubendecke, die deshalb siebähnlich gebildet war, und gelangte durch den (...) Dachraum, erfüllte ihn bis zum First und schwärzte Gebälk und Sparren. Ehedem besaßen die Häuser eine Strohdeckung, die so dicht war, daß der Rauch sie nicht durchdringen konnte. Er drückte sich durch das Stakwerk (...) und gelangte durch die kleinen Giebelfenster ins Freie. Mit ihren Läden konnte man den Rauchabzug regulieren und je nach Windrichtung . in die Giebelstuben leiten.“

Auf diese Weise wurden Dachgebälk und Vorräte durch den Rauch imprägniert und erhalten.

Von solchen Rauchhäusern sind in den letzten Jahren drei abgerissen worden. Die heute unbebaute Hofreite östlich der Kirche wurde schon beschrieben (Nr.91). Auch der Hof Hambacher Straße Nr. 1 gehört hierher. Vor allem ist aber das Haus Nr. 125 (Laut) zu nennen. Das Gebäude, nach mündlicher Überlieferung 1731 erbaut, stand auf einem sehr altertümlichen zweigeteilten Fundament. Es trug an der N0rd—West—Ecke des F achwerks, am „Wilden Mann“, anatomisch an der richtigen Stelle (43) den einzigen „Neidkopf“ unseres Dorfes, eine stilisierte augenlose Gesichtsmaske mit „Hexenknoten“ an beiden Seiten, zur Abwehr von bösen Geistern, Unwettern und anderem Unglück (zum „Wilden Mann“ siehe Balkenkonstruktion am „Kreuzerhaus“—Eckpfosten‚ auch mehrfach zwischen zwei Fenstern: Mittelpfosten, gepreizte „Beine“, gehobene „Arme“, dreieckiger „Kopf“). Sicherlich gibt es noch eine Reihe weiterer Rauchhäuser im Dorf.

Zu dem Versuch, uns das Dorf vor dem 30-jährigen Krieg vorzustellen, gehört auch die Frage der Mühlen. (44)

Ursprünglich gab es im Gronauer Tal nur „die Mul“. Sie war eine herrschaftliche Pachtmühle von der wir schon sagten, daß sie mit dem „Hof“ in noch nicht ganz geklärter Weise in Verbindung stand. Die 1427 erstmalig urkundlich erwähnte Anlage dürfte mindestens seit 1200 in Betrieb gewesen sein. Die ältesten bekannten Müller hießen „Mul Hans“ oder „Hanssmuller“. Diese Mühle wurde nicht als voll zum Dorfe gehörend empfunden, lag sie doch an der Grenze zu Zell und vom alten Dorf ein ganzes Stück entfernt. Der Verbindungsweg ist noch heute in einem kurzen Stück hinter der Mühle zu erkennen. Das war der „Eselstreck“, der einerseits über die untere Au zum Dorfe führte, andererseits die Verbindung nach Zell und über den „HartmannsrecW-Weg zur Höhe und auch zur Stadt bildete. Als um 1550-60 oben im Dorf eine Privatmühle entstand, wurde zur besseren Unterscheidung von der oberen und der unteren Mühle gesprochen. Woher der Name „Clausenmühle“ (erstmals 1587) stammt, ist ungeklärt. Die Müller kamen in der Regel von auswärts. Von ihnen ist die Aufeinanderfolge etwa ab 1584 interessant. Da ist zunächst Michael Wiesner Clausenmüller. Dann heiratet 1586 Matthes Eulhardt Von Schönberg Wiesners Tochter und wird dessen Nachfolger. Eulhardt stirbt 1604, und die Witwe heiratet nun dessen Nachfolger Philipp Krug, der aber auch bald stirbt, so dal3 die zweimalige Witwe nun auch noch den nächsten Clausenmüller Martin Stecher ehelicht, den sie ebenfalls überlebt. Sie scheint die Mühle noch bis in den Krieg hinein, Vielleicht mit Hilfe von Mühlknechten, geführt zu haben.

Unterhalb der Clausenmühle im Bereich der „Peters Strieth“ wird zwischen 1611 und 1644 eine „Schleiffmühl“ erwähnt, wohl eine kleine Anlage. Noch 1644 heißt es: „Von einem Acker im Schleiffberg‚ ober der Schleiffmühl.“

Von der Mühle oben im Dorf finden wir noch heute einen kleinen Rest in der Hofraite Nr. 120 (Rettig). Im hinteren Teil des alten Hauses findet sich ein altertümliches kellerartiges Gemäuer, in dem sich einst das Mühlrad gedreht hat. Es wurde durch den „Mühlkandel“ oberschlächtig mit Wasser versorgt. Dieser Mühlgraben begann am „Mühlwehr“, wo etwa hinter der heutigen Straße „Am Mühlkandel“ einerseits und dem „Wehrbuckel“ auf der anderen Bachseite das Wasser gestaut wurde. Der Graben überquerte die Straße wahrscheinlich in schräger Richtung und führte auf der anderen Seite — die Flur war hier ja noch frei von Bauwerken — etwa hinter der heutigen Häuserreihe entlang zur Mühle. Wenn wir uns die Verhältnisse etwas anschaulicher vorstellen wollen, müssen wir bedenken, daß die Niveauunterschiede damals ganz anders waren, der Bach längst nicht so tief eingeschnitten war und die Straße nicht so hoch lag. Hier wurde kürzlich bei Baggerarbeiten in 1,40 m Tiefe ein etwa 40 rn langer Knüppeldamm angeschnitten, eingebettet in blaugraue Sedimente, die Hölzer oberseitig deutlich abgenutzt. Die ganze „obere Au“ ist offensichtlich recht sumpfig gewesen.

Soweit die Mühlen vor dem großen Krieg. Der Bachlauf durchfloß das Dorf ziemlich willkürlich und zwang die „Straße“ bald auf der einen, bald auf der anderen Seite zu verlaufen. Das Bild von Fohr vermittelt eine Vorstellung davon.

Sicher sind nicht überall solche steinernen Brücken gewesen, oft mögen nur Stege die Überkreuzung ermöglicht haben, während die Fuhrwerke durch Furten ihren Weg suchten. Der große Bogen, den der Bachlauf in Richtung Hintergasse schlägt, scheint alt zu sein. Ob der auf dem Bild von Opfermann über den Dorfplatz fließende Arm eine Abzweigung war oder ins Gebiet der „künstlerischen Freiheit“ gehört ist noch zu klären.

9. Das Dorf im 30jährigen Krieg

Anfangs nähert sich der große Krieg nur langsam dem engeren Kreis unserer Heimat, und wenn zu Jahresbeginn 1618 der alte Pfarrer Busch zweimal einträgt: „Suspiria dvcimus“ (mit Seufzern führen wir...)‚ so ist das wohl mehr seinen Altersbeschwerden zuzuschreiben.

Sein Amtsbruder Martin Walther aus Reichenbach, der ihn schon wiederholt vertreten hatte, gibt in seiner Chronik (45) genauere Auskunft: Er berichtet von dem großen Kometen, der im Oktober 1618 zu Heidelberg erschienen war, von „Wunderzeichen (...) zu Darmstadt ob dem Kirchturm“ und von ersten Truppenbewegungen an der Bergstraße. Am 4. Mai 1619 ziehen auch die beiden jungen Grafen Johann Casimir und Georg Albrecht von Schönberg aus in den Krieg. Allenthalben werden Gebetsstunden „Wegen des böhmischen Kriegswesens und anderer (be-) Vorstehender Fehde“ angeordnet, für Schönberg jeden Mittwoch und Freitag; und wieder folgen Truppenbewegungen, und im Reichenbacher Tal werden 100 Schützen (Landmiliz) eingezogen. Im Oktober werden „130 Pferd und reisig Volk in die Stadt Bensheim gelegt“, wohin auch die beiden Erbacher Grafen kommen.

1620 übernimmt der junge Gronauer Pfarrer Johannes Metzler das Pfarramt in seinem Heimatdorf, zunächst nur mit ‘/a der Pfarrbesoldung. Aber schon im folgenden Jahr stirbt der alte Johannes Busch, 76jährig. Sein Tod ist schon nicht mehr im Kirchenbuch verzeichnet, die Einträge enden mit dem Jahreswechsel 1620/ 21. Der restliche Teil von Walthers Chronik ist leider verloren gegangen. Er war bis in die 30er Jahre geführt worden. Walthers letzte Vermerke handeln wieder von Truppenbewegungen, Geldentwertung, vom Rückzug der „Unierten“ (Protestan- ten) und Vormarsch Spinolas (des kaiserlichen Feldherrn). Einer davon berichtet von der bevorstehenden Übergabe Bensheims an Spinola und der Flucht zahlreicher Einwohner „in die umliegenden Städte und Dörfern (...) viel auch gen Reichenbach geflohen, welche aufn 6. Septembris allhie (d.h. zu Reichenbach) in der Kirche Bettag gehalten.“

Von nun an zieht die Kriegsfurie über das Land mit Einquartierungen, Gewalttaten, Plünderungen, Hungersnot und Seuchen. '

In Gronau stirbt der junge Pfarrer Johannes Metzler schon 1624 aus unbekannter Ursache: „Literis in Argent. Academia / dat operam Buschij / fit Adjunctus et patriae Ecclesiae Diaconus / Ao. 1620 et sequenti 1621 pastor. obdormivit in Domino die Ascensionis Christi / 6. Maij Ao. 1624.“ (MS 43) (Student an der Hochschule zu Straßburg / Helfer des (Pfarrers) Busch / wurde Gehilfe (Adjunkt) und Diakon an der Heimatkirche / anno 1620 und im folgenden 1621 Pastor / Starb im Herrn am Himmelfahrtstage d. 6. Mai 1624). Er war 33 Jahre alt geworden. Der Onkel des Pfarrers war Peter Metzler, seit mindestens 1606 Schultheiß zu Gronau, letztmals 1626 genannt, aber vielleicht noch länger im Amt. Von seiner Hofreite im Baueck haben wir schon gesprochen. Sein Amtsnachfolger Nickel Gärtner beginnt 1639, so daß eine Lücke von 13 Jahren übrig bleibt. Es war dies die schwerste Zeit für das Dorf.

Als Pfarrer folgt Peter Clein, 1624 von Reichelsheim nach Gronau versetzt. Über 12 Jahre hat er als erster Pfarrer die volle Last des Krieges zu spüren bekommen. Für seine „Kompetenz“ benutzt er zunächst das Buch von Pfarrer Busch weiter und fügt ihm 1626 eine Erneuerung an. Er hat sie „...auf dem Rathaus (erste Erwähnung eines Rathauses) zu Grunaw, in beysein Peter Metzlerß, Schultheißen, Hans Contzen, Burgerm: (=Gemeinderechner), Georg Sattlers des Alten, Jacob Metzlers (Im Hof, hier zum leztzten Mal genannt) vnd anderer...“ verfaßt, schreibt aber im gleichenJahr sein eigenes Register, von dem sogar zusätzlich zwei weitere Abschriften vorliegen. Darin finden wir folgenden bezeichnenden Vermerk:

„Wovon aber jedes gefällig (d. h. von welchen Grundstücken) / ist nicht vorhanden / sintemal solches bey diesem vnruhigen Wesen verlohren worden / erfordert demnach die hohe Nothdurfft / daß vff ehest ein Renovation der Gefell angestellet werdte. “

Es sieht so aus, als sei nun durch starke Fluktuation der Einwohner, durch Flucht und Tod keine Übersicht zu den einzelnen Verpflichtungen mehr zu erlangen ist. Die Versorgung des Pfarrers ist nicht mehr gesichert.

Clein wird 1636 nach Reichelsheim zurück versetzt.

Ihm folgt Johann Georg Kommerell (Kummerell), der seit 1634 die Pfarre in Rimbach innehat, nun Gronau dazubekommt, wohin er auch seinen Wohnsitz verlegt. Von ihm ist eine „Unterthänige Supplication“ (Bittschrift) an den Grafen Georg Albrecht erhalten, welche die Zeitverhältnisse eindrucksvoll schildert und wegen ihrer Einmaligkeit besonders wertvoll ist. (46) (gekürzt):

„Jesus!

Hochwohlgeborener gnädiger Graf und Herr!

Man sagt nit umbsonsten, unter zweien äußerst nothdringenden bösen Mitteln — wann nichts Beßres zu erlangen (ist) — soll und müße man daraus das beste erwählen; inmaßen (wie sehr) solches wahr zu sein (pflegt), Euren Gnaden ich mich armen Kirchendienern selbsten zum Elendspiegel darstellen thue. Dann nachdem nun über 3 Jahr hero ich kein Vierteljahr continue (ununterbrochen) in Frieden zu Haus verbleiben hab können und dadurch succeßive (allmählich) aller meiner Mobilien (beweglichen Habe) beraubet worden, als habe ich mich wie der Schaub (=\X’ind und Wetter ausgesetztes Strohbündel) aufm Dach — also zue reden — gelitten, und weilen kein beßer Mittel ich haben konnte, gern mit Lein-, Kleien- und Eichelkuchen unterweilen mich sättigen laßen. Indem nun derselben (Brote) ich auch (habe) müßen entbehren, habe ich das Wilde Kraut ufm Feld geeßen und mich getröstet, es seie ja beßer, eine Zeitlang leiden dann gar erhungern, (. . wanns nur bei diesem verblieben (wäre).

Es wird aber Euren Gnaden nit unwißend sein, wie dieser Tagen abermalen das barbarische Kriegsvolk uns in Grunaw ärger als noch nie verderbet und mich gänzlichen vollends ruiniret, also daß (ich) ohne Hilf und Handreichung, so ich sollte allda verbleiben, gewißlichen Hunger sterben müßte. . .) Auf was Weis aber mir noch möchte geholfen werden, habe Euren Genaden in Unterthänigkeit ich meine einfältige Gedanken folgendermaßen eröffnen wollen, und zwar:

— Erstlichen gedacht ich, ob mir nit etwas an Frucht (Getreide) oder nur anderen Küchenspeisen, wormit ich mich ein Monath lang erhalten (könnte), hätte mögen gereicht werden. Unterdeßen würde das Obst reif, so könnte hernach

— zum andern (zweitens) mir der kleine Zehent zu Rimpach — dann in Grunaw, Zell und Reichenbach (ist) heur kein Obst gewachsen — ein guter Behelf sein, weilen (da) er mir ohnedas zuständig (ist), wann nur dem Schultheißen allda (zu Rimbach) ernstlich anbefohlen würde, selbigen (Zehnten) mir treulichen folgen zu laßen, dann sonsten er selbsten ihne gern zu sich zu ziehen schon Vorhabens (ist). Mittlerweil rückte der Herbst herbei, da ich ein Wenig Zehentwein zu gewarten (habe) und (es) vielleichten, ob Gott will, auch wieder einmal sich beßern möchte.

— Drittens hatte ich vermeint, dieweil in Grunaw, Zell und Reichenbach ich über 15 Mann — wanns ich gleich alle beisammen (habe) — nit zu Zuhörern habe...“ ...die Pfarre Reichelsheim vertretungsweise vom abwesenden Pfarrer Clein mit zu übernehmen, zumal dort (in einer vielleicht weniger heimgesuchten, abgelegeneren Gegend) noch mehr und eifrigere Kirchgänger anzutreffen sind, die ihn sicher gerne eine zeitlang unterstützen würden. Widrigenfalls müsse er mit seinem Kind „..das panem propter Deum“ (=das Brot um Gottes Willen, d.h. durch Betteln) suchen. Die Bitten des Pfarrers sind offensichtlich nicht ungehört verhallt‚ obgleich im Grafenhaus auch Not geherrscht haben mag. Kommerell wird 1640 Hofprediger in Michelstadt, 1652 Superintendent für die Grafschaft Erbach und stirbt 1666. Sein Bittbrief muß in seiner Ausführlichkeit, Bildhaftigkeit, Standhaftigkeit, aber auch durch die vernünftigen Vorschläge die Teilnahme und Aufmerksamkeit der Amtskollegen gefunden haben. Im Gronauer Kirchenbuch finden wir einen wahrscheinlich von Pfarrer Conrad Textor stammenden Nachruf „Wegen des Grewelß der Verwüstung des L. (lieben) Teütschlands insgemein, fürnemblich aber der berümbten Bergstraß, Vnd Insonderheit Erpachischer löblicher Herrschafft eüßerster Ruinirung, da er müßen Aschen eßen wie Brodt...“, in dem der Schreiber den Namen „Kummerell“ in einem Zweizeiler so umdeutet:

„Sein Kummer all Vndt Ellendt ist kommen zue ein seelig Endt.“

Aber der Krieg geht weiter. Wie es in Gronau ausgesehen haben mag, müssen wir unserer Phantasie überlassen. Wir wissen aus dem zitierten Bericht, daß sämtliche Häuser geplündert sind, daß von den Einwohnern der drei genannten Dörfer noch 15 Mann die Kirche besuchen, wenn sie alle kommen. In der Tabelle waren 1623 für Gronau noch 37 huldigende Untertanen und 200 geschätzte Einwohner angegeben. Da kein Kirchenbuch geführt wurde, können wir über Pestzüge, über Verhungerte, Ermordete, Geflohene keine Aussage machen. Vielleicht gibt uns ein Vermerk auf einer Skizze von 1741 einen Hinweis. Es handelt sich um das Flurstück „Herbstbaum“, alter Pfarrbesitz, meist verpachtet, noch 1611 bewirtschaftet. 1626 heißt es darüber: „Ist aber ein Wüstenei (=verwahrlost) Vnd nichts darauf zu erbauen.“ Dieses Grundstück nennt sich 1741 „alter Kirchhof beim Herbstbaum“. Vielleicht ruhen hier die Toten aus dem großen Krieg. Jedenfalls sollen hier bis vor wenigen Jahren nur Früchte angebaut worden sein, die über dem Boden wachsen, also keine Hackfrüchte. Heute ist es Weideland.

Kommerells Nachfolger ist Andreas Coberstein, der 1643 sein Amt antritt. Aber er findet nur Zeit für einen einzigen Eintrag im Taufregister von 1644 und schreibt dann: „..Sind diß Jahr biß hieher noch allhie mehr getaufft worden, aber durch die Kriegsvölker verrißen worden.“

Auch der neue Pfarrer hat sich wie seine Vorgänger am Register von Pfarrer Busch orientiert. Darin vermerkte er bei nicht weniger als 2S der abgabepflichtigen Flächen „wüst“: „liegt wüst ohne Herrn“ oder „verstorben und wüst“ usw., eine trostlose Bilanz. Neben dem Clausenmüller steht: „ist ruinirt“. Durch Tod oder Flucht abgabepflichtiger Bauern droht der Verlust jeglicher Übersicht, so daß Coberstein gezwungen ist, die verschwundenen Namen zunächst weiterzuführen um später auf dem Weg der Erkundigung den Neubesitzer zu ermitteln. Im übrigen geht die Fluktuation der Bauern während seiner Amtsperiode ja noch weiter. In einem eigenen, neu angelegten Kompetenzbüchlein steht über einem besonderen Abschnitt: „Pfarr-Zinsen von verwüsteten Gütern zu Grunawe, so anietzo nicht giebig (=gegenwärtig nichts einbringen)“.

Im gleichenjahr- 1644 — lud Graf Georg Albrecht „alle noch im Lande vorhandenen Geistlichen“ (es waren 10) nach Fürstenau ein, um dem allgemeinen Verfall von Ordnung und Sitte entgegen zu wirken und um ihre Vorschläge zu hören (47). Da finden sich unter anderem folgende Anregungen:

„Es fände sich große Unordnung in Fest- und Feyertagen durch allerhand Arbeit, Auslaufen und Kirchen-Versäumnis, solche Unordnung möchte abgestellt, hingegen der Sabbath fleißiger geheiliget werden. ...“ Das ist ein Hinweis auf den übergroßen, durch Kriegsschäden verursachten Arbeitsaufwand, der auch zur Sonntagsarbeit zwingt.

„Ob Mahlen und Backen an Sonn- und Feyertagen nicht gänzlich, ohne die äußerste Noth einzustellen sei?“ Die „äußerste Noth“ ist demnach immer wieder gegeben gewesen.

„Weilen die Leute des Betens entwöhnt, ob nicht jedesmal, wenn das heylige Vater-Unser in der Kirche bey Predigten, Betstunden und sonst, nach oder vor der Predigt gebetet wird, ein Zeichen mit einem Glöcklein zu geben, damit die Abwesenden (etwa draußen auf dem Feld) auch zum Gebet ermuntert werden.“

Die Notwendigkeit der Sonntagsarbeit unter den gegebenen Umständen wird hier durchaus gesehen. Das heutige Läuten während des Vaterunser geht noch auf diese Anregung zurück.

Cobersteins Lücken in den Kirchenbucheinträgen sind glücklicherweise Von seinem übernächsten Amtsnachfolger, Conrad Textor nach bestem Wissen für den Zeitraum von 1638 bis 1644 erfragt und ergänzt worden. Er schreibt: „Diese nachfolgenden Kinder sind theils in andere, nicht mehr vorhandene Bücher, theils auch in der trübseligen Kriegszeit garnicht, auch etliche vnvollkommen vnd Vnleßlich aufgeschrieben; derowegen von mir (...) in diese Rubric (...) geschrieben worden.“ So wird die Lücke notdürftig geschlossen.

Unter Berücksichtigung der verschiedenen Quellen kommen wir in der Zeit von 1639 bis 1648 in Gronau auf etwa acht Familien im Durchschnitt, zuzüglich gelegentlicher Zu— und Abgänge. Wir führen hier die bis zum Jahre 1623 reichende Bevölkerungsstatistik weiter:

1626 ca. (40) Häuser 56 Familien 200 Einwohner
1650 12 Familien 60 Einwohner
1657/58 (lt. Kirchenrechnung) 17 Abgabepflichtige 80 Einwohner
1675 19 Untertanen 150 Einwohner
1685 (25) Häuser 29 Familien 161 Einwohner

Erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts wird die für 1626 geschätzte Zahl von 200 Einwohnern wieder erreicht und dann überschritten. Von den alten Familien haben nur die Metzger, Hess, Pfeiffer, Werner und Cuntz den großen Krieg überstanden. Die Rettigs fehlen vorerst und treten gegen Ende des Jahrhunderts von Schannenbach und Knoden kommend wieder auf, während die Cuntzes aussterben.

10. Die Zeit nach dem Kriege bis zum Ende des 17. Jahrhunderts

Anfangs lag das Dorf weitgehend „wüst“, d. h. viele Anwesen waren verlassen und dem Verfall preisgegeben. Wenn daher in einzelnen Häusern zwei verschiedene Jahreszahlen gefunden werden, so sind auf alten Fundamenten neue Häuser entstanden.

Im Keller des Anwesens Nr. 127 soll nach mündlicher Überlieferung eine tote Mutter mit zwei noch lebenden Zwillingskindern aufgefunden worden sein. Demnach war auch dieser Hof „wüst“ bzw. verfallen.

Die schräg gegenüberliegende „Mühle im Dorf“ war vor und noch während des Krieges an einen Georg Kissibert verpachtet gewesen, dann vermutlich vorübergehend an einen „Nick‚ der Müller“. Erst ab 1665 ist wieder eine kontinuierliche Bewirtschaftung zu erkennnen: Sie wird nun endgültig und ununterbrochen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts von den Pfeiffers betrieben.

Das Schultheißenamt hat seit 1639 Nickel Gärtner inne. Der Name war bis dahin hier unbekannt, sein Träger wird laut Heppenheimer Gerichtsbuch im gleichenJahr als Zentmann aufgenommen (48). Er ist bis 1668 zu verfolgen. Da er und seine Frau immer wieder als Paten auftreten, entsteht der Eindruck eines besonders um seine Gemeinde bemühten Schultheißen.

Sein Nachfolger im Amt ist Johann Caspar Marquart, um 1648 mit einer Anna Walburga NN verheiratet, als Schultheiß erkennbar von 1680 bis 1693. Er ist der Stammvater aller Zweige der bis heute hier ansässigen Familie. Anfangs heißt er „homo pontifico“ (=Katholik)‚ wie es auch bei anderen Zuwanderern gelegentlich vermerkt ist. Da von seinen sechs Kindern fünf von Bensheimer Paten über die Taufe gehalten wurden, ist er vielleicht von dort nach Gronau gekommen.

Als Pfarrer ist seit 1649 Hieronymus Hueblein im Amt, das er für 13 lange Jahre — bis 1663 — innehat. Er muß an einer Krankheit — vielleicht an schwerer Verkalkung gelitten haben, seine Schrift wird immer schräger, zitteriger, unleserlicher‚ auch werden seine Einträge immer unvollständiger, da deutlich erkennbar das Erinne- rungsvermögen stark nachließ. So fehlen uns gerade für die Zeit des Übergangs von Krieg zu Frieden wichtige Angaben.

Aus Huebleins Zeit ist aber glücklicherweise eine Kirchenrechnung erhalten geblieben. Sie ist von den beiden Kirchenrechnern Peter Jacob und Nicolaus Keyl abgefaßt, wohl vom Lehrer geschrieben, und als Quelle etwa mit einem der alten Kompetenzbüchlein zu vergleichen. Hier sind die alten Abgaben in Form von Naturalien nun durch Geld ersetzt und gegliedert in

„Stendig Zinß-Geldts vff Martini“ (=11. November, der Zinstag)
„Stendig Zinß vor Ohli“ (=Geldablösung für Öl)
„Stendig Geldt der Bruderschaft . Matini . Grunaw“.

Der letzte Posten ist ein Überrest von Leistungen jener Bruderschaft, die wir schon fast 200 Jahre früher bei Knapp erwähnt fanden.

Auch die besagte Rechnung erlaubt Rückschlüsse auf die Einwohnerdichte (s. o.), nennt Einwohner und Flurnamen. Da treffen wir neben den genannten fünf ganz alten Namen — und denen der beiden erwähnten Schultheißen — auf ganz neue Familien: Das Ehepaar Andreas und Agnes Jost ist noch während des Krieges zugezogen, denn es tauft schon 1640 sein erstes Kind. Aus dieser Familie stammt auch der spätere Pfarrer Jost, Diacon zu Reichelsheim, geboren zu Gronau 1703. Die Famlie ist bis Ende des 18. Jahrhunderts hier ansässig. An sie erinnert noch die „Josten Heck“, ein Waldstück im Süden des Dorfes.

p69

Auch der Name „Keil“ tritt nun erstmals hier auf: Nickel Keyl, Sohn von Alexander Keyl zu Ober-Ostern heiratet 1647 in Gronau die Tochter des Küfers Christian Pfahl. Er ist „Gemeinsmann und des Gerichts“, ferner Kirchenpfleger. Seine Verwandschaft mit der heute noch ansässigen Familie Keil ist noch nicht sicher, aber sehr wahrscheinlich, denn auch sie stammt aus der Gegend von Ober-Ostern. Sein ebenfalls als Kirchenpfleger genannter Kollege Peter Jacob kommt aus Schannenbach.

Weiter ist die Familie Ricker/Rücker zu nennen. Ihre Anfänge reichen noch bis kurz vor Kriegsbeginn zurück, und sie ist bis 1790 im Dorfe ansässig.

Noch ein Blick auf die Kirchenrechnung von 1657/58. Die Einnahmen schließen mit 25 fl (:Gulden) 15 albo von 17 Personen ab, welche Zahl eine Egänzung unserer Tabelle ermöglichte. Die Ausgaben bringen Viele interessante Einzelheiten über die Reparatur Von Kirche und Pfarrhaus, Fuhren und Lieferungen an Holz, Schindeln, Kalk, Weinstockpfählen (für das Pfarrgut), über die Unterstützung zahlreicher Armer, die ja immer noch das Land durchzogen, darunter ein Pfarrer mit Frau, ein weiterer Pfarrer aus Schlesien, ein Schulmeister der eine Anstellung sucht, viele Vetriebene, Witwen —- eben Arme und Bettler. Außerdem findet sich unter „Abgang ahn stendigem Zins (=nicht eingegangener Zins) immer noch 2 fl 5 albo 5 ch sindt nicht gefallen (nicht eingegangen) weil die Vnterpfand mehrentheils ödt Vnd wüst liegen“.

Eine eigene Schule muß Gronau schon vor dem Kriege gehabt haben. Sie war — wie anderswo auch — im Rathaus untergebracht. Nun befindet sich im Pfarrarchiv das Gesuch eines „Exulanten“ (=wegen des Glaubens vertriebener) aus dem Branden- burgischen, Gottlieb Hyder, schon vor 1634 (49), der sich um den ledigen Schulund Glöcknerdienst in Gronau bewirbt. Es gab demnach zu dieser Zeit eine Schule, für die ein Lehrer gesucht wurde. Pfarrer Schlosser schreibt dazu: „Wahrscheinlich haben schon lange vor dem 30jährigen Krieg in Gronau wie in andern Orten der Grafschaft Erbach die Pfarrer Schule gehalten, bis ein besonderer Lehrer und Glöckner angestellt wurde. Ob jener Gottlieb Heider die Stelle erhalten hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls war er 1644 nicht mehr hier.“ In dem gleichen Jahr beklagt ja auch auf dem zitierten Convent zu Erbach-Fürstenau der Pfarrer Coberstein namentlich, daß in Gronau kein Lehrer sei. Bei seiner Bestellung sei zwar gemeldet worden, daß sein Kollege, der Kaplan Schule halten solle. Dessen Wohnort (Reichenbach) sei aber zu entlegen, weshalb er (Coberstein) „selbst sich erboten habe, die Schule zu halten. Es komme aber niemand.“ Deshalb regt der Pfarrer an: „Zu der Kinder Lehre wird nötig erachtet die Eltern sub poena (bei Strafe) anzuhalten, daß sie ihre Kinder in die Schule schicken.

p70

Dann erfahren wir den ersten Namen eines Gronauer Lehrers. Es ist Johannes Ochs, der zwischen 1644 und dem Kriegsende das Amt übernommen haben muß. Er hat es bis 1657 innegehabt. Seltsamerweise wird er in der besprochenen Kirchenrechnung in einem Zug mit dem späteren Gronauer Schulmeister Johannes Reinholt genannt. Auf Ochs folgt aber zunächst 1657 Wolfgang Hertlin bis 1660/61, dann bis 1666 Johann Christian Lippold und nun erst bis 1670 der genannte Johannes Reinholt, der anschließend in Zell wirkt. Wir fügen im Voraus an: bis 1687 Johannes Hanniwald, um 1698 Erich Reitz, bis 1714 Balthasar Heyl und schließlich bis mindestens 1727 Georg Jung.

Den Nachfolger des Pfarrers Hueblein, Conrad Textor (1664-80) kennen Wir schon aus seinen Nachträgen im Kirchenbuch zu den Lücken des Krieges. Er ergänzte aber auch Mängel aus der Zeit seines Amtsvorgängers. Die Gronauer Pfarrchronik berichtet über ihn und die Geschehnisse seiner Zeit:

„(Er) ist ao 1664 im Frühling hieher gekommen, und hat hiesiger Kirche als ein accurater und geschulter Mann durch gute Lehr und Leben, auch mühsame Renovation der Pfarr und Kirchengefäll wohl gedienet, biß in annum 1680, da er um seiner guten Gaben willen nach Worms zum oberen Stadtpfarrer beruffen worden, und nach der Wormsischen Zerstörung (1689), nach etlichen Jahren zu Franckfurth in exilio verstorben. Genauere Nachricht ist von demselben nicht zu haben gewesen, weil deßen Kinder hin und wieder, und meistentheils in Heßen, durch den Krieg zerstreuet worden.“

Ein Pfarrerschicksal, durch dessen Beschreibung wir bereits in die folgenden erneuten Kriegszeiten geführt werden.

Ehe wir sie besprechen, sind noch einige neu zugezogene Familien zu nennen, die für unser Dorf Bedeutung hatten:

Der erste Vertreter der Familie Braun ist Nickel Braun, „so alhir des Viehes gehütet“. Von seinen drei Söhnen Hans, Hans Jacob († 1691) und Thomas ist nur Hans Braun hervorzuheben. Er ist Stammvater aller später hier wohnhaften Brauns. 1673 noch Tagelöhner, ist er 1684 Gemeinsmann, also Hubenbauer. Sein Anwesen ist der Hof in der Hintergasse Nr. 8. Seinen ersten Sohn (* 1673) Verliert er durch einen tragischen Unfall: 1696 —

„Den 25ten Maij‚ des Morgens um 10 Uhr, fiehl Nickel Gansert sein alt Haus unter dem Dorff auf Hans Philipps Braun, Einwohner und Gemeinsmann alhier, daß er so balde todt blieb. Nota: Es hate Nickel Gansert dieses alte Hauß, — so vor diesem von Hanß Leibfried bewohnet worden / gekaufft und wolte an deßen statt ein neues bauen, / als er nun solches auf einmahl, ohne große Mühe niderzureißen, Seiler oben dran gebunden und mit andern eine Weile gezogen gehabt, / und aber nicht fallen wollen, so ist dieser Braun hinein gegangen, um die mittlere Säule, worauf das ganze Haus noch geruhet, abzuhauen. Wiewohl nun Hanß Märten Ewaldt, damaliger Gemeinsmann und Anwaldt des Schulheißendienstes allhir, in dem Vorbeygehen ihn gewarnet und ernstlich vermahnet, daß er doch in solche Lebens-gefahr sich nicht muthwillig setzen, sondern wiederum sobald herauß gehen möge, auch ihn über das (darüber hinaus) des Gebets erinnert, so ist er dennoch drinnen geblieben und hatt mit Hauen fort gefahren, dahero es dann geschehen, daß, da die von außen wiederum gezogen, das gantze Hauss auf ihn gefallen und er also gleich todt geblieben ist.“

p71

Johann Philipp Braun war bei seinem Tode bereits als Gemeinsmann aufgenommen, hatte 1694 die Eva Lemmerhirt‚ Tochter des Schlossküfers zu Schönberg geheiratet, sein Söhnlein Johannes war in seinem Todesjahr geboren.

Um das Unglück noch größer zu machen: Schon 1693 war auch Johann Philipps Vater Hans gestorben. Die Witwe hatte kurz nach seinem Tode noch einen Sohn Johann Dieter geboren. Vollends verwirrend wird die Sachlage, als sie 1695 sich wieder verheiratet mit Johann Adam Hilß/Hülß, der sogleich „Gemeinsmann“ heißt und offensichtlich die Hube übernommen hat. Durch ihn kann man das Braunsche Anwesen identifizieren, denn die Inschrift auf dem Scheunenbalken: JA / 1713 / H bedeutet den Namen des Erbauers. Im Schatzungsregister ist der Hof beschrieben Als Hülß 1720 stirbt, übernimmt der eigentliche Erbe, Johann Dieter Braun, nunmehr herangewachsen, das väterliche Anwesen. Die Linie der Brauns als Gemeinsmänner ist bis 1803 zu Verfolgen, die Nachkommen sind bis heute hier ansässig.

Ebenfalls in die Amtszeit von Pfarrer Textor fällt der folgende interessante Eintrag von 1671:

„Dom: Invocavit, den 12ten martij, hat Conrad Steinbächer, vnd Margretha seine Haußfraw, ein jungen Sohn tauffen laßen, so verwichenen Dienstags, den 7ten dieses / des morgens umb 5 Uhr zur Welt geboren. War Gevatter Peter Metzger der jung, vnd wurde das Kind nach seinem Namen Peter genannt.

p72

NB: Er war mit Sack vnd Pack von Zell den Tag zuvor herauf gezogen, im Willens, des andern Tags mit der Frawen auch herauf zu ziehen‚/ da komt sie dieselbe Nacht nieder, / darumb er mich gefragt, ob er solche dörft den Freytag mit dem Kind herauf führen, damit es hir, vnd nicht zu Benßheim getaufft würde, / welches ich gern erlaubt, in Betrachtung (dessen, daß) es die Bensheimer nicht wehren können.“ Der Eintrag wirft ein bezeichnendes Licht auf daszwiespältige kirchliche Verhältnis der Zeller, die ja, obgleich Protestanten, nach Bensheim eingepfarrt waren. Weiterhin ist dieser Conrad Steinbacher als Pächter des Hofes nachgewiesen, den er vielleicht schon von obigem Datum an bis über die Jahrhundertwende hinaus bewirtschaftet hat. In dem genannten Schatzungsregister von 1715 steht: „Herr Canzley Director Wippermann hat das Herrschaft. Hoffguth / so hiebvor Conradt Steinbacher inn gehabt, ...“

Die Filberts /Vielberts/Philiberts kommen mit dem Schönberger Schloßküfer Balthasar Philibert aus Neustadt unter Breuberg nach Gronau. Er heiratet 1677 eine Tochter von Peter Metzger d.J. Seine Nachkommen sind noch heute mit mehreren Linien im Dorfe Vertreten. Ein Zweig wandert 1759 mit den „Kartoffeldeutschen“ nach Dänemark aus.

Die Familie Reimet/Reimund kommt mit drei Söhnen des Niclas Rayrnet aus Beedenkirchen vor 1696 nach Gronau. Als Gemeinsmänner und Leinwebermeister sind die Vertreter diese Namens bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts im Dorf nachzuweisen. Eine Linie bewohnte die Hofraite Nr. 73 (Haus 1926 abgerissen und durch ein Doppelhaus ersetzt), wo der Leinwebermeister Georg Friedrich Reimund wohnte: „Ao. 1717 (...) hat sich die Gemeind Gronau mit Georg Friedrich Remunden dergestalten gütlichen verglichen, daß er den Platz zu dem neu gebauten Hirthen Haus hergegeben, worauf derselbe (=der abgetrene Grund) auch sogleich ermelten dato richtig abgesteint und der Gemeine anheimgefallen. ...“ So erfahren wir auch annähernd das Baujahr des alten Hirtenhauses, das erst in unserm Jahrhundert abgerissen wurde (heute Stelle des kleinen Spritzenhauses).

Für eine Generation spielt auch die Zeller Familie Röder in Gronau eine Rolle. 1672 heiratet nämlich Wendel Röder, der Zeller Schultheiß — unter Verzicht auf sein Amt — die Margarethe Cuntz, Witwe von Hans Cuntz,dem lezten Träger dieses uralten Gronauer Namens. Röder ist ebenfalls Witwer. Das Paar hat in Gronau acht Kinder. Von den vier Söhnen überlebt nur der erste, der wieder nach Zell zurückkehrt, während der Vater 1693 als Kirchenältester und Gerichtsmann in Gronau stirbt.

Nun noch einige Zitate, die uns das Alltagsleben und seine Geschehnisse ein wenig illustrieren.

Sitte und Moral waren vor allem Aufgabengebiet eines Pfarrers. Wenn vorehelicher Geschlechtsverkehr bekannt wurde, und sei es nur, daß ein ehelich geborenes Kind nach der Rechnung „zu früh“ geboren wurde, so mußten die Sünder „verstehen“: während des Gottesdienstes vorn neben dem Altar stehen und so Buße tun. So ist es nicht zu verwundern, daß eine uneheliche Geburt ein Vergehen darstellte, das unter Umständen schwer geahndet wurde. Auch der Vater des Kindes blieb nicht ungestraft:

p73

„1674 / Donnerstags den 29ten Jan: des Nachts umb 4 Uhr ist der Dorten (Dorothea) Hohlin, / so von Waldenburg / ‚ gewesener herrschaftlicher Hausmagd / uneheliches Kind getaufft worden, / so den 28ten dieses (Monats), des Abends zur Welt geboren. Und weil sie da zu mahl den rechten Vater nicht bekennen wolte‚ / es auf Christoffel Butterweck‚ illustrißimi (=des Grafen) Kochen geben (=auf ihn geschoben), / (Da) solches aber wegen nicht Zutreffung der Zeit der Vatter nicht konte seyn, wiewohl er bekannte, daß er sie beschlaffen (also: da Butterweck nicht der Vater sein konnte, obgleich auch er mit ihr verkehrt hatte), hube solches (=hob das Kind aus der Taufe)“ im Auftrage des Grafen der Sohn des Schönberger Schultheißen. „Indeßen bekannte Rudolph Gerber, gewesener Lakay, so da zu mahl schon beym Schneider Hand Werk zu Darmstadt war, daß er auch bei ihro / und zwar offt, / gewesen. Von welchem sie muß schwanger geworden seyn.“

Und dann folgt die Bestrafung: „Die 6 Wochen wurden ihr ausgehalten (wohl: wurde sie verschont). Dar auf mußte sie öffentliche Kirchen Buß thun, und das Schloß meiden. Der Rudolph wurde 2 mahl biß aufs Blut in die Futter Wanne gepannet (wie der Vorgang im einzelnen ablief ist unbekannt). Christophel der Koch solte auch vorstehen. Ist endlich in eine Geld = Straffe verwandelt worden. Daß er gn(ädiger) Herrschafft solle 20 / der Kirchen alhie aber 10 thaler geben. Bliebe er im Dienst und zogen ihme (...) Georg Albrecht solches Geld an seinem lohn ab.“ Auch das war eine schwere Strafe!

Mit den folgenden beiden Beispielen greife ich zeitlich etwas vor, doch gehören sie inhaltlich hierher:

„1716 (...) gebahr Catharina Hedwig Röderin / zu Schönberg in Conrad Schotten Haus einen unehelichen Sohn, welcher den 5. dito alhir zu Gronau in der Kirche getaufft worden. Gevattern waren — weil gned. Herrschaften eben auff Schönberg residirte — (Hier ordne und numeriere ich die Paten wegen besserer Übersicht)

1.) Herr Philipp Schenk, Hgr, (=Hochgräfl.) Erbachischer Registrator
2.) Georg Friedrich Büttner, Kammerdiener bey Ihrer regierenden Hhn. Graffen
Georg Albrechten
3.) Steffan Höcken‚ Kammerdiener bey He. Graff Georg Wilhelm
4.) Johann Jacob Müller, Küchenschreiber
5.) Johann Daniel Frey‚ Tafeldecker
6.) Ffr. (=Freifrau) Johanne Catharina Rothen, Kammerjungfr. bey der alten Fr.
Gräfin
7.) Anna Margaretha Baderin, Kammerjungfr. bey der Conteße Henriette

Sie ist zum 2. u. 3. mahl schwanger worden in Herrn Cantzley Direktor Wippermanns Hoff (=der Hof zu Gronau); zum 2. mahl gab sie vor, als sie abends aus dem Hoff in die Mühle (=oben im Dorf) über denen Gärten (=Flur ober den Gärten) hergehen wollen, seye sie von einem unbekannten Kerl gezwungen worden, —— ging also nach Rimbach u. wurde daselbst Kindbetterin, — mit dem Vorwand, daß ihr Mann ein Soldat u. in Niederlanden in Diensten seye; nachdem das Kind aber gestorben, kam sie wieder in besagten Hof in Dienste, da (=wo) sie dann zum 3. mahl schwanger wurde, und zum Vatter angab, Hartmann Engelhardt, Hen.

p74

Wippermanns Knecht, — welcher aber das factum (hier: diese Beschuldigung) läugnete und davon ging.

Da (=wonach) man indeßen nach wie vor die Hurr ohne geringste straffe und Kirchenbuße bis dato gehen laßen, — das Kind wurde genennet Johann Philipp Friedrich.“

Bei einem solchen Aufgebot an Hofschranzen ist die Straffreiheit begreiflich — ebeso die spürbare Empörung des Pfarrers.

Was mag er sich aber gedacht haben, als er im folgenden Jahr einen weiteren Eintrag niederschrieb?

„1717 (...) gebahr Hans Peter Engelberts / gewesenen Bürgers und Mühlarztes zu Heppenheim hinterlaßene Tochter Catharina / eine Tochter / Die wurde den folgenden Tag in der Kirche getauft / war Gevatterin Maria Elisabetha / Caspar Peters des Kuehirten zu Reinheim (Ehefrau); Die nennete das Kind Maria Elisabeth. Nota:

Dieße Dirne gab zwar vor, ihr Mann seye ein Chur Mainz: Soldat unter der Leib Compagnie, und mit in Ungarn gegangen,/ ihre Mutter aber sagte, daß ihre Tochter von Christoph Servatio, / Herrn Michael Dirnbachs Stiefsohn zu Zell sich schwangern laßen‚ / und habe sie mit dem Schulmeister zu Osthofen, / einem Ehemann, / schon ein Hurenkind gehabt, so 3 Jahr alt, / und sie bey sich habe und erziehef Und weilen (=da) die Frau Cantzley-Direkt. Wippermännin bey welcher sie eine Zeit lang gesponnen,/ die Hurr im Hauße (nicht) mehr (habe) leiden (wollen),/ und sonst niemand dieselbe bey anbrechenden Wehen aufnehmen wollen‚/ wiewohl sie des Nachts von Haus zu Hauße gegangen‚/ so ist sie unter der Linden niedergefallen, Kindbetterin worden,/ und hat das Kind der Schmiedin‚/ so auf ihr schreyen die Haustür aufgemacht, in der Schürtzen entgegen gebracht.“

Auch dieser Fall spielte sich, wie zum Teil der Vorige, auf dem Hofe und im „Umfeld“ der Familie Wippermann ab. Aber hier steht dem Mädchen keine Hofcamarilla zur Seite. Die schwangere Spinnerin wird auf wenig christliche Weise erbarmungslos verstoßen — die alte Linde hat neben der Schmiedin mehr Mitleid als die übrigen Dorfbewohner. i

Es wäre interessant zu wissen, auf welcher Hofraite damals die Schmiede gestanden hat. Der Schmied jener Zeit war Joh. Balthasar Hess, die mitleidige Frau Schmiedin seine Frau Christina.

Den folgenden Eintrag zitieren wir, weil er einen Einblick in das Gebiet des Aberglaubens jener Zeit gibt:

„1696 / Grunau den 3. Jan. ‚des Abends gegen 3 Uhr starb Hanß George Kain, von Sintzen gebürtig, Küh Hirt alhir, wurde begraben den 5ten ejusdem (=des Monats), aetatis 50 Jahr.

Nota: Dieser soll / wie nach seinem Tod erst offenbar worden / in der neuen Jahres Nacht, von dem so genannten Weißen oder großen Marckstein, an dem Müntzenberg auf der Höhe an dem Weg, da mann nach Bensheim gehet‚ ein Stück, ohne Zweifel zu bösen Künsten und in des Teuffels Nahmen haben holen wollen‚/ deßwegen er denn von demselben dero gestalt (=in solcher Weise) angegriffen und noch vor seiner Hauß Tür, da er hinein tretten Wolen, geschlagen oder gedrückt worden, daß er / unwißend des Pfarrers (=ohne Wissen des Pfarrers), den 3. Tag darauf gestorben ist. Er hat sonsten / solange er hier gehütet, ein stilles einsames, erbares Leben geführt, und weil man dergleichen bei wenig Hirthen findet, — so habe ich ihn vor vielen anderen vor einen frommen Hirthen gehalten.“

Der „Weiße Stein“ ist erst um die Mitte unsres Jahrhunderts veschwunden, die Fluren „Müntzenberg“ und „Auf der Höhe“ sind heute noch bekannt. Wahrscheinlich noch älterer Herkunft ist eine Sammlung von Schutz— und Reisesegen, die uns von Gronauern zur Verfügung gestellt wurden (50). Sie sind wohl anfangs mündlich weitergegeben worden und haben jedenfalls verschiedene Veränderungen erlitten.

Ein Beispiel:

„Wann du die Reutter kommen siehest so sprich:
Grüß dich Gott / grüß dich wohlgemuth
grüß dich Gott gut Ritters Blut/
Wir haben getrunken Christi Blut/
Du bist mein Freund / Du tust mir nichts weitter/
Du bringst mir 3 Blutstropfen aus dem Hertzen Jesu Christ/
mir zur Bus
G V G S G Heiligen Geistes +++
(=Gott Vater/ Gott Sohn/ Gott Heiliger Geist)“
Man glaubt aus den ungeschickten Reimen das angstvolle Zittern der Bäuerin aus der
Zeit des großen Kriegs beim Nahen der „Reuter“ herauszuspüren.
Oder:
„Wan man auf der Straße geht‚/ daß am (=einem) keiner nichts thut:
Ihr kommt gegangen oder geritten
3 Blutstropfen will ich euch abzwicken
den ersten von der Lung /
den zweiten von der Zung /
den dritten von der Kraft/
Damit habe ich euch genommen eure Mannschaft (=Männ_lichkeit)+++“
(kleine Verbesserungen in der Rechtschreibung).

11. Die Jahrhundertwende um 1700 und der Anfang des 18. Jahrhunderts

Mit den Raubkriegen Ludwigs XIV. und dem Pfälzischen Erbfolgekrieg reißt die Periode des mühevollen Aufbaus, der wirtschaftlichen Erholung und eines Anwach- sens der Bevölkerung nach dem 30jährigen Krieg wieder ab. Für die erbachischen Lande war das Jahr 1693, wie wir gesehen haben, besonders katastrophal. Über die Auswirkungen können wir den Einträgen der Pfarrer Huth und Hennemann eindrucksvolle Schilderungen entnehmen:

„1693 starb eine alte Frau aus Luxemburg und wurde in der Stille begraben, weil kaum so viel Leutt in der Gemein gesund waren, das man sie zu Grab bringen kunte, da auch Pfarrer und Schulmeister zu Bett lagen.“ Kriegsnöte, Einquartierungen und Hunger förderten die Infektionsgefahr und senkten die Widerstansfähigkeit der geplagten Bevölkerung gegen Krankheiten aller Art.

„1694 (...) wurde christlich begraben Johann Philipps / Velten Scherers, Gemeinsmanns alhir hinterlaßenes Söhnlein, Welches (...) der Mutter unterwegens, da dieselbige betteln gegangen, gestorben, und todt von der selben hierher gebracht worden. / aetatis (des Alters) 2 Jahr.“

„ ...starb des Nachts im Stall und wurde des morgens todt darin gefunden, als ein armes Kind, Peter Braun / Hans Jacob Braunen hinterlassener Sohn. (...) aetatis 15 1/2 Jahr.“

War der Ernährer verstorben, blieb den Hinterbliebenen oft tatsächlich nur der Bettelstab. Aber nicht nur vaterlose Kinder Waren Bettelkinder:

„1695 war der 12te Mai, wurde des morgens hinter des Schulheißen Hanß Caspar Marquarts Haus, in dem Pfade todt gefunden deßen Enkelein, Maria Walpurgis, Hans Velten Marquarts, seins Sohnes Töchterlein. Dann weil es den Tag Vorher mit seinem Bruder zu Knoden betteln gewesen, und er es des Abends in diesem Pfad verlaßen, aber sich seiner niemand angenommen und nach ihm gefragt, ist es daselbst wegen großen Regens, Kälte und Mattigkeit sitzen geblieben und erfroren (...) aetat. 7 Jahr“

Im „Hof“ fand man diesen alten Krug eingemauert. Seinen unbekannten Inhalt hat man wohl auf diese Weise vor Plünderungen geschützt

p78

Und welches Schicksal mag hinter jenem Eintrag verborgen sein:

„1701 / Schandenbach / (...) starb (...) Catharina, eine arme Frau, Welche man auf der Bettelfuhr dahin gebracht, pontificia religionis (=kathol. Religion), Christoph Wentz gewesene Ehefrau, (...) aetatis 90 Jahr.“

Dann finden sich immer wieder Einträge über Menschen, die vor den Franzosen geflohen waren. So stirbt schon 1689 zu Gronau Jacob Fischer aus Heppenheim „...nach dem er vor den frantzosen etliche Tag vorher hiehero geflohen war, seines alters 23 Jahr, war Catholischer Religion“. Und 1694 wird in Gadernheim die Frau des Schloßküfers Michael Grüner aus Gronau von einem Töchterlein entbunden, „in Hans Peter Lutzen‚ des Schultheißen Hauss, — wohin sie wegen der französischen Armee (...) geflehet gewesen...“

Aber auch Einträge über Einquartierte und ihre Ehefrauen finden sich im Kirchenbuch:

„1704 (...) Adam Weinelt, einem Reuter, von dem Chur-Pfälzischen Leib Regiment, unter dem He. General Effer, He. Rittmstrs Dibiz Compagnie‚ so hier in dem Quartier gelegen (...) geb. einen Sohn...“ Die junge Mutter stirbt bald danach „aetatis 24 Jahr“.

Auch von einer Scheidung wird berichtet, die ebenfalls auf die Kriegsläufte zurückzuführen ist: 1700 wird die Ehefrau eines Mannes geschieden, der sie „anno 1695 muthwillig verlaßen und in den Krieg gelauffen“, damit sie einen anderen heiraten kann.

Das Jahr 1693 hat unserem Dorfe wieder Plünderungen beschert. Die Franzosen holten die Orgelpfeifen und die Glocken. (51) Erstere bedeuten auch die erste Erwähnung einer Orgel in unserer Kirche. Während die Pfeifen schon bald darauf ersetzt wurden, waren die Glocken zunächst nicht zu ersetzen. Da entschließt man sich in Gronau im Jahre 1706 zu einem Antrag zur Anschaffung neuer Glocken:

„Hochwürdige‚ Hochgebohrene Graffen
Gnädigste Graffen und Herren

Ewer Hochgräffl. Excell. Exzell. sollen wir Vnderthänigst nicht verhalten (=nicht -= vorenthalten), welcher gestallt (=auf welche Weise) vor etlich Jahren, und zwar in Ao. 1693 bey Vergangener französischer Invahsion‚ unsere 4 Glocken allhier zu Gronaw durch den Feind geblundert worden, daß wir uns bisher nur mit einem kleinen Glöckgen, so von den aufgelaßenen Stücken (=aus den zurückgelassenen Stücken der zerschlagenen Glocken), welche die Frantzosen bey der Plünderung verlohren, wiederumb gemacht worden, behelfen müßen; (=Wir müssen uns vorerst mit einem Glöcklein aus den Reststücken behelfen).

Wann nun unsere Intention ist (=da es unsere Absicht ist), aufs neue ein recht Geleüts gleich andern Dorfschafften umb uns gelegen / wieder gethan (=Wie es andere Dörfer umher schon getan haben) in unsere Kirchen zu Gottes Ehre anzuschaffen; Wann (=da) wir aber bey jetzig schweren Kriegs-Zeithen (schon wieder: nun der „Spanische Erbfolgekrieg“) allso verarmet sind, daß das Vermögen sich allhier nicht befindet, solchen großen Kosten in unserer Gemeindt, — weil sonsten keine Dorffschafften hiehero pfarren, zu erschwingen...“

p79

Dann folgt die Bitte um Erlaubnis zu einer Kollekte bei „allen umbliegende Fürsten, Herrn, reinisch, fränkisch...“ und die Unterschrift:

„Ewer Hochgräffl. Excell. Excell.:
Gronaw den 21. Jan. 1706 Vnderthänigst und gehorsambste
Vnderthanen
Gantze gemeind Gronaw
Ambts Schönberg“
Dieses Gesuch ist nicht ungehört verhallt. Ihm verdanken wir die große Glocke mit
der Inschrift:
1706GOSMICHIOH:V:ANDR:
SCHNEIDEWINDINFFVRT
VORDIEGEMEINGRUNAW
CONRADHENNEMANNPFARHER
IOHA:PHILIPP:PFEYFER

Kirchenglocken wurden von jeher in Kriegszeiten als Rohstoffreserve betrachtet, hauptsächlich für den Geschützguß. Aus Transportgründen zerschlug man sie an Ort und Stelle, wobei in unserm Falle den Plünderern einige Stücke Verloren gingen. Es ist interessant, daß das alte Geläut vier Glocken umfaßte. Zu der neuen großen Glocke kam 1767 eine kleine und 1769 die mittlere. In dieser Zusammensetzung hat das Geläut den ersten, um die kleine Glocke vermindert den zweiten Weltkrieg überstanden.

An diese Zeiten ständiger Unruhe, kriegerischer Ereignisse und daraus folgender Vernachlässigung der heimischen Verwaltung erinnert auch die bereits erwähnte „Steinsetzordnung“ von 1695. In Ergänzung zu dieser Maßnahme fanden sich Unterlagen, nach denen sich die Landesregierung zu unmittelbaren Maßnahmen gezwungen sah, da die Markierung der Flur- und Gewanngrenzen bis hin zu den einzelnen Ackerstücken völlig Verwahrlost war. Die Steine waren „. . ‚theils umgefallen, theils ausgezackert (...) theils weggekommen, woraus große Irrungen‚ Mißverständniße und Strittigkeiten zu erwachsen pflegen...“. Nach der neuen Verordnung müssen nun diese Mißstände sogleich behoben werden, unter Mithilfe alter Leute, die sich als Zeugen für die ursprünglichen Standorte eignen. Dieses „Edict und Befehl“ mußte an den Rathäusern der Gemeinden Veröffentlicht werden. Elend, Armut und Heimatlosigkeit setzen sich, wie wir gesehen haben, auch in dem neuen, an kriegerischen Ereignissen reichen Jahrhundert fort:

1714 wird „auff der Bettelfuhr“ ein armer Zimmermann ins Dorf gebracht und stirbt hier, „...ohne daß man von ihme wegen seines Zustandes und Alters etwas erfahren können, weilen die Schmertzen und Mattigkeit bey ihm sehr groß gewesen...“ 1716 „...wurde in Johann Adam Schmuncken Scheuer eine arme Weibsperson, — nahmens Susanna Hohlröderin / von Lindenfels, (...) nachdem sie des morgends nach Waßer gelanget (=verlangt), des nachmittags auf dem Stroh liegend todt gefunden, u. den (...) mit Klang und Gesang begraben. / alt pp (=etwa) 38 Jahr.“ Der folgende Eintrag deutet auf eine Mangelerscheinung hin:

„1717 starb Anna Barbara, weyl. Hans Nickel Wörners hinterlaßens Töchterlein, nachdem es allerhand unsauber Linnenzeug / ja sogar Schurtz und Hemdt vom Leibe wegzufreßen sich angewohnet gehabt (...) / alt 6 Jahr.“

Aber auch „Ruhe und Ordnung“ haben in den Kriegszeiten gelitten. 1716 muß sich Pfarrer Hennemann an das Erbach-Fürstenausche Consistorium wenden, weil » „...bey dem langwürigen Kriegs-Wesen der schändliche Mißbrauch eingeführet worden, daß die Einwohner, insonderheit die junge Pursch, so wohl allhier als an’ andern Örthern des Amts Schönberg, das neue Jahr‚ des nachts von 12 Uhr an, bis an den hellen Morgen, mit Gewehr und vielem Schießen pflegen ein zu wyen, — und die Bräute bey denen Hochzeiten über die Straße, bis an die Kirch-Thüren zu begleiten. Wann (=da) nun hierdurch große Unordnung verursacht wird, indem die Andacht der (Hoch—)Zeit zerstöret, Die Mütter, Kinder und schwangere Weiber geschrökket‚ und anderes Unglück entstehen kann...“

Es ist interessant, sich für die beschriebene Zeit wieder einen Überblick zur Bevölkerungsentwicklung zu machen.

Wir konnten rechnen
1650 mit etwa 60 Einwohnern, 1658 mit etwa 80, 1675 mit etwa 150 und 1685 mit 167 „Seelen“. Die schweren Verluste des großen Kriegs begannen sich auszugleichen, doch war der Einwohnerstand von 1623 bis 1626 noch nicht wieder erreicht. Nun müssen wir zum ersten Mal wieder einen Rückgang der Dorfbevölkerung verzeichnen, der schwerer wiegt wenn man bedenkt, daß die Tendenz eigentlich eine Zunahme erwarten ließ. Aber um 1708 können wir nur mit etwa 150 Einwohnern rechnen, erst 1715 sind es wieder 161 und 1718 wird ein spürbares Wachstum vermeldet.

p81

Der Versuch, sich ein Bild von dem beschriebenen Zeitabschnitt zu machen, muß vor allem durch eine Betrachtung des mehrfach erwähnten Schatzungsregisters von 1715 ergänzt werden. Die Liste hat wahrscheinlich als einzige unter Vielen sogar den Zweiten Weltkrieg überstanden und muß darum als Rarität gewertet werden. Ihr Zweck war die Aufrechnung der Abgaben sämtlicher zinspflichtiger Gronauer, eine Art Steuerliste für das Jahr 1715. Auf je zwei Blättern (meist für 1 bis 2 Namen) finden wir aufgelistet:

links:
Namen und Alter
der Männer und
Weiber sambt
deren Hanthierung
Der Söhne
Namen und
Alter und
wo sie
hinkommen
Der Töchter
Namen, Alter
und wo sie
hinkommen
Geburth
und
Religion
rechts:
Vermögen
und deßen
Beschaffenheit
jetziger
Schatzungsfuß
Cammer
Praestationes
(= die Spezifikation

der Abgaben in Geld
oder Naturalien)
Vieh

Unter Vermögen sind aufgeschlüsselt das Hubgut, die Qualität der Bauten und Ställe, und unter „eigenthümbl. Güther“ die betreffenden Weingärten und Äcker, ihre Bodenqualität, Größe und Lage in der Flur. Eine Addition allen Hubengutes ergibt 12 volle Huben, die sich auf 21 Hubenbesitzer verteilen. Diese gliedern sich in 15 Ackersleute‚ zwei Müller, zwei Leinweber und einen Küfer. Dazu kommt der Besitzer des Hofes, der zusätzlich eine Hube bewirtschaftet, so daß im Durchschnitt 0,57 oder eine gute halbe Hube auf den jeweiligen Besitzer kommt. So ist auch die „Halbe Hube“ durchschnittlicher Besitz. Eine ganze Hube ergibt sich zweimal aus schlechter Bodenqualität. Ein anderer Bauer besitzt nur ‘A Hube, aber von bester Bodengüte und durch 12 Morgen Privatbesitz ergänzt. Bei den Müllern und Handwerkern kann man eine größere „Betriebssicherheit“ wegen geringerer Abhängigkeit vom Wetter annehmen.

Außer den genannten 21 Hubenbesitzern sind im Register noch angeführt:
5 Leineweber mit eigenem Haus und etwas Grundbesitz
1 Schreiner mit eigenem Haus und etwas Grundbesitz
1 Hirte mit eigenem Haus und etwas Grundbesitz
1 Auszügler mit etwas Grundbesitz, und ein nicht veranlagter verheirateter, 76 jähriger Auszügler und Leinweber ohne Eigenbesitz.

An Tieren hält der Hubenbauer zwei Zugochsen, ein bis zwei Kühe, ein bis zwei Rinder, eine Ziege und zwei bis vier Schweine. Nur die beiden Müller hielten Pferde als Zugtiere, ihr sonstiger Viehbestand unterschied sich kaum von dem der Hübner.

p82

Bei den Nur-Handwerkern und sonstigen kleinen Leuten war meist noch eine Kuh oder ein bis zwei Ziegen, vielleicht auch ein Schwein vorhanden. Allein in zwei Fällen ist überhaupt kein Viehbestand verzeichnnet.

Zwei Jahre nach dem Schatzungsregister wurde eine Neufestsetzung der erlaubten Schweine- und Ziegenhaltung notwendig. Solche Maßmahmen waren vor allem bei sich ändernden Futterverhältnissen angebracht. Ein Protokoll des Haingerichts von 1717 gibt darüber Auskunft:

„Ferner ist beschloßen worden, daß hinfüro einem Wagenmann (mit zwei Zugtieren) nicht mehr als sechs Stück Schwein, einem Einlitzigen (nur ein Zugtier, wohl meist eine Kuh) drey‚ einem Beisaßen gleichfalls eins und einer Auszugsperson (=Ruheständler) ein Stück erlaubt seien, solten aber noch zwey Auszugs-Eheleute sich beysammen befinden, sollen dieselben auch zwey Stück erlaubt seyn. Ferner soll ein jedweder mehr nicht alß eine Geyß, zugleichen einer Auszugsperson eine und einem Beysaßen auch eine Geyß zu halten verstattet werden. Solte aber eine Auszugsperson eine Kuh halten können, so soll derselben keine Geyß zu halten erlaubt werden.“

An diesem einfachen Beispiel erkennt man auch die streng ständische und am Besitz orientierte Gliederung der Gemeinde, zugleich — wie aus vielen anderen Stellen ersichtlich — das Bemühen um weitgehende Gerechtigkeit.

Unter den neu Zugezogenen dieser Zeit sind zwei Familien für das Dorf von Bedeutung geworden:

Die Familie Schmunck ist mit dem Ackersmann Johann Adam Schmunck aus Crumbach um 1700 eingewandert und im Schatzungsregister genannt. Sie stellt im Verlauf des Jahrhunderts einen Schultheißen und im folgenden einen Bürgermeister.

Die Deicherts kommen ebenfalls um 1700 aus dem „Riedeselschen von Alten-Schlirf“. Es sind vier Geschwister, von denen zwei Brüder als Leinweber in Gronau einheiraten‚ weshalb beide auch 1715 als — wenn auch bescheidene — Hausbesitzer im Register verzeichnet sind. Eine Schwester heiratet ebenfalls ein. Ein weiterer Sohn wird in Zell ansässig. Bei ihm scheinen auch die Eltern gewohnt zu haben. Der Umzug dieser Familien ist im Zusammenhang mit den kriegerischen Ereignissen der‘ Zeit zu sehen.

Die Deicherts sind noch heute im Dorf mit zwei Zweigen vertreten, von denen einer den alten „Hof“ bewohnt. Der Großvater hieß noch „der Hove Schmied“.

Wir sagten, Conrad Steinbächer saß bis um die Jahrhundertwende auf dem Hof. Er ist dort für die Folgezeit der letzte bäuerliche Pächter gewesen. Im Gronauer Kirchenbuch finden wir 1704 Herrn Ernst Friedrich Creit(en)‚ „gewesener erbachfürstenauischer Hoff-Keller, welcher auf dem Hoffguth bey der Kirche als Admodiator (=Pächter) wohnete...“ im Sterberegister. Er kann nur sehr kurze Zeit hier gewohnt haben. Im Register von 1715 ist sein Nachfolger, der Kammerrat Wilhelm Liborius Wippermann der Hofpächter:

„Das Hoffguth ist von gemeinschaftl. Schatzungen und andern herrschaftl. Anlagen genzlichen befreyet.“ Aber auch des Kammerrats Privatbesitz, eine Hube, Weingärten und Ackerland sind steuerfrei: „Von welchen allen er bishero nicht eines ch (=Pfennigs) anth. (bisher) gegeben, auch aller Kriegslasten sich entladen.“ Der Hof hat seinen Charakter geändert. Er ist zum Ruhesitz für pensionierte gräfliche Beamte mit erheblichen Privilegien geworden. Er bleibt nun Wippermännischer Besitz, lange Zeit in der Hand der ältesten Tochter des Kammerrats, der „Jungfrau Polexinia (=Polyxenia) Wippermann“. Sie hat 1781 der Kirche zu Gronau letztwillig ein Legat von 100 Gulden zur Bezahlung „des zu einem Kirchhof erkauften Ackers...“ gestiftet. Das Geld wurde 1782 angewiesen, der Schlußstein über dem Friedhofstor trägt die Zahl 1783.

Als letzter bekannter Hofbesitzer dieser Zeit beerbt der „Marschkommissarius“ Franz August Pagenstecher seine Tante Wippermann. Seine Mutter war die Frau des Gronauer Pfarrers Rudolf Pagenstecher.

Neben dem Hofbesitzer ist der Schultheiß und Müller auf der Mühle oben im Dorf für den Anfang des 18. Jahrhunderts zu nennen. Johann Philipp Pfeiffer ist im Schatzungsregister von 1714 mit einer Vollen Hube mittlerer Qualität, 13 Morgen Privateigentum und der Mühle der bei weitem wohlhabendste Mann im Dorfe: „Er besitzt eine Mahlmühle nebst einem Neben-Bau, und eine kleine Scheuer, dann eine Hube Guths und neue Scheuer darauf, davon aber noch Güther ermangeln (offensichtlich erst kürzlich erworben), 1 Schweinestall.“ Der Schatzungsfuß beträgt 135 1/2 fl. (zum Vergleich: Die besseren Bauern kommen auf etwa 80 f1. =Gulden Schatzung, und nur einer mit 108 fl übersteigt die 100ter Grenze- außer Pfeiffer). Er bezahlt an „Mühl Pfacht 3 Malter Korn“, ferner „Graben Zins“ (für den Mühlkandel) 1 Malter 1 Simmer Korn, besitzt „zwei Pferde, ein jährig Fohlen, 2 Küh, 4 Schweine“ sowie umfangreiche „eigenthümbliche Güther“ in Gronauer und Zeller Gemarkung. Und „Die Mühl muß jährlich auch geben 12 Maß Wein“, dann „Kirchen-Zins 1/2 Ohm Wein“ und schließlich zwar „Frohngeldt 4 fl, so aber dieselben als Schultheis nicht entrichtet“.

Pfeiffer ist auch der Bauherr des schönen, heute leider verschindelten Fachwerkhauses der Mühle, denn laut mündlicher Überlieferung trug ein in unseremjahrhundert ausgewechselter Balken die Inschrift:

„17 Der Mann ist klug und wohlgeehrt 17
der alle Ding zum Besten kehrt
Philipp Pfeiffer“

Pfeiffer muß ein außerordentlich geschäftstüchtiger und zielstrebiger Mann gewesen sein, der auch erreichte, was er ansteuerte. Man glaubt seine Handschrift hinter den Bemühungen um neue Kirchenglocken ebenso zu spüren wie hier, wo es sich um seine wirtschaftliche Position dreht. Man wundert sich nicht, wenn sich neuerdings herausstellte (52), daß es ihm gelungen war, im Jahre 1714 vom Landesherrn einen „Bannbrief“ für seine Mühle zu erwirken. Im folgenden auszugsweisen Zitat desselben wurden die zahlreichen Fremdwörter durch die entsprechenden deutschen Ausdrücke ersetzt:

„Wir, Georg Albrecht, regierender Graf zu Erbach (...) bekennen hiermit (...), daß wir aus sonder Ursachen Uns in Gnaden bewegen laßen, Unserm lieben besondern diesmaligen Schulheißen und Untertanen zu Gronau Adam (Irrtum: Johann) Phil- ipp Pfeiffern, seinen Erben und Erbnehmern (...) uff und zu seiner in ersagtem Gronau habendenden eigentümlichen, Uns mit einer jährlichen Erbpacht zu unserm Amt Schönberg zugeordneten Mahlmühle ein solch Privilegium zu erteilen, kraft deßen alle unserer daselbst angeseßene Untertanen und Einwohner gehalten, verbunden und allerdings gebannet sein sollen, von jetzt und künftighin nirgends anderswohin als in seiner Mühle allein zu mahlen, es sei welcherlei Gattung Früchte es immer wolle, wogegen aber ihm (...) obliegt, um (=für) die bisherig üblich gewesene Moltzer oder Mitzfrucht (=Mahlvergütung) seine ihm angebannten Mahlkunden mit gutem und getreulichem Mahlen zu versorgen, ihnen und einem jeden insonderheit zu holen und zu bringen...“

Es folgt dann ein entschiedenes Verbot jeglicher Konkurrenz mit Androhung von 10 Reichstaler Strafe für jeden Fall von Übertretung‚ sowie die Zusage

„...vorbenannten Johann Philipp Pfeiffer zum wirklichen Genuß dieses Bannmühlenprivilegii nit nur hierdurch einzusetzten, sondern auch dabei gnädig zu schützen...“

p85

Der Graf war in dieser Zeit in finanzieller Bedrängnis (51), war er doch gezwungen gewesen, etwa von 1696 bis 1710 das Amt Schönberg zu verpfänden. Welche Vorteile ihm aus dem Bannbrief erwuchsen, wissen wir nicht, doch sind die Nachteile für die Clausenmühle nicht zu übersehen: In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts geraten ihre Pächter in immer größere Schwierigkeiten. Der Verlust an Kunden im Dorf muß vermehrt auswärts ausgeglichen werden, was vor allem weite Fuhren und somit großen Zeitverlust sowie Mehrbelastung der Zugtiere bedeutet. Immer häufiger wechseln die Pächter, 1766 verschwindet einer „bey nacht und nebel“ und hinterläßt seine Schulden. Dann steht die Mühle für 2‘/2 Jahre überhaupt leer; es folgt ein Pächter, der nur fünf Jahre bleibt. Um 1776 muß ein Eigentümer-Wechsel stattgefunden haben: Der neue Mann heißt Johann Conrad Pfeiffer, Schultheiß und Enkel jenes Schultheißen Johann Philipp, dem der Erwerb des Bannbriefes gelungen war. Bis um 1780 wird die Clausenmühle noch einmal verpachtet, dann legt Pfeiffer die Mühle im Dorf still und die Familie siedelt mitsamt dem Bannbrief in die erheblich größere Clausenmühle um. Dort liegt nun der Mühlbann‚ dort müssen nun die Gronauer mahlen lassen.

Für zehn Jahre betreibt der Müller und Schultheiß sein Handwerk in der neuen Besitzung. Dann übergibt er sie seinem gleichnamigen Sohn. Es mutet nun etwas befremdlich an, daß dieser nur sechs Jahre bis 1796 auf der Clausenmühle bleibt. Über sein Weiteres Schicksal erfahren wir nichts. Johann Leonhard Hess aus Gronau übernimmt für den Rest des Jahrhunderts die alte Mühle.

Mit dem Mühlenthema haben wir unseren zeitlichen Rahmen zunächst überschritten und wollen noch einige Wohnhäuser nennen, die mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit in das 18. Jahrhundert gehören:

Der schöne Hof in der Hintergasse Nr. 8 (Braun-Hilss-Braun, dann Meyer) trägt am Scheunenbalken 1713. Das Wohnhaus gehört eher einer noch früheren Zeit an. Ein großes altes Fachwerkhaus stand bis 1926 an der Stelle des Doppelhauses Nr. 73 und wurde wegen Baufälligkeit abgerissen. Seine Entstehung muß noch am Anfang des 18. Jahrhunderts liegen, denn in ihm hat der Webermeister Georg Friedrich Reimund (ab 1705) gewohnt. Seine Tochter heiratete 1749 den Johannes Werner, ebenfalls einen Weber, dessen Nachkommen noch heute das Anwesen bewohnen. Im „Baueck“ stehen die Häuser Nr. 95 und 97. Ersteres trägt am Kellerhals die (unsichere) Zahl 1718 (vielleicht sogar 1617, jedenfalls nicht 1748). Das Fachwerkhaus Nr. 97 gehört Wohl ins 18. Jahrhundert.

Das schöne Anwesen Nr. 71 (Kraus) trägt die Jahreszahl 1730.

Von der Scheuer des kleinen Hauses Nr. 80 (früher Metzger, jetzt Keller) ist ein Feierabendziegel mit der Jahreszahl 1765 erhalten.

Das gegenüberliegende Haus von Nickel Metzger zeigt am Kellerhals: 17 N.M. 66, daneben ein Anbau mit 1822 (stark verwittert).

In der östlichen Hintergasse steht am Keller des Hauses Nr. 28: 1755, das westlich angrenzende Haus dürfte ebenso alt sein.

Hintergasse Nr. 10 und Hauptstraße Nr. 105 (24) gehören mit der Angabe 1792 an das Jahrhundertende.

Wahrscheinlich gehören die Häuser Nr. 94 und 106 sowie Hintergasse 13 in die gleiche Zeit. Weitere alte Häuser sind wegen starker baulicher Veränderungen nicht mehr einzuordnen.

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Wir wollen hier noch eine Fortsetzung der Lehrerreihe anfügen: Anschließend an Joh. Georg Jung (mindestens bis 1727) wird 1739 Joh. Michael Grosch anläßlich einer Taufe 1739 genannt. Als „Praeceptor“ ist er ein studierter Mann. Das gilt auch für Joh. Josef Müller, einen Sohn des ehemaligen Pfarrers in Gronau. Müller wird 1741 erwähnt. Auf ihn folgt der PraeceptorJoh. Christian Pfister, 1746 erstmals bei einer Taufe genannt und wohl bis 1769 Lehrer in Gronau. Schließlich beginnt im gleichen Jahr die lange Dienstzeit des Praeceptors Joh. Adam Reeh aus Elmshausen, der bis 1825 in Gronau Dienst getan hat. p class="pno">p91

12. Das Handwerk in Gronau im 17. und 18. Jahrhundert

Den Kriegsausbruch hatten im Dorfe nur ein Schneider, ein Wagner und zwei zugereiste Zimmerleute erlebt. Sie verschwinden mit den vielen anderen. Mit Wiederbeginn der Ein- bzw. Nachträge im Kirchenbuch finden wir bereits 1639 den Schreiner Hans Diel (bis 1665), dann von 1656 bis 1660 einen Weber und einen Zimmermann, die aber nicht wieder erscheinen. Auch ein Küfer ist nur 1644 bis 47 erwähnt. Weitere nur kurz auftauchende Handwerker folgen: Ein Schreiner, Sohn des vorgenannten, ein Zimmermann, ein Schneider und ein Schmied, alle mit ortsfremden Namen und nur kurzer Tätigkeit im Dorfe. Erst ein weiterer Schneider ist dann 1678 bis 1690 immerhin 12 Jahre aktiv. Man merkt der Entwicklung nicht an, welcher steile Anstieg dem Handwerk bevorsteht. Einzig die „Herrenküfer“ für den Schönberger Hof lassen ab 1677 schon eine fortlaufende Reihe im Handwerk erkennen.

Um die Jahrhundertwende von 1700 beginnt dann jene abrupte Entwicklung, die das Zeitalter des Merkantilismus auch in unserem Dörfchen einleitet und die soziale Struktur verändert: Nach dem Vorbild Frankreichs haben die vielen deutschen Einzelfürsten ihre absolut regierten kleinen Nationalstaaten aufgebaut, mit nationaler Armee und einer Wirtschaft, deren Grundsatz die „aktive Handelsbilanz“ ist, mit größtmöglicher wirtschaftlicher Unabhängigkeit vom „Ausland“, Bedarfsdekkung aus eigener Produktion und möglichst geringer Einfuhr, dagegen weitestge- hender Ausfuhr — soweit es die Überschüsse erlauben. Das erfordert einen ausgebildeten Handwerkerstand, nicht nur in der Stadt sondern auch auf dem Dorfe. Und hier bot sich vor allem der Beruf des Leinwebers als praktikabel an. Bisher war der örtliche Bedarf an Textilien wohl weitgehend auf kleinen Webstühlen innerhalb der Familie gedeckt worden. Vor dem Kriege findet sich nur ein einziger Weber um 1600. Dagegen ist nun in Nickel Werner — um 1670 beginnnend - der Gründer einer ganzen Generationenfolge von Leinwebern zu erblicken. Er begegnet uns noch mit Berufsangabe kurz vor seinem Tode im Schatzungsregister von 1715.

Danach ändert sich die Lage sehr schnell: 1691 wird Hans Dieter Werner als Leinweber genannt, 1702 kommen der taubstumme Andreas Seehaus undJohannes Teuchert (= Deichert) hinzu, es folgen Georg Friedrich Reimund und noch ein Johannes Teuchert im Jahre 1705. Mit dem Einsetzen von Wendel Werner 1707 klappern schon sieben Webstühle im Dorf. Die Zahl von acht Webern ist nie überschritten und ziemlich konstant während des Jahrhunderts beibehalten worden. Hier hat sich offensichtlich eine „Marktlücke“ für zweite und dritte Söhne aufgetan, obgleich die Leinweber in Gronau — sie tragen fast stets den Meistertiteloft auch eine Hube bewirtschafteten. Sie zählen durchaus zu den angesehenen Familien, sind meist Gemeinsmänner und haben auch Ehrenämter wie „Steinsetzer“, „Gerichtsschöpfe“, auch „Herrschaftlicher Wingertsmeister“ inne. Das trifft besonders für die Werners zu. Daneben aber wurde der Weberberuf auch von „Beisassen“, also nicht vollberechtigten Ortsbürgern ausgeübt.

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Von den älteren bis alten Gronauer Familien kommen als Berufsweber neben den genannten Namen noch die Heß, Rettig, Filbert und Braun vor. Noch um die letzte Jahrhundertwende ist im Dorfe gewebt worden.

Neben den berufsmäßigen Webern gab es offensichtlich immer auch eine bäuerliche Weberei. Da aber der Bauernwebstuhl keine eigene Webstube beanspruchen konnte und in der Stube stand, mußte er schmal sein. Überlieferte Webstücke liegen 70 und 80 crn breit. Sicher hatten diese Webstühle unterschiedliche Ausmaße, doch ist leider kein Exemplar erhalten geblieben. Wenn wir aufgrund mündlicher Überlieferung und anhand ganz oder fragmentarisch erhaltener Verarbeitungsgeräte für Flachs (Brechen, Spinnräder, Spulräder, Haspeln und z.T. in Massen erhaltener Spulen) unsere Schlüsse ziehen, so hat wahrscheinlich jeder Vollbauer zur Selbstversorgung einen eigenen Webstuhl besessen, der vor allem im Winter in Gang gesetzt wurde. Für die Bauern ist die Kette wahrscheinlich von Berufswebern des Dorfes aufgezogen worden. Die älteste bekannte Breche trägt die Inschrift: ANNA MARIA KEIL VON GRUNAV 1834.

Hier muß auch der Flachsanbau kurz erwähnt werden. Er ist sicher umfangreich gewesen, die Bauern haben sich auf diesem Gebiet gewiß selbst versorgt. Ob ihn die Berufsweber wegen ihres großen Verbrauchs von auswärts bezogen haben und woher (Oberhessen?) wissen wir nicht. Es wurden auch in der Dorfflur weder „Flachskauten“ zum „Rösten“ (= Gärung im Wasser) noch „Darren“ (zum Trocknen des gerösteten Flachses) mit Sicherheit lokalisiert. Vielleicht gibt der Flurname „In der Döll“ (auch Dell, Tell‚ Till) einen Hinweis auf eine solche Anlage. Auch soll in der heute bebauten Flur der „Schliefenklingen“ im Oberdorf eine Flachskaut gewesen sein.

Das Kiiferlmndwer/e war offensichtlich sehr angesehen. Den Anfang macht hierJoh. Balthasar Philibert (Filbert) (1677-93), der „Herrenküfer“. Sein Amt übernimmt 1694 bis 1717 Joh. Michael Grüner, doch scheinen damals nebeneinander zwei Betriebe bestanden zu haben. Beide Familien lassen eine fortlaufende Generationenfolge erkennen. Während die Filiberts das Handwerk noch im 19. Jahrhundert ausüben, werden die Grüners später von Schüsslers abgelöst. Neben diesen Linien treten noch ein Werner, zwei Reimunds und ein Marquardt als Küfer auf. Der letzte Gronauer Küfer war „Bauers Peter“, eigentlich Peter Metzger (1858-1941), der noch in dem uralten Metzgerschen Anwesen (Nr. 79) wirkte.

Der Beruf des Schreiners scheint vor dem großen Kriege noch nicht im Dorfe ansässig gewesen zu sein. Zwei Diels gegen Kriegsende bis 1690 nannten wir schon. Hinzu kam 1680 bis 1705 Martin Ewald, der auch eine zeitlang das Schultheißenamt versah, dann aber nach Zell abwanderte. Auch in der folgenden Zeit hat sich keine Generationenreihe gebildet. Von 1715 bis 1725 ist ein Georg Heinrich Haun im Dorfe tätig, es folgt eine Lücke bis 1755, und nun kommt überraschend noch über die Jahrhundertwende hinaus eine Zeit, in der meist zwei bis drei Schreiner zugleich im Ort tätig waren. Dieses Handwerk blüht bis zur Gegenwart in Gronau.

Mit den Wagnern verhält es sich ähnlich. Im Verlauf des Jahrhunderts hat wohl stets nur ein Meister ausgereicht, doch finden sich gegen 1800 gleichzeitig zwei Wagnermeister. Bis zur Mitte unseres Jahrhunderts war der Beruf in Gronau vertreten.

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Der erste Schneider ist erst wieder 1670 festzustellen. Auch hier scheint bis 1730 je ein Meister genügt zu haben. Dann lassen sich bis nach 1800 sogar 3-4 Schneider gleichzeitig nachweisen. Auch dieses Handwerk ist bis in unsere Tage im Dorfe aktiv gewesen.

Bei den Schuhomauchern sieht man besonders deutlich, wie sehr die Überlieferung über einen Beruf vorn Zufall abhängt. Er wird meist nur vermerkt um zwei gleichnamige Dorfbewohner Von einander zu unterscheiden. Daran mag es liegen, daß bis nach 1760 nur ganz wenige Schuhmacher genannt werden, und erst gegen Ende des Jahrhunderts stoßen wir auf zwei gleichzeitig arbeitende Meister. Trotzdem wird es im Dorfe ständig Schuhmacher gegeben haben.

In der Regel waren Schneider und Schuhmacher von auswärts zugezogen und blieben Beisassen, sicher als Angehörige der ärmeren Bewohnerschaft des Dorfes. Auch verschwinden ihre Namen wieder. Nur zwei Angehörige der einheimischen Familie Werner, Vater und Sohn, waren als Schneider auch Gemeinsmänner, wohl aufgrund von Hubenbesitz.

Einen Schmied hat es mit Gewißheit immer im Dorf gegeben, doch wird erst 27 Jahre nach Kriegsende (1675) wieder ein solcher genannt, 1696/97 ein weiterer, dann wieder 1715 bis 1720. Erst um 1730 kommtJoh. Adam Burger — später Borger— eine Familie von Schmieden nach Gronau, die bis in unsere Zeit hier ansässig war. Der erste Burger ist Sohn eines Schmiedemeisters aus Albersbach, selbst Meister, zunächst Beisasse, bald Gemeinsmann. Er stirbt jung, mit 40 Jahren, doch treffen wir 1756 seinen SohnJohann Leonhard und 1784, nun bis ins folgende Jahrhundert,

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In diesem sehr alten Haus (Nr. 79) wohnte Gronaus letzter Küfer „Bauers Peter“ seinen Enkel Joh. Georg als Schmiedemeister in Gronau. Noch eine Weitere Schmiedefamilie siedelt sich hier an: 1750 bis zu seinem Tode 1778 wird Joh. Georg Meister genannt, ein zweiter Johann Georg löst den Vater ab und betreibt das Handwerk über die Jahrhundertwende. Neben diesen beiden Linien treffen wir noch auf „Zugvögel“: Der 1733 bis 58/59 hier tätige und alteingesessene MeisterJoh. Peter Philbert wandert mit den „Kartoffeldeutschen“ nach Dänemark aus und Joh. Heinrich Giesing ist nur fünf Jahre hier tätig, wohl bei einem der Meister. Mit zwei selbständigen Schmiedemeistern ist jedenfalls ab 1750 zu rechnen.

Der Beruf des Zimmermanns, seit langem und bis 1620 im Dorfe ansässig, läßt sich nach dem Kriege noch bis 1672 feststellen. Dann scheint sich das Handwerk hier für einen eigenen Meister nicht mehr gelohnt zu haben, auswärtige Zimmerleute haben die diesbezüglichen Arbeiten ausgeführt — wie am Torbalken der „Zentscheuer auf dem Hof“ zu lesen ist.

In einem Dorf wie dem unseren konnte der Beruf des Bäckers nur einen Sinn haben, wenn genügend Einwohner auf die Bäckerei in einem eigenen Backhaus Verzichteten. Es sieht so aus, als sei dieser Zustand mit dem Anwachsen der anderen Handwerke erreicht gewesen.

Noch 1713 ist Peter Metzger, „seines Handwerks ein Becker“, bald nach seiner Hochzeit verzogen, obgleich er hier Gemeinsmann war. Im Schatzungsregister ist er nicht mehr Vertreten. Erst als 1737 Johann Philipp Jung, Sohn eines Bäckermeisters zu Brensbach, in Gronau die Tochter des Webermeisters und Gemeinsmanns Wendel Werner heiratet, ist offensichtlich der Beruf im Dorfe lohnend geworden. Aus dieser Familie erwächst eine lange Reihe von Bäckern‚ die mit kurzer Unterbrechung bis 1889 zu verfolgen ist. Ob das Dorf zur Zeit des Joh. Nicolaus Deichert, Bäckermeisters (1801—1804) sogar zwei Bäckereien gehabt hat, bleibt fraglich.

Wir wollen das Kapitel nicht abschließen, ohne eine Reihe von Sonderberufen zu streifen.

In der Nachbarschaft von Schannenbach und Knoden, vor allem aber in den Waldgebieten des Seidenbuch waren die „Nardenmacher“ (1670-1680) tätig. Ein „Neerdche“ ist noch heute bei den hiesigen Bauern ein flacher, länglicher Holzteller, der bei der Butterverarbeitung verwendet wurde. Die Nardenmacher waren also Holzschnitzer, lieferten wohl auch Teller, Löffel, Quirle und dergleichen. Die beiden bekannten Namen stammen aus Thüringen, doch sind deren wohl noch mehr tätig gewesen, nur daß wir von ihnen keine Nachricht haben.

Sicherlich aus der gleichen Heimat stammte ein Pottaschenbrenner, von dem 1705 berichtet wird und bei dem ein Nardenmacher Gevatter war. Dann tauft 1722 ein Köhler „...von Brannen (?) gebürtig, bey Schannenbach in der Kohlhütten sich aufhaltend.“ Die genannte Köhlerhütte scheint lange bestanden zu haben.

Für unser Dorf ist hier der einzige bezeugte Gerber zu nennen. Es ist „Nickel Metzger, der Gerber im Pfaffenrech“. Im Schatzungsregister ist er noch nicht genannt, erscheint 1724 im Kirchenbuch als Beisasse, ist später Gemeinsmann und wird 1743 beim Tode seiner Frau zum letzten Mal genannt. Die Örtlichkeit der Gerberanlage ist im Quellgebiet der Klinge im Pfaffenrech zu vermuten.

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Schon vor dem Krieg hat es im Dorfe einen Seiler gegeben, wie wir der Chronik von Pfarrer Walther, Reichenbach, für das Jahr 1607 entnehmen können. Georg Sattler, der Seiler bildet wieder ein Beispiel dafür, daß es Berufe gab, von denen wir nur zufällig erfahren. So übte auch Georg Metzger lt. Kirchenrechnung von 1746/47 den Seilerberuf aus.

Nur vorübergehend hat sich wohl der „Leyermann“ Matthes Arnold (1703) in Gronau aufgehalten. Dagegen ist von 1785-1821 (†) der „Musiker“ Christoph Heckmüller bezeugt. Leider erfahren wir nichts über die Art seiner Musik. Schließlich übt 1790 der „Maurer Meister“ Johannes Weiß aus Auerbach als erster seinen Beruf im Dorfe aus. Er dürfte auch der Stammvater der Familie Weiß in Gronau sein.

13. Aus dem Dorfleben im 18. Jahrhundert

Nachdem wir uns ein Bild von der Dorfbevölkerung machen können, über Hubenbauern, Handwerker oder beides zugleich ist es angebracht, aus überlieferten Einzelheiten einiges über das Alltagsleben jener Zeit im Dorfe zu erfahren.

Wir haben von der Haingerichtsordnung und ihren Vorschriften für die einzelnen Ortsbürger gehört und Wissen, daß sie 1765 erneuert wurde. Es fanden sich aber einige Protokolle von Haingerichtssitzungen, die aus den Jahren 1717/1718 stammen. Sie machen nicht so sehr den Eindruck von „Gericht“ als eher den einer „gewöhnlichen“ Gemeinderatssitzung über anstehende Probleme.

Unter ihnen befindet sich eine Liste über die Aufnahme von Gemeinsmännern, ein „Specificativ der jenigen neuen Gemeins Leuthe, so von Ao. 1695 an (bis 1768) einander in der Gemein gefolget.“

Sie enthält für die 75 Jahre 78 Namen. Die Aufnahme erfolgte mit der Übernahme einer Hube, meist durch Jungbauern, gelegentlich durch zugezogene einheiratende ältere Bauern. Im Jahr kommen ein bis Vier Zugänge vor, doch liegen dazwischen verstreut 25 Jahre ohne einen solchen. Der Aufgenommene wurde „zu einem Gemeinsmann angenommen“, auch „angelobt“ oder als „in die Gemein kommen“ bezeichnet. Sorgfältig wurde kontrolliert, ob er auch einen Ledereimer zur Brandbekämpfung gestellt hatte. Am Schluß der Liste heißt es: „Wie die Gemeinds Leuth sind weiter in die Gemeind kommen befindet sich in dem (neuen) Hayn Gerichts Buch.“

Ein weiteres Protokoll befaßt sich mit den schon besprochenen Bannzaunen, welche „bey Straff eines Reichsthalers“ in Ordnung gehalten werden müssen, ebenso die Durchgänge, die „Stiegel“ (zum Übersteigen) und die Türen. Dann werden die Verpflichtung zum Pflanzen von Bäumen und die stets aktuellen Fragen der Wasserverteilung auf den Wiesen und der „gemeinen Fron“ behandelt.

Ein Protokoll von 1718 deutet ein Wachstum der Gemeinde an Einwohnerzahl wie auch an Wohlstand an:

„Ferner ist bey obig gemelten Hahngericht bey Versammlung der gantzen Gemein beschloßen worden,

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Nachdeme nunmehro die Gemeine starker als vor ohngefehr 10 Jahren sich befindet, so sollen die nehmlichen Auszugsleuthe, welche die Zeit her dem Schulmeister (für seinen Glöcknerdienst) die 3 (wohl: Malter) Kirch-Glocken Korn geben, hinfüro davon befreit verbleiben, biß zu fernerer Verordnung...“‚ doch sollen sie zuvor noch Außenstände begleichen.

Tatsächlich zeigt die Kopfzahl der Gemeinde wachsende Tendenz, denn wir hatten für 1715 noch 161 Einwohner (29 Familien) angegeben, können aber 1765 mit 250 Einwohnern (49 Familien) rechnen. So ist eine Entlastung der Auzügler möglich geworden.

Von nun an ist ein ständiges Bevölkerungswachstum bis in die Gegenwart zu verfolgen.

Zu den Fronpflichten gehörten auch die „Lantfuhren“, von denen die Berichte zwischen 1712 und 1723 vorliegen:

„1712 den 7. Novembris haben wihr eine Lantfuhr nach Fürstenau gedahn / ist damals (ein) böser Weg gewesen / haben 4 Joche Ochsen genommen, als (znämlich) Nickel Metzger, Johan Deichert, Hanß Georg Heß, Conrat Stock...“ Es folgen unleserliche Angaben über Bezahlung. Der Eintrag endet: (Wir) „mißen aber den andern wider helffen fahren“, so daß sich die Erörterung wohl um Ausgleichsvergütung dreht.

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Unter „Landfuhren“ Verstand man Fuhren auf größere Entfernungen, es hat den Anschein, daß sie bezahlt wurden:

„1714 den 29. December ferner ein Lantfuhr nach Fürstenau gedahn, seint gleichfals wie die fohrigen geder (=jeder) mit einem fl. 9 alb. bezalt worden.“ Fürstenau ist besonders häufig als Bestimmungsort genannt, wohl zur Überführung von Zentgut, vorwiegend Getreide. 1717 lesen wir anläßlich einer Fahrt: „. . ‚seint nachts zu Richs (Reichelsheim) gebliben ...“. Die Fuhrleute kamen also frühestens nach Vier Tagen wieder heim.

Steine wurden in Güttersbach und Bockenrod geholt. Solche Fuhren deuten dann auf Bautätigkeit in Schönberg oder Gronau hin:

Im Juli 1720 „ist Hans Georg Heß vnd Nickel Metzger nach Bockerot gefaren vnd Stein geholt, den 1. Augustus ist eine Baufuhr / aber eine ander Lantfur (als die Vorige) gewesen, weil es eine weite Fuhr war.“ Hier entnehmen wir, daß die typische „Landfuhre“ eben weit war und entsprechend als Fronfuhre verrechnet wurde.

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Neben den Steinfuhren sind mehrmals Fuhren nach Mannheim verzeichnet um „Bort“, besondere Bohlen zu holen, von Fürstenau kam „Eisen“, Vielleicht für die Schmiede oder als Baubeschläge und „Daub Holz“ für die Küfer.

Die aufwendigste Fuhre scheint die folgende gewesen zu sein:

„1723 den 22 febr. (...) seint fünf Wagen / dobel besetzet nach Eberstatt gangen Vnd Korn Von Schönberg dahin gefürt ...“, dann folgen die Namen der zehn mit ihren Ochsen beteiligten Bauern.

Auf dem Wege über die weiten Landfuhren mag auch die Maul- und Klauenseuche eingeschleppt worden sein, wenn die Infektion nicht schon auf die Kriegszeiten zurückgeht. Das erste hier genannte Datum ist 1682. Der Schultheiß Joh. Philipp Heß liefert eine Beschreibung der Seuche von 1732:

„1732 den 28 Februarij ist ein großer Lerm entstanden wegen des Vies. Das Vie hat Blaßen auf und unter der Zungen bekommen. Ist gleich der Schultheiß bey (dem) Amt Vorstellung gethan‚ gegen dißen Übel Vorzukommen. Weillen es schon an Villen Orten ist eingerißen‚ so hat jetter ein Instrument müßen machen laßen, diße Blaßen darmit auff zu machen und raus zu gratzen, und darbey sich in Acht (zu) nehmen, weilen auß der Blaßen ein gelb Waßer ist herraus kommen, (in Acht zu nehmen) daß das Vie darvon nichts hat in Leib bekommen, sonsten es geleich oder ferner hin ge... (?). Das Enstrumend ist mit einer Stange 1½ Ellen lang, vorne mit einem silbernen Blättgen von guttem Silber in Form (54), darbey sind Progret (Gebrauchsanweisung) vorgeschriben worden, was darbey zu gebrauchen (=wie dabei vorzugehen sei). Das Instrument ist bey uns in Gronau nicht gebraucht worden, weillen uns der libe Gott, der alles in seiner Gewalt hat, durch fleißiges Butzen der Zungen mit raues Salz und sonst allerhand guten Mittel, hat darfor in Gnatten behüttet und bewarret. Weillen es allenthalben gar geleich hat eingerißen (=da es überall im Dorf zur gleichen Zeit einsetzte), so hat man den 19. Februarij 1732 auch gleich 2 Man, als den Hürten und noch ein Man (zur Untersuchung bzw. Behandlung ausgesandt), die sind auch in jeder (andern) Gemein geschückt worden, auch in Gronau‚ (um zu) suchen bey dem Vie an den Zungen. Sie haben aber an unterschütlichen Stücken Vie so kleine Blatgen auff der Zungen angetroffen, eines Greitzers (Kreuzers) groß, welge aber die Leit fleißig mit scharffen Wein-Eßig haben ausgewaschen und Allaun hingestreit, und es hernach mit Honnig geschmi- ret. Man hat aber in Zeit (von) damals 14 Dagen gar nichts an dem Vie gespürt und (nichts) mehr davon geheret.

Es hat an einigen Ortten dem Vie die Zungen balt halber (...) eingefreßen gehabt. Das Instrumend und die vorgeschrieben Progret liegen in unßer gemeine Kisten verwaret.

Zur Nachricht attestirt den 6. April 1732
Johan Philipp Heß
damals Schultheis al hür in Gronau“
Merkwürdig ist der Bericht über einen kleinen Seuchenzug 1786:
„...und an 28 Stück sind auf den Zungen hinten am Schlund Haare wie Schweinsbörsten‚ welche dem Vieh die Zungen durchfreßen, angetroffen worden.“

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Wo wäre der Bauer, der sich nicht für das Wetter interessierte? Für das 18. Jahrhundert liegen sechs Einträge über besondere Wettererscheinungen vor. Sie beginnen 1730:

„...den 4. Julij haben wir ein so entsetzlig Donner- und Hagel Wetter allhür im Ambt gehabt, daß die Küßel dicker als faustdick sind geweßen / haben die Frucht und Ziegel Dächer ser verschlagen / doch hat es hür zu Gronau nicht so vil gedan als...“ und dann folgen die Dörfer drüben „im Tal“, wie man in Gronau sagt. 1740 wird von schweren Schneefällen im Mai berichtet und von solcher Kälte, daß die Vögel „. . ‚sind herundergefallen (und) vor Hunger und Kält sind dot geweßen ...“ und 1745 den 19. August „...ist ein so schwer Gewitter bey uns geweßen, daß die Kißel die Drauben so verschlagen haben, auch so ein Geweßer, daß all die Felter nichts mer ertragen können. Der Klingen in der Gaß ist bey Menschen Dencken nicht so groß geweßen. Mein Haus-Wohnstuben hat 3 Schuh (=etwa 90 cm) hoch mit Waßer gestanden und durchgelaufen...“ schreibt Schultheiß Joh. Philipp Heß, der demnach in der Hintergasse im Anwesen Nr. 7/9 (heute Werner) gewohnt haben muß.

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Einen Einblick in die Örtlichkeiten der Hintergasse erlaubt uns auch ein Bericht zur Steinsetzung von 1737: „Weillen im Dorff als durch die Gaßen der gemeine Weg biß dahero nicht abgesteind geweßen. . f‘, so beginnt der Bericht. Nach ihm hat an der Ecke zur Hintergasse das zum Pfarrhaus gehörige Backhaus gestanden, Während das gegenüberliegende Grundstück noch unbebautes Gartenland war. Es folgt die Kurve mit dem Anwesen Nr. 28 (Dingeldey). Westlich daneben lag die Hofreite des Küfers Hans Reinhard Grüner, Nr. 26, dann der Hof von Hans Nickel Heß, der noch nicht lokalisiert werden konnte.

Weiter erlauben uns „der Weg vom Rathaus her in die Gaße“, der „Gaß, Brunnnen und Klingen“ sowie die Stelle, wo der Weg zwischen Hintergasse und Hintenaus „auseinanderfällt“ eine Orientierung. Wenn es dann weiter heißt „...bey des Schultheiß Johann Philipp Heßen Haus und Hanß Ditter Braunen Hauß .. so ist letzteres das Anwesen Nr. 8, das kurz vorher Hans Dieter Braun von seinem Stiefvater Hilß — wieder — übernommen hat. Gegenüber liegt, wie wir schon wissen, der Wernersche Hof Nr. 7/9.

Der Nachfolger obigen Schultheißens ist Joh. Conrad Pfeiffer, Schultheiß und Müller der Mühle oben im Dorf, Er berichtet über das Regenjahr 1770, über ein weiteres Hagelunwetter im Mai 1773 und das Frostjahr 1791, alles Jahre, in denen es keinen Wein gab. Er scheint — wie sein Großvater — Sinn für das Geldwesen gehabt zu haben, berichtet er doch als einziger über die Währungsschwierigkeiten jener Zeit:

„Im Jahr 1765 ist es eine so große Unordnung geweßen mit dem Gelt, daß fast niemand hat wißen können, wie er soll einehmen.“ Da hat es wohl Schwierigkeiten mit der Umrechnung von Währungen gegeben. Im Jahre 1770/71 „ist eine so große Theuerung geweßen, das Achtel Weißmehl zu 11. bis 12. fl.‚ das Rocken Mehl aber zu 9. bis 10. fl. gekostet haben.“

Es sind noch einige Bemerkungen zu den kirchlichen Verhältnissen des Jahrhunderts zu machen:

An das 200jährige Jubiläum der Reformation 1717 erinnert nur ein kurzer Vermerk duch Pfarrer Hennemann anläßlich einer Taufe. Hennemann starb 1719 zu Gronau an der Ruhr. Ihm folgte 1719 bis 1735 Joh. Peter Müller. Abgesehen von seinen Einträgen im Kirchenbuch wissen wir nur wenig über ihn. 1735 wird Joh. Rudolf Pagenstecher, Angehöriger einer verbreiteten Familie von Gelehrten und Politikern‚ Pfarrer in Gronau. Mit 35 Dienstjahren erreichte er die längste Amtszeit nach Peter Lesch. Er starb 1771 zu Gronau als Hofprediger und Konsistorialrat. Nachfolger war sein Sohn Gabriel Carl, der 1787 gleichfalls in unserm Dorf starb.

Noch aus Pfarrer Müllers Amtszeit liegen die Kirchenrechnungen von 1721, 27, 28 und 29 vor. 1721 lesen wir zum ersten Mal von einer Kirchenuhr, sowie von Ausgaben für „Schul Geld“, 1727 wird erstmals das Beinhaus an der SO-Ecke des Kirchhofs genannt, eine sicher sehr alte Einrichtung, die wir schon von der „Vignette“ her kennen. Dann ist von der Neuanschaffung einer Orgel die Rede. Es muß sich um das zweite Instrument in Gronau handeln: 1728:

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„dem Kirchenpfleger bez(üglich) Abschickung nach der Stadt wegen Orgel 1 fl „dem Orgel—Macher (dessen Namen wir leider nicht erfahren) ohne Quittung, wie der Schulheiß attest(iert) 8 fl“
Nach diesen Vorarbeiten heißt es:
„1729: „Vor Mühe bez. der Orgel-Setzung dem Grüner-Wagner 3 fl
for ein ledern Fell zur Orgel —‚12 alb.
dem Orgelmacher 7 f1“

Betreuender „Orgelmacher“ ist später für Viele Jahre Christoph Dauphin aus KleinHeubach. Diese Betätigung ist ein „Bestallungsdienst“ aufgrund eines Vertrages, wie der Schulmeister, Kirchenpfleger, Glöckner, aber auch der „Leyendecker“, der Dachdecker, der jährlich den Zustand des Kirchendaches zu überprüfen hat. Der Orgelmacher bleibt zwei Tage am Ort, findet bei einem der ansässigen Wirte Unterkunft und „Zehrung“ auf Kosten der Kirchengemeinde. Als Organist für den regelmäßigen Gottesdienst kommt nur der Schulmeister in Frage, auch wenn er in dieser Eigenschaft nie erwähnt wird. Dagegen bekommt der Glöckner „seinen Sold, den Blaß—Balg zu ziehen“ von 2 fl 15 Xer.

Über die Aufgaben und das zweifellos mühselige Leben und Wirken des Lehrers können wir den Kirchenrechnungen ebenfalls mancherlei Angaben entnehmen: Er hieß „Schulmeister“, später „Praeceptor“, manchmal auch „Schuldiener“. Da letztere Bezeichnung auch gelgentlich für den langjährigen Glöckner Johannes Wörner gebraucht wird, kann es zu Mißverständnissen kommen. Der Glöckner vollzog verschiedentlich auch Handlungen, die ursprünglich der Schulmeister als Kantor hatte durchführen müssen. Dafür mußte ihn der Lehrer von seinem Geld bezahlen, denn diese Dienste waren ja in seinem Sold inbegriffen. Hierher gehörte vor allem das Sammeln der Kollekte mit dem Klingelbeutel, die Beschaffung von „Baumöl“ für Uhr und Glocken, die Bedienung des Blasebalgs der Orgel, Wäsche der kirchlichen Tücher bis hin zur jährlichen Beschaffung von Besen.

Im Anschluß an die bereits genannten Lehrer folgen hier die Lehrer-Namen des 18. Jahrhunderts:

1714/15 bis 1727 Johann Georg Jung
um 1728 bis nach 1739 Johann Michael Grosch
um 1741 bis 1746 Johann Joseph Müller, Sohn
des ehemaligen Pfarrers und „candidatus ministerii“
1746 bis 1769 Johann Christian Pfister
1769 bis 1825 Johann Adam Reeh/Rehe

Zu den regelmäßigen Ausgaben gehört auch „Dienten für die Schul“. Da die Stahlfeder erst gegen Ende des Jahrhunderts in England erfunden wurde, haben die Schulkinder wohl mit Gänsefedern das Schreiben gelernt. 1788 werden folgende Eltern bestraft „...wegen Ausbleibung der Kinder aus der Sommer-Schul: Balthasar Heß 8 Xer / Nicolaus Braun 24 Xer / Conrad Deichert 24 Xer / Georg Arras 4 Xer / Nicolaus Metzger 28 Xer / Heinrich Schenherr (Schönherr, Bäcker) 4 Xer / Philipp Heß 12 Xer / Nicolaus Heß sen. 12 Xer / Peter Deichert 8 Xer / Elisabeth Catharina Metzgerin 4 Xer / Philipp Marquardt 20 Xer“, so daß wir für einmaliges Fehlen 4 Kreuzer annehmen können, was nicht eben wenig war. Sicher hat es neben der Sommer—Schul auch eine Winter—Schul gegeben, doch war hier wegen geringen Arbeitsanfalls wohl kaum mit dem Fernbleiben vom Unterricht zu rechnen.

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Der Dienst des „Kirchenpflegers“ war vor allem der eines Rechners oder „Kastenmeisters“ der Kirchengemeinde. Das Amt wurde nicht immer in der gleichen Weise an die Ausführenden übertragen: Bis 1730 werden immer zwei Namen zugleich genannt. Dann treffen wir in jährlichem Wechsel jeweils einen Kirchenpfleger an. Weiter bis 1750 verwaltet den Posten ohne Unterbrechung Johann Philipp Pfeiffer, anschließend bis 1760 ist es der BäckermeisterJoh. PhilippJung und nun bis über die Jahrhundertwende hinaus alljährlich andere Gronauer Bürger in stetem Wechsel. Die zahlreichen kleinen Reparaturen an der Kirche, an Fenstern und Türen, an Treppen und Borten, am Mechanismus der Glocken, auch die Maler- und Schlosserarbeiten verhelfen uns in vielfältiger Weise zu Vorstellungen von den kirchlichen Zuständen aber auch von dörflichen Verhälnissen. Die Arbeiten wurden Weitgehend von einheimischen Handwerkern ausgeführt. Manche Berufe konnten sich wegen ungenügenden Arbeitsanfalls nicht halten: So kamen die Zimmerleute von auswärts, der Seiler Georg Metzger hat nur zweimal Arbeiten für die Kirche ausgeführt und scheint sich später hauptsächlich auf die Landwirtschaft gestützt zu haben, denn nun kommt nur noch der Seilermeister Traupel aus Bensheim vor. Der Gerbermeister Nickel Metzger aus dem Pfaffenrech muß offensichtlich als Nebenverdienst des Pfarrers Zaun reparieren. Dagegen hat ständig ein Schmied, ein Schlosser, Schreiner, Wagner aber auch Schuster und Schneider im Ort seinen Broterwerb gefunden. Über die Unterbringung der auswärtigen Handwerker erfahren wir auch die Namen der Wirte, oft als „Strauß-Wirt“ bezeichnet. Es sind Hans Peter Filbert der Küfer‚ sein Sohn Johann Nicolaus, dazwischen auch Johann Philipp Marquardt.

Durch die Arbeiten im Kircheninnern werden wir über die Gliederung der Gemeinde während des Gottesdienstes informiert. Die Männer scheinen zum Teil gestanden zu haben, denn es ist nur von der „Männer-Bühn“ die Rede. Dieser Eindruck wird noch durch ein Protokoll von 1740 verstärkt, demzufolge die jungen Männer sich offensichtlich auf die Plätze der alten gedrängt haben: „. . ‚junge Gemeinsleit / die nicht dahin sind angewiesen worden / wollen dahinstehen / so ist also von unterschriebenen Gereichtsleuten vor gut erkannt worden / wan nun und künftig hin ein junger Gemeinsmann wollte auff gemeldeten Platz stehen, so soll er vor (für) seinen Stand an den jährlichen Kirchenpfleger 1 fl darvor abtragen...“. Sicher hat es für die Alten auch eine Bank gegeben. Im Gegensatz dazu gibt es „Weiber Stühl“, „Mädchen Stühl“ und vorne die „Gerichts-Stühl“ und natürlich die Stühle für die Herrschaft.

Auch das auf dem Bild von Fohr erkennbare, durch eine Treppe erreichbare kleine Tor in der östlichen Friedhofsmauer sowie ein entsprechender kleiner Eingang in die Kirche — beides für den Pfarrer und ähnlich wie heute — werden genannt.

Soweit die Kirchenrechnungen als Quelle über das Alltags— und auch Sonntagsleben im Dorfe.

Ein Eintrag aus dem Jahre 1763 führt uns aus den besprochenen Urkunden wieder anderen Gebieten zu. Da werden „. ..dem Herrschaftl. Schultheiß Johann Conrad Pfeiffer vor Zehrung, so bey dem gehaltenen Umgang der Bann-Zäune von dem Herrn Hof Prediger Pagenstecher und Gericht geschehen, zu der Kirch Antheil bezalet 5 fl 24 Xer.“

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Es haben demnach die geistlichen und weltlichen Würdenträger die Grenze um das eigentliche Dorf, eben die „Bannzäune“ abgeschritten und die Grenzsteine überprüft.

Die Beschreibung des Umganges ist erhalten. Außer Pfarrer und Schultheiß „...ist darbey geweßen (...) die Kirchenältesten und Stein Setzer als Joh. Philipp Pfeiffer, Nickel Metzger, Peter Jost, Georg Friedrich Marquardt, Joh. Petter Deuchart und Joh. Nickel Heß als Gerichts Schöpfen, an Knaben Joh. Conrad Metzger, Joh. Philipp Jost und Joh. Peter Marquardt.“

Nach uralter Gepflogenheit sind bei solchen Umgängen Kinder beteiligt, um in späteren Zeiten die Richtigkeit der Steinsetzung bezeugen zu können.

Leider sind die topographischen Angaben so dürftig, daß der Weg nur zu ahnen ist. Man orientierte sich stattdessen an den Namen der Grundstücksbesitzer. Das liest sich dann so: „Der erste Stein ist damals nicht funden Worten / zwischen Frau Ober Förstin Hartigin (=Schwester der Frau Wippermann im Hof) und Balthasar Heß / ist ein blauer Wacker—Stein gesetzt worten / hat oben ein x / solte aber der alte gefunden werden / so soll der neue wieder weg getan werden.“

Oder an anderer Stelle: „Ist ein schmaler grauer Stein zwischen Johannes Werner / Johann Philipp Fülbert und Henrich Braun / ein Eckstein / hatt oben das x.“ Da man aber „unterm Dorf“ angefangen hat, ist folgender Weg anzunehmen: Beginn unterm Dorf, etwa bei Haus Nr. 73, Überquerung der Straße, am jenseitigen Hang durch die Weinberge unterhalb des „Ziggels-Pädche“ und hinter dem Anwesen Hintergasse 10 herum, Überquerung des Hintenaus-Weges, bergauf bis zum Pfad der Flur „Hinter den Zäunen“, also zunächst an Weinbergen, anschließend an Ackerflächen entlang bis zum „Bärbelsgrund“, dort abwärts, nach Überquerung der Straße hinter dem Anwesen Nr. 131 (W. Filbert) und 127, also den „Pitzweg“ überquerend zur Flur „Ober den Gärten“ und hinter dem Friedhof, am alten Hof Vorbei und wieder zum unteren Dorf.

Das war annähernd der Verlauf des Bannzaunes, damals aber kaum noch als Zaun, sondern eher als Grenzpfad vorhanden. Die Stelle von Beginn und Ende des Umganges läßt sich annähernd lokalisieren. Es ist zwischen Nickel Metzger und Balthasar Hess, als deren Anwesen die Nummern 81 und 73 als sicher gelten können.

14. Der Gronauer „Holzkrieg“

Unter dieser Überschrift hat Richard Matthes 1955 einen Aufsatz veröffentlicht (55), dessen Einleitung wir bereits unter dem Titel „Die Gronauer Fluren“ zitiert haben. Da diese schöne und informative Schilderung kaum noch zugängig ist, bringen wir sie hier in Abschrift. Nach der erwähnten Einleitung fährt der Autor fort:

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„Die Auflehnung der Gronauer: Ein kritisches Jahr in dieser Beziehung War das Jahr 1738. Diesmal waren es die Gronauer, die sich gegen die Waldherrschaft der Bensheimer auflehnten und einen „Holzkrieg“ entfesselten. Er begann damit, daß die Gronauer den Bensheimern die Durchfahrt durch das Dorf streitig machten, um dadurch „die Beholzung“ der Bensheimer im Märkerwald, insbesondere im Distrikt „Schliefenbach“, zu verhindern. Nach der „Märkerordnung“ von 1508 waren die Gronauer nur berechtigt, für ihren eigenen Bedarf Holz zu schlagen. Sie waren aber derzeit dazu übergegangen, im Märkerwald darüber hinaus Holz zu fällen, „wie dann fast kein Bauer in Gronau ist, der nicht das Jahr hindurch für 50 bis 60 und mehr Gulden Holz verkauft. Wie sogar erweislich, daß der Schultheiß selbst an Bensheimer Ziegler in letzverwichenem Jahr wohl für 100 Gulden Holz verkauft hat.“

Für ihren Anteil am Märkerwald war den Gronauern vom Märkergericht aufgetragen worden, einen Waldweg zu machen. „Hiergegen haben sich die Gronauer nicht nur widersetzt, sondern unsere Fuhrleut ausgepfändet und acht Rehmketten in Arrest behalten und haben sich mit Gabeln, Aexten und Beylen in den Weg gestellet mit der Bedrohung, die Wagen und alles zu verhawen (verhauen). Auch die von Zell aufgemahnet, ihnen hilfreiche Hand zu leysten, welche aber, nachdem sie zwar in loco Gronau erschienen, auch daselbsten Eßen und Trinken gratis bekommen, sich der Gewalttätigkeiten gegen die Bensheimer nicht unterstehen wollen.“

Hierauf beschwerte sich der Stadtrat beim Oberamt Schönberg, dem die Gronauer als Untertanen des Grafen unterstanden. In dem Schreiben heißt es: „da kein Dorf, Ort oder Stadt im ganzen römischen Reich zu finden seyn möge, bey dem die Durchfuhr und Rückkehr nicht zugelaßen seyn solle.“ Falls sich die Gronauer nicht fügten, könne der Stadtrat nicht umhin, „unser untergebenen Bürgerschaft zu Repreßalien und Zwangsmitteln die Hand zu bieten und die Gronauer zu dem, dem Märkergericht Schuldigen Gehorsamb und zur Raison zu bringen.“

Dieses Schreiben hatte keinen Erfolg, denn als am nächsten Holztag die Bensheimer Fuhrleute mit geladenen Wagen aus dem Märkerwald kamen, standen die Gronauer, jung und alt, mit Gabeln und Äxten bewaffnet, auf der Dorfstraße und verweigerten den Bensheimern die Durchfahrt, wobei sie von dem Schulheißen Phlipp Heß noch angefeuert wurden. Sie fielen mit größtem Ungestüm an die Pferde, rissen Zügel und Spannkettenn ab und zwangen die Fuhrleute, mit ihren Pferden durch den Bach heimwärts zu waren. Die mit Holz geladenen Fuhrwerke und das Pferdegeschirr wurden zurückbehalten. Ein junger Bensheimer, der sich zur Wehr setzte, wurde verprügelt.

Als eine Woche später die Bensheimer an ihrem Holztag wieder mit Wagen erschienen, wurden sie von den Gronauern, die sich diesmal die Schönberger zu Hilfe geholt hatten, gegen Zell zurückgetrieben.

Der „Angriff“ der Bensheimer: Daraufhin ordnete der Stadtrat an, daß beim nächsten Holztag die Bensheimer Fuhrleute von „etlichen hundert Mann der Bürgerschaft unter Führung einiger Ratsherren begleitet werden sollten, und sofern die Gronauer zu Tätlichkeiten schreiten würden, sie auf die gleiche Weise abzufertigen.“ Als „Repressalien“ gegen die Gronauer waren Vorgesehen: Gefangennahme des Schultheißen und Pfändung des Gronauer Viehs, sobald es das Bensheimer Territorium betritt.

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Davon hatten die Gronauer Nachricht erhalten. Sie fürchteten, daß die Bensheimer „nächtlicher Weyle ins Dorf einfallen und sie wegen ihrer Halßtarrigkeit und bis dato verübten Exzeßen gefänglich nach Bensheim führen würden.“ Aus Furcht vor einem solchen Überfall stellten sie eine Wachmannschaft von 12 Mann auf, welche vier Nächte hintereinander den Ortseingang bewachen mußten und bei Gefahr die Bauern alarmieren sollten.

Man muß sich nun den Aufmarsch der Bensheimer Vorstellen, wie sie am nächsten Holztag‚ es war der 21. Februar 1738, in Stärke von einigen hundert Mann, mit allerlei Hieb- und Stichwaffen Versehen, teils auf Fuhwerken, teils zu Fuß das Zeller Tal hinaufzogen, um die Gronauer zur Raison zu bringen. Denen wollten sie es doch einmal zeigen! Aber wie groß war ihr Erstaunen, als sie beim Einzug in das Dorf die Straßen menschenleer und die Häuser verlassen fanden! „Nur die Schultheißin in Abwesenheit dero Mannes“ war zurückgeblieben, um das den Bensheimern am vorletzten Holztag abgenommene Pferdegeschirr samt den Rehmketten, die in den „Hausähren“ („Ern“ 2 Hausflur) zweier Häuser niedergelegt waren, wieder auszuhändigen. Von ihr erfuhren sie nun, daß der Schulheiß den besseren Teil der Tapferkeit erwählt hatte, und mit sämtlichen Einwohnern, Männern, Frauen und Kindern in die umliegenden Wälder geflüchtet war. Das war natürlich eine große Enttäuschung für die Bensheimer, die ihren „Kriegszug“ so gut Vorbereitet hatten und ihn ruhmvoll zu bestehen hofften. Nur zwei vorwitzige Bauern, den Peter Gehron und den Johann Reimund, die sich aus dem Waldversteck hervorgewagt hatten, konnten sie erwischen und „gefänglich“ nach Bensheim führen. Hier wurden die beiden solange eingesperrt, bis die Churfürstliche Regierung ihre Entlassung verfügte.

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Passiver Widerstand und Ausklang. Nachdem die Gronauer gesehen hatten, daß sie mit Gewalttätigkeiten nicht weiterkamen, versuchten sie es mit Hinterlist. Als an einem andern Holztag die Bensheimer Fuhrleute hinter Gronau den Hohlweg (i.d. Schliefenbach) aufwärts fahren wollten, „hatte es sich befunden, daß die von Gronau 3 entsetzlich große Stein mit ohngemeiner Arbeit und Mühe in den Hohlweg eingewalzet, so daß es nicht möglich war, dahin fortzukommen, es seye denn, dieselben durch Pulversprung aus dem Weg zu bringen.“ So mußten also die Bensheimer unverrichteter Sache wieder umkehren „und mit großem Auslachen und Verspotten durch das Dorf fahren.“ Noch ein letztes Mal schikanierten die Gronauer die Bensheimer, indem sie den Bach in den Weg leiteten, so daß ein Durchkommen der Bensheimer wiederum nicht möglich war. Von da ab finden sich in den Ratsprotokollen der Stadt Bensheim keine Beschwerden mehr. Die Gronauer scheinen demnach den vergeblichen Kampf aufgegeben zu haben.“ — Soweit Richard Matthes.

Wir sagten bereits, daß im 18. Jahrhundert die Bevölkerung Gronaus stetig zunahm. Auch der Wohlstand muß in dieser Zeit beständig angewachsen sein. In einem Bericht über das Amt Schönberg im Jahre 1804 hat Gronau mit der Klausenmühle (56) „18 Bauernhäuser / 41 Handwerks- u. Taglöhnerhäuser und 323 Seelen“, und weiter heißt es: „Der Ort hat einen ergiebigen Fruchtboden, baut Wein, gewinnt gutes Obst, besitzt schöne Privathecken (=Wald) und ist wohlhabend. Im übrigen fließen wegen von den dortigen Einwohnern verübten Markwaldfreveln jährlich mehrere hundert Gulden nach Bensheim.“

Es soll trotzdem nicht unerwähnt bleiben, daß es bezüglich Gadernheim heißt, es könne „die auf der Gemeinde haftenden Kriegsschulden unter allen Gemeinden des Amtes am ersten wieder ablegen“. Solche Schulden sind natürlich auch für unser Dorf anzunehmen.

15. Die bürgerliche Gemeinde im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts

Wir müssen uns kurz mit den geschichtlichen Verhältnissen dieser Zeit befassen: „Nach der siegreichen Schlacht bei Austerlitz (2. Dez. 1805), der sog. Dreikaiserschlacht, war Napoleons Sieg nicht mehr aufzuhalten. Am 6. August 1806 legte Franz I. die römisch-deutsche Kaiserwürde nieder. Die deutschen Fürsten hatten kurz zuvor mit Napoleon den Rheinbund geschlossen, sie waren ihm nun auf Gnade und Verderb ausgeliefert.

Der Landgraf Ludwig X. von Hessen—Darmstadt trat als letzter deutscher Fürst diesem Bündnis bei, sozusagen in letzter Minute, sonst wäre sein Ländchen von der Landkarte weggefegt worden. . Sein Land erhielt bedeutenden Gebietszuwachs‚ z.B. allein südlich des Mains die Grafschaft Erbach und die Herrschaft Breuberg.“ (57)

Für das Amt Schönberg erfolgte die Übergabe am 23. 9. 1806 an den hessischen Regierungsrat Freiherrn v. Lehmann in Schönberg durch den Erbachischen Rat und Amtmann Weichsel. Zugegen waren die Geistlichen der Dörfer, von Gronau Pfarrer Erdmann, die Schultheißen mit Jacob Schmunck von Gronau und Ludwig Grohrock von Zell‚ die vorgeladen waren um „bis zur demnächstigen Huldigung einstweilen handtreulich an Eidstatt anzugeloben‚ Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog von Heßen, treu, hold und gewärtig zu sein...“

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Das war das Ende der fast 700jährigen Geschichte der Grafschaft Erbach. „Die Grafen waren so klug, sich dem neuen Wandel nicht zu widersetzen. Die Bevölkerung nahm wenig Anteil am Geschehen. Reibungslos vollzog sich der Übergang wie auch schon 1803 im benachbarten Bensheim.“ Übrigens behielten die Grafen als Sogenannte „Standesherren“ eine Reihe von Privilegien (=Vorrechten)‚ die für die lokalen Unruhen im Jahre 1848 von Bedeutung werden sollten. Für Gronau als Kirchspiel ist hervorzuheben, daß die Erbacher Grafen Patrone der Kirche blieben. Ihr Unterkonsistorium in König war dem Oberkonsistorium in Darmstadt untergeordnet.

In diesen zeitlichen Rahmen gehört die folgende tragische Geschichte, die unser Dörflein so aufgewühlt haben muß, daß sie bis in unsere Tage mündlich und unverändert überliefert wurde:

Zwei Brüder fahren gemeinsam mit dem Ochsengespann in den Wald um Holz zu holen. Unterwegs entspinnt sich zwischen ihnen ein Streit, in dessen Verlauf der eine den andern erschlägt. Das Ochsengespann kommt führerlos ins Dorf zurück. Der Täter verschwindet spurlos, doch glauben Leute gesehen zu haben, daß er bei der Beerdigung des Bruders den Trauerzug oben aus dem Dachfenster des Hauses Schmunck (Hambacher Str. 1, heute abgerissen) beobachtet habe.

Jahre danach liegt im Dorfe Einquartierung. Nach Abzug der Truppe findet die unglückliche Mutter der beiden Brüder in der Küche hinter dem Übertuch für die Küchentücher an der Wand den Namen ihres verschollenen Sohnes, der demnach unerkannt einer der einquartierten Soldaten gewesen war. Er ist weiterhin verschollen geblieben.

Aus unbekannten Gründen ist im Copulations- und Sterberegister des Dorfes eine Lücke zwischen 1795 und 1805 entstanden. Darum erging im Oktober 1809 an den Pfarrer Simon die Anordnung, durch Befragung ein nachträgliches Sterbeprotokoll anzufertigen und durch Zeugen bescheinigen zu lassen. Der schmale Band ist leicht zu übersehen. In ihm fand sich (S. 66) der Eintrag:

„Gronau, Georg Friedrich Marquardt

Im Jahr Christi Achzehnhundert / am sechsten März starb eines gewaltsamen Todes Georg Friedrich Marquardt, des Johannes Marquardt, Gemeinsmannes zu Gronau Sohn, alt Achtzehn Jahre weniger fünf und zwanzig Tage, und wurde am neunten des nehmlichen Monats begraben...“ Unterschrieben haben „Christoph Wolf, Gemeindsmann zu Gronau und Johannes Filbert, Gerichtsschöffen und Senioren daselbst...“ im Jahre 1811.

Somit fällt das Geschehnis in die Zeit der französischen Revolutionskriege. Die beschriebene Einquartierung fand im Rahmen von Napoleons Rheinbund statt, und man kann sich vorstellen, daß der geflohene Bruder Johann Konrad sein Ende mit der Großen Armee in Rußland gefunden hat.

Es ist erstaunlich, wie genau die mündliche Überlieferung den Vorfall weitergegeben hat.

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Das Dorf bietet zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch weitgehend das alte Bild. Die Häuser und Höfe beginnen nur wenig westlich von der Abzweigung der Hintergasse, die Bebauung ist entsprechend der Bevölkerungszunahme etwas dichter geworden, auch im Osten scheinen einige kleinere Anwesen hinzugekommen zu sein, doch ist das Ortsende nicht weit oberhalb des Pitzweges zu suchen.

Das Dorfzentrum hat sich ebenfalls kaum verändert: Vor dem altersgrauen gotischen Kirchlein und der Einfahrt zum „Hof“ steht die mächtige Linde, schräg gegenüber das alte Rathaus mit dem originellen Laubengang‚ gleichzeitig Schule, Lehrerhaus‚ Ortsgefängnis. Auf der anderen Straßenseite, bei den beiden alten Metzgerschen Höfen und dem Anwesen der Reimunds, steht das kleine Hirtenhaus, auch als Armenhaus und Leichenhalle verwendet.

Aber das Bild trügt, schon hat sich einiges geändert, und weit umfassendere Anderungen stehen bevor.

Die uralte Mühle oben im Dorf steht seit etwa 1780 still. In dem Anwesen wohnt um 1793 Joh. Friedrich Schmunk mit seiner jungen Frau, der Tochter des Bäckermeisters Jung. Doch Schmunck stirbt schon 1800 und die Wütwe heiratet 1804 den Georg Nikolaus Rettig aus Mitlechtern (wohin sie verwandtschaftliche Beziehungen hat). Rettig wirkt in der ehemaligen Mühle nun als Schuhmachermeister und Gemeinsmann, betreibt eine Schankwirtschaft (auch „Weinwirt“ oder einfach „Gastwirt“) und ist „Leutnant der Landwehr“. Er scheint ein sehr aktivenMann gewesen zu sein, denn er unternimmt 1822 noch einen letzten Versuch, die Mühle im Dorfe wieder in Betrieb setzen zu dürfen: vergeblich, denn noch gilt der „Bannbrief“ des Grafen.

In der Klausenmühle wirtschaftet seit 1799 Georg Wilhelm Dingeldein, Sohn des Herrenmüllers Joh. Georg Dingeldein zu Reichelsheim. Er heiratet die Anna Margaretha Sieger aus Elmshausen mit der er den Sohn Joh. Wilhelm hat, den späteren Erben der Mühle. Er ist es auch, der verhindert, daß die Mühle im Dorf wieder in Gang gesetzt wird.

Johann Wilhelm, der „Hannwillem“, hat zunächst die Bewirtschaftung der Klau- senmühle seiner noch jungen Mutter überlassen, nachdem der Vater 1833 gestorben war. Nach seiner Heirat mit Anna Maria Braun aus Gronau betätigt er sich bis zum Tode seiner Mutter 1851 als Müller in Bensheim, wo auch seine vier Töchter geboren werden. Er stirbt 1869. Seinem Schwiegersohn Peter Stephan, dem „Mühlstephan“, 1832 bis 1909, erbaut er 1860 die „Schleifbergmühle“, später „Dingeldeinsmühle“, da sie 1867 von seinem zweiten Schwiegersohn Joh. Peter Dingeldein übernommen wird. Stephan zieht 1869 nach dem Tod des Schwiegervaters auf die Klausenmühle, wo er 1909 als Auszügler stirbt.

Im Jahre 1821 setzt die Gemeindereform auch in Gronau der alten Schultheißenverfassung ein Ende. Seit 1804 hatte Johann Jacob Schmunck als letzter Schultheiß das Amt inne. Er wurde nun Bürgermeister und amtierte noch bis 1825. Dann folgte bis 1828 Joh. Peter Rettig. Noch ungeklärt ist die Rolle des „Marschkommissärs“ Franz August Pagenstecher, der zwischen 1809 und 1817 „Hoheits-Schultheiß“ genannt wird. Vielleicht hat er eine Art Ehrenposten bekleidet.

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Nach Peter Rettig wird 1829 bis 1837 Johann Peter Keil Bürgermeister. Ihm folgt bis 1852 (oder 54?) Adam Jacob Schmunck, der die Vorgänge von 1848 aus seiner Sicht beschrieben hat. Das liest sich (auszugsweise) so:

„Im Jahr 1848, als die Franzosen in Frankreich ihren guten König Philipp den (=am) 23/26. Februar fortjagten, ward in einer Zeit von 14 Tagen in aller Länder deren Hauptstädten (=in den Hauptstädten aller Länder) unter dem gemeinen Böbel gegen die Regierungen Aufregungen zum Umsturz ausgebrochen. Aus allen Gemeinden sind die Leuten in unserm Lande nach Darmstadt gereist (und haben) bei den Landständen Peditionen eingereicht. Auch sind die Gronauer zum Theil (nachgetragen: 3/4) den 9. März nach Schönberg gegen dem guten Herrn Grafen Ludwig (gezogen), (um) dem selben seine (ihm) zustehenden Gerechtsame abschwechen (=sie ihm mindern bzw. abspenstig zu machen). Wie diese aufrührersche Erreichnissen noch sich wenden werden weis man bis iezt noch nicht.“ Schmunck hat seinen Bericht 1854 ergänzt:

„Der Herr Graf hat den Gronauer Aufrührer(n), welche Verlangt haben den Zehnten / Martini Zinsen / Schaofweid / Gerechtsamme / Jagd / Fischerei in der Gemarkung Gronau, alle Einwilligung gegeben, um die Aufrührer zu befriedigen. Darauf sind die selben wieder nach Gronau in einer Schar zurückgezogen im Jubel Geschrei. Es waren mehr als 3 Theil Ortsbürger, (die) der Ungerechtigkeit beiwohnte(n). Nur einige Bürger waren noch gut gesin(nt) zu Haus geblieben. Die Hauptanführer waren Nikolaus Werner II.‚ ledig, Schumacher / Adam Filbert / Franz Karl Hannewald, Beigeordneter / Nikolaus Hebenstreit als Höhrführer (?), / hierauf wurde auch Werner H. Schumacher zum Bürgermeister gewählt und bestätigt.

Wie (=nachdem) einige Zeit die Völker ausgedozt (?) hatten, wurde vom Großherzog und den Landständen wieder festen Gesetzen gemacht, wo(nach) die Standesherrschaften (...) ihr Versprechen (=ihre Zugeständnisse) nicht halten haben brauchen (=nicht zu halten brauchten), (aber) der Zähnten / die Zinsen / Schafweid / Jagd mußten abgelöst werden, welches auch geschehen ist. (...) Durch diesen Aufruhr hat es der Gemeinde Gronau mehr als Thausendt Gulden Schaden gebracht, so wie dem ganzen Lande.“

Der geschichtliche Ablauf der beschriebenen Vorgänge liegt uns vor (58). Die kommentierte Darstellung beruht auf den Aufzeichnungen des Augenzeugen Johann Adam Dingeldey, gräflich erbach-schönbergischem Kammerdirektor, über den Ausbruch der Revolution von 1848 in der Standesherrschaft Schönberg. Dingeldey (1784—1 861), Sohn eines Leinwebers aus Gadernheim (59) hatte 1820 in der hiesigen Kirche die älteste Tochter des Gronauer „Praeceptors“ (=studierter Lehrer) Adam Reh geheiratet, und hatte es mit ungewöhnlicher Begabung und ebensolchem Fleiß „von Hirtenjungen zum Kammerdirektor“ gebracht.

Wenn wir den Inhalt genannten Artikels — soweit er unser Dorf betrifft — mit den Aufzeichnungen des Bürgermeisters Schmunck Vergleichen, so dürfen wir feststellen, letzterer hat in seiner freilich unbeholfenen Ausdrucksweise inhaltlich korrekt berichtet. Seine Niederschrift läßt uns die Wirklichkeit noch deutlicher und lebendiger erscheinen.

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Hierzu eine kurze Übersicht:

Am 5. März hatte in Michelstadt eine Versammlung stattgefunden. Ihre Abgesandten zogen am 6. März mit zahlreichen andern Odenwäldern in langen Zügen nach Darmstadt, um ihre Forderungen vorzutragen und durchzusetzen.

Am gleichen Tag fand in Michelstadt eine weitere Versammlung statt. „Es wurde der Entschluß gefaßt, die Forderungen, die am Vortage aufgestellt worden waren, den in der Gegend residierenden Standesherrn (=den drei Erbacher Grafen) (...) direkt zu präsentieren und auf ihre Bewilligung zu dringen, wobei, sofern sich die Standesherrn weigerten, mit Gewalt vorgegangen werden sollte.“

Vor diesem Hintergrund sind die Beschreibungen durch den Gronauer Bürgermeister wie durch den erbach-schönbergischen Kammerdirektor zu verstehen.

Dingeldey schreibt unter der Überschrift „Die Volksbewegung im Odenwalde, insbesondere gegen die Standesherrn, betreffend“:

„König, am 8ten März 1848

Heute Nachmittag war dahier zu vernehmen, daß die Herren Grafen von Erbach zu Fürstenau und Erbach von mehreren tausend Bewohnern des Odenwaldes heute in ihren Schlößern mit der Herausforderung bestürmt worden seyen, all ihren Standes- vorrechten, allen Hoheitsrechten, als: der Gerichtsbarkeit, der Polizey e(t)c(etera), ferner dem Präsentationsrecht (=Besetzung der Pfarrer-, Lehrer- und Bürgemeisterstellen betreffend) und allen sonstigen bisher genoßenen Vorzugsrechten zu entsagen, die Jagden und Fischereigerechtigkeiten abzutreten, auf ihre Zehnten und sonstigen Gerechtsame zu verzichten — daß auch beschloßen worden sey, morgen nach Schönberg zu ziehen — und in gleicher Weise dort auch unseren Grafen und Herrn zu bestürmen.

Auf diese Nachrichten fertigte ich alsbald einen Boten mit einem Privatschreiben an unsern gnädigsten Grafen und Herrn / Herrn Erlaucht nach Schönberg ab, um Hochdieselben von dem Vernommenen in Kenntnis zu setzen. ...“

Nach eingehender Beschreibung der Unruhen in König — wobei die Gemeinderäte sich bemühen, Dingeldey dahingehend zu überreden, daß im gegebenen Falle ein Nachgeben und Bewilligen der Forderungen das beste sei — beschließt er, am andern Tage selbst nach Schönberg zu reisen um den Grafen zu unterrichten:

„Ich reiste nun, meinem obigen Entschluß gemäß, den 9(te)n frühe nach 3 Uhr eben dahier ab und zwar über das Gebirge durch das Schönberger Thal, wo ich durchgehends stille Ruhe fand, während ich vorher in Reichelsheim einige Bewegung bemerkte, bei meiner Abreise in König aber immer noch Leute auf der Straße sah. Bei meiner Ankunft in Schönberg waren Cels(issi)mi Erlaucht (=der Graf) noch nicht von einer am Morgen jenes Tages nach Darmstadt unternommenen Reise zurück; indeßen kam aber ein Schwarm Gronauer den Ort (Zschönberg) herunter und dann dem Schloße zu. Ihr Zug verbreitete einige Furcht. Ich traf am Schloßberge Herrn Kammer-Rath Weyprecht, welcher den Leuten mit der bekannten Erklärung seiner Erlaucht vom 8ten März entgegen gieng, um sie zu beruhigen; auch der großherzogliche Kreisrath v. Rüding von Bensheim war anwesend. Indeßen kamen seine Erlaucht von Darmstadt zurück und ließen sonach die Gronauer Deputation, die es indeßen so schlimm nicht gemeint hatte, vor, worauf in der bekannten Weise mit ihr unterhandelt wurde.

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Nach ihrem Weggehen brachte sie seiner Erlaucht im Schlosshofe noch ein Hoch aus. ...“

Dingeldey berichtet dann über die Ankunft der Delegation aus König, die unter anderem wiederum auf Einwilligung drängt:

„... es wurde gedroht, wenn sie, die Deputirten, zurück kämen und die Bewilligung nicht mitbrächten, sie Mißhandlungen vom Volke zu gewärtigen hätten und darzu zu befürchten wäre, daß die gräflichen Gebäude sämtlich in Brand (gesteckt) und in Asche gelegt würden. ...“

Auch bei einer Beratung im Vorzimmer wird dem Grafen zur Bewilligung geraten „... zumal auch dieselbe, als unter solchen Umständen abgedrungen, nicht als gültig und bindend betrachtet werden könnte.“

Unter diesen Umständen wird die Bewilligung erteilt.

Am nächsten Tag erscheinen Delegationen von Höchst, Kitchbrombach, Reichenbach, Gadernheim, Schönberg, Neustadt, Sandbach etc. sowie aus Zell. All die Forderungen werden entweder nach obigem Muster bewilligt oder für eine spätere Klärung zurückgestellt.

Anschließend kehrt der Kammerrat nach König zurück und schließt seine Ausführungen: „... mit dem innigsten Wunsch, daß die Vorsehung unser Gräfliches haus gegen noch schlimmere Stürme (...) in Schutz nehmen — und überhaupt gegen alles Unheil ...) über unser Vaterlandd wachen möge.“

Leider wurde die Pfarrchronik erst 10 Jahre später begonnen, und von der Feder des Pfarrers Nies findet sich kein Vermerk zu den politischen und kriegerischen Ereignissen, soweit sie die engere Heimat betreffen.

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Erst Pfarrer Haupt geht auf solche Geschehnisse ein. Er ist 1870 als Kurgast in Bad Ems zufällig Zeuge des Treffens von König Wilhelm V. Preußen mit dem französischen Botschafter Benedetti in den Arkaden des Kurhauses. Über den folgenden Krieg 1870-71 gegen Frankreich schreibt er im pathetischen Stil der Zeit: „Dieser wunderbare Krieg mit seinen kaum glaublichen Siegen und Erfolgen brachte begreiflich auch in unsere Gemeinde große Aufregung. Die aus hiesigem Kirchspiel mit hinausgezogenen Söhne und Brüder wurden im Ganzen gnädig bewahrt. Nur zwei starben im Lazareth (B. Pfeifer aus Schannenbach und Winkler von hier); verwundet aber glücklich geheilt wurden Phil. Werner von hier und Leist (kath.) aus Zell. Mein eigener Sohn, Oberleutnant, kehrte durch Gottes Gnade mit zwei ehrenvollen Narben, bei Gravelotte und Bony empfangen, und mit dem eisernen Kreuz geschmückt wohlbehalten zu uns zurück.“

Die gesellschaftliche Entwicklung und das Verhalten der Menschen im neuen Kaiserreich aber mißfallen dem Pfarrer sehr. Gleichgültigkeit und Lauheit im kirchlichen Bereich finden ebenso ihren Niederschlag wie politische Neuerungen: „Ja, unsere heimgekehrten Krieger besuchen die Kirche, in der so viel für sie gebetet wurde, jetzt noch weniger als früher,“ muß er konstatieren. Zur Politik schreibt er: „Und so jagt jetzt eine liberale Reform die andere. Und zwar vor allem auf dem Gebiet der Schule und der Kirche. Die Schule ist der Kirche genommen und ihrem Einfluß. Nur noch der Staat regiert sie. Der Pfarrer darf zwar im Schulvorstand sitzen, aber vorsitzen und leiten nur durch staatliche Ernennung. Zu Gottesdiensten und Leichen dürfen Lehrer und Schüler nur mitwirken außer der Schulzeit“, stellt er mit Bedauern fest.

Die Schule ist nun zur bürgerlichen Institution geworden. Dennoch dürften die Beziehungen zwischen Kirche und Schule noch längere Zeit eng gewesen sein.

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Wenn wir Von der nun schon 50jährigen „neuen“ Kirche absehen, muß das Dorfbild in großen Zügen in dieser Zeit wenig verändert gewesen sein. Vor allem steht auf dem Dorfplatz noch das alte Rat- und Schulhaus. Sein Standort war dicht neben dem Gasthaus „Zur Krone“ (ganz links auf der Abb.) und dem Gasthaus „Zur Traube“ (ganz rechts“) gegenüber.

Das Untergeschoß hatte eine Art „Pausenhalle“, einen Laubengang, über den das Obergeschoß hinausragte. Die Schulkinder erreichten ihr Klassenzimmer über eine Außentreppe an der östlichen Giebelwand (nur auf der Skizze des Obergeschoß-Grundrisses erkennbar). Der Klassenraum mag gleichzeitig Rathaussaal gewesen sein. Außerdem waren in dem Gebäude die Lehrerwohnung, das Ortsgefängnis, verschiedene Ställe und der „Platz, welcher statt eines Kellers benutzt wird“ untergebracht. Das Gebäude war also nicht unterkellert. Die Verwendung war wirklich vielseitig. So aber waren die Verhältnisse, unter denen die Lehrer jahrhundertelang gelebt und gewirkt hatten‚ der alte Praezeptor Reh etwa 55 und zuletzt Lehrer Ackermann 47 Jahre.

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Abbruch des alten und Bau des neuen Rathauses sowie Bau des Lehrerhauses — unter Verwendung alten Gebälks — erfolgten um 1884.

Philipp Ackermann war 1872 verstorben — in verhältnismäßig schnellem Wechsel gefolgt von den jungen Lehrern Geiß, dann Jung und zuletzt von Lehrer Schäfer. Der hatte vorher in Zell unterrichtet und wurde unter ungeklärten Umständen plötzlich versetzt. Als 1879 Konrad Schöffel das Amt des Gronauer Lehrers und Organisten übernahm, hat er noch etwa 5 Jahre in dem alten Gebäude gewohnt, ehe der Neubau (heute Ortsbeirat, Sparkasse und Post) entstand.

Die wachsende Bevölkerungszahl wirkte sich zu Beginn des neuen Jahrhunderts auch in der Schule aus, so daß die Pfarrchronik vermerkt:

„Die Zahl der Schulkinder hatte hier in Gronau in den letzten Jahren immer mehr zugenommen, und mit Beginn des Schuljahres 1902/3 waren mehr Schulkinder als Sitzplätze vorhanden. Die Errichtung einer zweiten Schulstelle war daher nötig geworden. Da aber Mangel an Schulverwaltern (=Lehrern) war, so konnte diese neu errichtete Schulstelle nicht sofort besetzt werden. Im September 1902 wurde Lehrer Wick‚ bisher in Sprendlingen, zum Verwalter der zweiten Schulstelle ernannt. Aber schon im Jahre 1903 hatte die Zahl der Schulkinder so zugenommen, daß der Saal der II. Schule zu klein war, und wurde das kleine Zimmer zwischen dem Rathaus- und Schulsaal vereinigt. ...“

1903 übernahm Lehrer Friedrich Hill die Stelle des zweiten Lehrers. Er wurde 1911 versetzt. Nach einem vorübergehend amtierenden Kollegen August Notz trat 1912 Georg Will die Stelle des zweiten Lehrers an.

Zum Abschluß des Jahrhunderts hier noch einige Vermerke aus dem Pfarregister, die das sonstige Dorfleben berühren:

„1884, am 24. September brannte es hier in Gronau. Seit Menschengedenken hatte es hier nicht gebrannt, als an jenem Vormittag 10 Uhr, da gerade die Schule geschlossen wurde, der Schüler Bernhard Hörr in der der Schule gegenüberliegenden Scheuer des Balthasar Werner dichten Rauch und Feuer bemerkte. Da alle Männer im Felde beschäftigt waren, so brannte das Gebäude vollständig nieder. Der Besitzer war gut versichert, aber eine arme Wittwe, Barbara Heß, geb. Hebenstreit, die in dem Häuschen zu Miete wohnte - was nur wenigen bekannt war- hatte das Unglück, da sie gerade im Wald Holz sammelte, ihr sämtliches Eigenthum zu verlieren. Durch Sammlungen in- und außerhalb der Gemeinde sind etwa 60 Mark zusammengekommen, in Gronau 30 Mk, wovon derselben das Nothwendigste angeschafft werden soll.“

Vier Jahre später war es der Wein, der den Gronauern — wie ganz Deutschland — den berüchtigten 88er Mißwuchs bescherte:

„Das Jahr 1888 war sehr regnerisch, Heu und Frucht wurden schlecht und mit Mühe eingebracht, die Kartoffeln verfaulten vielfach; der Wein war sauer, daher keine Nachfrage nach demselben.“

Der Dichter Johannes Trojan hat sich des Themas mit einem langen Gedicht angenommen. Weitere schlechte Weinjahre verursachte der Befall mit peronospora 1898 und 1906.

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16. Das Kirchspiel Gronau im 19. Jahrhundert

Der Pfarrer Georg Friedrich Simon (1809-1820) stand im besonderen Maße vor einer Aufgabe, die im Grunde jeder seiner Amtsvorgänger bereits hatte bewältigen müssen:

Das Kirchspiel war materiell zu schlecht versorgt, die von altersher begründeten Ansprüche der Bensheimer Pfarrei auf Zell, Wilmshausen und Teile von Schönberg ließen eine Stärkung des kleinen Kirchspiels nicht zu und hatten ständige Reibereien zur Folge. Jedes der beiden Kirchspiele achtete eifersüchtig darauf, daß seine Interessen auch nicht im geringsten geschmälert wurden, und das gehörte ja auch zu ihren jeweiligen Pflichten. Nur stand die alte und vergleichsweise starke Pfarrei Bensheim auf erheblich festerem Boden. Auf beiden Seiten berührten die erhobenen Forderungen ja vor allem wirtschaftliche Interessen. Für die Bensheimer handelte es sich um die „Stolgebühren“, d. h. um die für jede der drei in Bensheim stattfindenden Amtshandlungen (Taufe, Ehe, Beerdigungen) fälligen Bezahlung, die der Gronauer Pfarre so bitter fehlte.

Zur Klärung muß noch gesagt werden: von Schönberg pfarrten nur 10 bzw. 11 Hofreiten nach Bensheim, nämlich alle, die bei der Loslösung Gronaus vom Bensheimer Kirchspiel bereits bestanden hatten. Ähnliches muß auch für Zell und Wilmshausen gegolten haben. Die Frage, wohin jemand pfarrte, war nicht an die Person, sondern an die Wohnstätte gebunden. Grundsätzlich gingen die Bewohner alter Huben nach Bensheim, die von Rat- und Hirtenhäusern oder neu geschaffenen Anwesen, Lehrer, Hirten, zugezogene nach Gronau.

Um die Verhältnisse verständlicher zu machen, soll ein schon fast 100 Jahre früher zu datierendes Beispiel dienen: 1716 starb der Schönberger Amtsverweser Johann Ludwig Happel auf seinem Gut in „Wilmanshausen“. Er wurde „nach Bensheim, wohin Wilmshausen pfarret, begraben...“ Hier ist nun die Zusatzbemerkung des Pfarrers aufschlußreich:

„Nota: Die Seinigen wollten ihn, wie billig, weilen er ein Herrsch. Beamter und kein Centunterthan / hieher nach Gronau begraben laßen, und war auf den 16. hujo (=dieses Monats) die Anstalt zur Begräbnus gemacht, auch der Text zur Leichenpredigt insinuiret (=ausgedacht); die weil aber der Dechant zu Bensheim so hart auf die Auslieferung getrungen so hat man unnötig befunden, sich wegen einer solchen indifferenten Sache, in Weitläufigkeit einzulaßen, zumahl da die Hgräffl. Erbh. Regierung sich der Sache mit keinem Nachdruck annehmen wollen.“

Trotz aller Argumente stand Bensheim hier am längeren Hebel, denn, wie wir sagten, es war die Hube, die nach Bensheim pfarrte, nicht die Person des Amtmanns und ihre Funktion.

Die Lage wurde zusätzlich komplizierter durch den schon nach dem 30jährigen Krieg einsetzenden Zuzug von katholischen Ortsbürgern in die betreffenden Gemeinden. Sie besuchten oft den jeweiligen evangelischen Gottesdienst, manche konvertierten zum Protestantismus.

Diese Situation hat den Pfarrer Simon veranlaßt, schon zu Beginn seiner Amtszeit (1809) eine Aussprache mit dem Bensheimer Dechanten zu suchen (60). Dessen positive Einstellung zu Simons Vorschlägen zeitigte aber keinen Erfolg. So sah sich dieser genötigt, in einem Schreiben an den Patron, den Grafen Carl von Erbach, die Verhältnisse zu schildern:

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„Ew. Exzellenz sind die alten Streitigkeiten der Pfarrei Gronau mit der Pfarrei Bensheim bekannt. Seit der Führung des von Ew. Excellenz mir gnädigst anvertrauten Pfarramts mußte ich oft gegen mein inneres Gefühl das vorgefundene Verhältnis beider Pfarreien aufrecht erhalten, weil es mir nicht zukam, eigenmächtig etwas darin zu ändern.

Bey dem ersten Besuch, welchen ich von hier aus bei dem Herrn Dechant Reichert zu Bensheim machte, kam auch die Rede auf diese unangenehme Stritigkeiten u. der H. Dechant wollte mir beweisen, dal3 das Recht auf seiten seiner Pfarrei sey. Ich erklärte ihm, daß ich in der Sache nichts eigenmächtig tun könne, er möge sie den Weg rechtens gehen laßen (=gerichtliche Klärung suchen), unsere persönliche Freundschaft könne doch dabey bestehen. Er that mir darauf den Vorschlag, den Streit dahin auszugleichen, künftighin alle Katholiken des Gronauer Kirchspiels nach Bensheim zu pfarren und alle Protestanten nach Gronau. Ich bezeugte ihm meine herzliche Zustimmung zu seinem Vorschlag, und bat ihn, er möchte bei seiner vorgesetzten Behörde den Vorschlag einleiten, ich wolle, wenn er die Genehmigung dazu erhalten habe, von meiner Seite alles thun, daß dieser Vergleich, der allen unangenehmen Streitigkeiten beider Pfarreien ein Ende mache, zu Stande käme. Herr Dechant Versicherte mich nachher verschiedenmal, er habe deßhalb an den katholischen Kirchenrath zu Darmstadt berichtet, aber noch keine Resolution erhalten.

Unterdeßen verklagte er mich mehrmals bei dem protestantischen Kirchenrath zu Darmstadt: Ich erlaube mir Eingriffe in die Gerechtsame seiner Pfarrei und gehe sogar darin weiter als meine Vorgänger (auch ein Hinweis auf die Beständigkeit der Streitereien). Es fällt mir aber nicht schwer, mich gegen diese Beschuldigungen zu vertheidigen, Weil die ältesten Gronauer Kirchenbücher mein Beträgen rechtfertigen, und äußerte bei dieser Gelegenheit den Wunsch, daß der vom H. Dechant gemachte Vorschlag zu einem Vergleich genehmigt werden möge.“

Die anschließend erbetene Unterstützung wird im umgehend erledigten Antwortschreiben des Patrons sehr positiv bewertet und ein Vergleich als „das vernünftigste und zweckmäßigste Mittel diesem Streit ein Ende zu machen...“ bezeichnet. Der Streit setzt sich aber bis zum endgültigen Einpfarren Zells nach Gronau im Jahre 1824 fort. Dann wandelt sich die Zeller Zielsetzung, und es zeigt sich, daß es um ganz praktische Fragen geht: Bensheim liegt näher, ist in vieler Hinsicht angenehmer und anziehender als das entlegene Kirchdorf.

1820 hat Pfarrer Wilhelm Nies das Kirchspiel übernommen. Zu seiner ersten größeren Aufgabe gehört die Frage der „Reparatur und Erweiterung der Kirche zu Gronau (ab 1824)“, ein Vorhaben, das sich bald zum Entschluß eines Neubaus wandelt.

Der Maler Fohr hat sein Vorhaben, das Kirchlein zu malen, zehn Jahre vor dem Ende desselben ausgeführt, 1814 den Entwurf und 1815 die Vollendung des Werkes, als Gast bei Pfarrer Simon. Der junge Romantiker ertrank 1818 im Tiber bei Rom.

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Das alte Bauwerk soll schon 1773 (61) als „baufälliges Gebäude“ bezeichnet worden sein. 1812 wurde eine Hauskollekte „in der ganzen Grafschaft Erbach und der Herrschaft Breuberg zur nöthigen Erweiterung der Kirche zu Gronau verwilligt.“ Im Jahre 1820 berichtet Pfarrer Nies unterm 13. August von einer provisorischen Reparatur:

„Gestern ist die Kirche dahier durch einen Balken, an dem das an den Turm anstoßende, dem Einsturz drohende Gebälk mit eisernen Klammern angeheftet wurde, und durch zwei an dem Chor angebrachte Stützen, soweit hergestellt worden, daß die Gemeinde heute wieder in derselben, ohne daß augenblickliche Gefahr zu befürchten ist, versammelt werden konnte. Während des Verschlußes der Kirche (Zwährend der Reparaturarbeiten) ist der sonntäglich Gottesdienst ohne alle Unterbrechung auf dem Kirchhof und in dem Pfarrhof abgehalten worden.“

Mit der Bearbeitung des Problems ist der Architekt Ignaz Opfermann betraut. Den von ihm zunächst geplanten Umbau können wir glücklicherweise anhand von Entwurfskizzen (62) nachvollziehen. Er wollte den kleinen, schönen, gotischen Chor mit den drei Fenstern erhalten, aber durch einen Anbau erweitern. Das übrige Schiff und der Turm — anscheinend an der Stelle des alten stehend — wären im Stil der Neugotik errichtet worden. Schließlich wird aber Opfermanns neuer Entwurf im Empire-Stil verwirklicht: Ausgehend vom Chor, der etwa mit dem Chor der alten Kirche beginnt, erfolgt eine allgemeine Erweiterung des Kirchenraumes sowohl in der Länge als auch in der Breite. Die beiden Säulenreihen der Emporen ruhen auf den Fundamenten der alten Kirche, so daß man sich deren Breite danach rekonstruieren kann. Die Eingangspartie ist nach Westen vorgeschoben. Die Orgel wird über den Altarraum verlegt, wodurch leider das Schiff schlecht erleuchtet, ja düster wirkte. Die Zahl der nun rundbogigen Fenster ist beidseitig auf vier erweitert. Das Jahr 1824 bringt neue Probleme: der Neubau in Gronau bedeutet ja eine starke finanzielle Belastung für das Kirchspiel. Auch Zell uund Wilmshausen werden zu ihrem Beitrag herangezogen, wollen sich der leidigen Auflage aber gerne entziehen, obgleich schon von Anfang an die rechte Empore für Zell reserviert ist. Prompt kommt die Reaktion des Kirchen- und Schulrates aus König, die alle Einwände der Filiale Zell und Wilmshausen Punkt für Punkt widerlegt, besonders mit dem Anspruch aufräumt, beide Ortschaften pfarrten nach Bensheim:

„Ihre Behauptung, daß die Orte Zell, Wilmshausen und Schönberg Filiale der Pfarrei Bensheim seyen (muss) gänzlich — und eben so grundlos als unbegreiflich erscheinen, indem sie, wie eben bemerkt worden, den höchsten Zweck in der Kirche ihres Glaubens zu Gronau suchen, und dem Geistlichen in Bensheim nur die Verrichtung der drei Acte, der Taufe, der Copulation und der Beerdigung noch nicht confirmirter Kinder gegen Bezug der jura Stolae (=Stolgebüliren oder Accidentien für die kirchlichen Amtshandlungen) alten Verträgen gemäß zusteht, und sie (die Einwohner v. Zell u. Wilmshausen) (.. .) noch in keinerlei näheren Verbindung mit der Kirche zu Bensheim gestanden.“

Es wird erkennbar, daß sich in der jüngeren Vergangenheit schon einiges geändert haben muß: Die Pflicht zur Beerdigung in Bensheim ist auf noch nicht konfirmierte Kinder beschränkt. Auch wird die Zuordnung der Filialen nach Gronau verständlicherweise verstärkt vom Standpunkt des Bekenntnisses und nicht nur aufgrund uralter „Gerechtsamen“ betrachtet.

Diese Differenzen wurden zu Jahresanfang 1824 geklärt. Im September des gleichen Jahres kommt die endgültige Entscheidung über eine Neuordnung des Kirchspiels. Sicherlich hat auch hier die Frage der Kirchenbaukosten den Anstoß gegeben:

„...hat uns unter dem 16. Aug. d. J. die Nachricht ertheilt, daß die höchsten Orts angetragene Einpfarrung der protestantischen Einwohner zu Zell, Schönberg und Wilmshausen, welche seither der Parochie (=Kirchspiel) Bensheim einverleibt waren, und der in vorgedachten drei Ortschaften befindlichen katholischen Einwohner nach Bensheim, nachdem der Grhzgl. Pfarrer zu Bensheim auf alle Entschädigung wegen allenfalsigen Verlustes an Stolgebühren verzichte hat, die höchste Genehmigung durch Rescript vom 20. Julius erhalten habe, wobei jedoch, wie sich von selbst verstehe, der Pfarrei Bensheim ihre Dotation an Zehenten und Gütern in vorbemeldeten Ortschaften verbleibe...“

Ja, diese uralten Spenden, Zinsen und Zehenten spielen immer noch eine Rolle. Gleichzeitig mit der Gronauer Kirche entstand in Schönberg ein eigenes Gottes- haus. Der Ort bildete eine „Kaplaneigemeinde“ innerhalb des Kirchspiels, an welches es auch noch finanzielle Verpflichtungen behielt. Die Zeller strebten immer wieder nach Bensheim, und da sie nun nach Gronau pfarrten, wollten sie wenigstens ihre Toten weiterhin auf dem städtischen Friedhof beisetzen — und dabei möglichst ihre Beiträge zur Erhaltung des Gronauer Friedhofs sparen.

Die neue und große Gronauer Kirche stand seit 1834 und wartete auf möglichst zahlreiche Besucher, von denen aber viele nach auswärts strebten. 1854 forderte das Oberkonsistorium von Pfarrer Nies einen Bericht an. Man hatte anscheinend überlegt, ob Zell nicht ganz nach Bensheim in die dort entstandene junge protestantische Gemeinde einzupfarren sei. Nies schreibt dazu:

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„Diese Filialgemeinde, ungefähr 1/3 der Kirchspielgemeinde von der Mutterkirche zu trennen, dürfte durch die Bemerkung unthunlich erscheinen, daß die Filialgemeinden Schönberg und Wimshausen,— zusammen das stärkste Drittel der Kirchengemeinde dahier — schon faktisch durch die Kirche zu Schönberg und den Geistlichen daselbst getrennt sind...“

Das Kirchspiel werde dadurch einfach zu klein, ‚...bei der beinahe gänzlichen Vermögenslosigkeit der Kirche dahier...“ bleibe „derselben eine unvermeidliche Erhöhung der noch nicht bezahlten, sehr drückenden Kirchenbauschulden und anderen unvermeidlichen Ausgaben“ zu tragen. Ja, er spricht auch von der notwendigen „Erhaltung des nutzlos werdenden kirchlichen Raumes.“

Vielleicht stammt aus jener Zeit der Gronauer Spruch über den Kirchenbesuch: „Wenn se all neigehe / gehe se nit all nei / Wenn se nit all neigehe z gehe se all nei“ = (Wenn alle zur Kirche gehen, passen sie nicht alle rein — und umgekehrt.). Über die Zustände im Gronauer Pfarrhaus (erbaut 1722) zur Zeit von Pfarrer Nies schreibt sein Nachfolger Dr. Haupt sehr anschaulich:

„Ich sehe dasselbe noch in dem Zustande, wie es Pfarrer Nies bewohnt hatte. Es war in rohem bäuerischem Style gebaut mit großen Fenstern. Die innere Einrichtung war originell, wie ihr Bewohner, ein fast 72jähriger Junggeselle. Alle Zimmer waren nur mit weißem Kalk getüncht. Die Tische waren von Tannenholz, unangestrichen‚ langen Formats. Die Stühle Waren ordinäre, weidengeflochtene „Lindenfelser“ Stühle, mit gelber Ölfarbe angestrichen. Ein Spiegel war nicht zu sehen, Bilder gar nicht. Die einzige Zierrat waren 10-12 Paar Stiefel, meist hohe Jagdstiefel, welche in dem oberen Gang an der Wand aufgehängt waren. Ein Knecht und 2 Mägde waren die Mitbewohner. Bei guter, obschon einfach ländlicher Kost (Käse, Schinken, Wein...) übte Nies Gastfreundschaft, und soll in seinen Kreisen als guter Gesellschafter u. Unterhalter beliebt gewesen sein. Er war haushälterisch, u. hinterließ ein Vermögen von 40 000 fl. Er sprach stets von Vermächtnißen und Legaten, die er machen werde an Verwandte, den Landwirtschaftlichen Verein, deßen Glied er war, oder der Kirche etwas zu stiften lehnte er beharrlich ab, aus Furcht, es möge nach ihm (...) einem Pietisten zu gut kommen. Noch mehr aber scheint ihn der Gedanke an den Tod selbst geniert zu haben. Trotz aller Mahnungen konnte er sich nicht entschließen.“

Nies muß ein sehr tatkräftiger, unabhängiger aber auch origineller Mann gewesen sein. Es heißt, als passionierter Landwirt habe er neue Kleesorten eingeführt, und seine Ochsen seien so gut gefüttert worden, daß sie im Herbst zwar in den Stall hinein, im Frühjahr aber nicht mehr hinaus paßten.

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Nach seinem Tode im Jahre 1856 übernimmt Pfarrer Dr. Haupt (63) Amt und Sorgen seines Vorgängers. Nun muß er sich mit der Bensheimer protestantischen Kirchenleitung auseinandersetzen, von der die Zeller Gläubigen lebhaft umworben werden. In einem Schreiben stellt er die Annehmlichkeiten des Kirchenbesuchs in Bensheim den Unannehmlichkeiten in umgekehrter Richtung gegenüber. Er nennt die „miserablen Wegeverhältnisse“ zwischen Zell und Gronau, den „entsetzlich schmutzigen Kirchenweg“, spricht von der im Winter „feuchten, eisigkalten, düsteren und (seit Abtretung der Filialen im Tal) nur halb gefüllten Kirche“. Er beklagt, daß „die Hälfte oder mehr der Zeller zum täglichen Gottesdienst nach Bensheim gehen, aber in Gronau getraut, konfirmiert, copuliert und beerdigt werden“, eine seltsame Umkehr der mittelalterlichen Verhältnisse. Aber: Für eine Eingliederung Zells nach Bensheim besteht keinerlei Aussicht, weil die Standesherrschaft und das Unterkonsistorium in König sie entschieden abgelehnt hat. Zell bleibt bei Gronau eingepfarrt.

Über den Zustand des Pfarrhauses hat Haupt nur Bedauerliches zu berichten: Zwar sei das Gebälk noch gut, von starkem Eichenholz‚ so daß der Plan eines Neubaus aufgegeben wurde. Sonst aber: wir zählen auf: „Es fehlt jede Spur einer Speisekammer, ein höchst ungenügender Ersatz unter der Treppe“, der Keller völlig versumpft‚ ein Hühnerstall fehlt, Gartenzaun verwahrlost‚ „die Oefen waren meist in dem rohesten gesundheit-schädlichen Bauernstyl“, so daß 3 neue angeschafft werden mußten, der Küchenherd primitiv, die Treppe vor dem Haus roh und gebrechlich, „(w)as aber die Hauptsache des Hauselends war, war, dal3 der untere Stock, für eine Familie völlig unbewohnbar geblieben, zugemacht worden ist.“

Das lag an der Bachnähe und der Höhe des Grundwasserspiegels‚ weshalb das Haus auch keinen Keller hatte. Nies als Junggeselle hatte auf das Erdgeschoß einfach verzichtet. In dem Stil geht es weiter:

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„Abort und Cloaken, (...) die von Phosphor und bösen Miasmen (=Dünsten) ganz durchfreßenen Steine“, Schwämme zwischen den Dielen, schlechte Luft in den Zimmern...

Haupt, von ganz anderer Natur als sein Vorgänger, in der Landwirtschaft völlig unerfahren, dafür ein manchmal allzu gewandter und agressiver Redner, war schließlich glücklich, daß „der Pfarrer nicht mehr nötig hat den Bauer zu machen“, das war in seiner Situation verständlich.

1878 (bis 1905) kam Karl Wihelm Sehrt, Sohn des Gräfl. Erbach-Schönberger Rentamtmanns Georg Sehrt nach Gronau, anfangs als V ikar‚ dann als Pfarrverwalter‚ während Haupt, noch immer Inhaber der Pfarrstelle, zu seinen Söhnen nach Gießen zog, aus Gesundheitsgründen beurlaubt. Sehrt schreibt: „Als Vikar Haupts hatte ich in den ersten Jahren manche Unannehmlichkeiten; einmal drohte derselbe sogar mit seiner Rückkehr nach Gronau. Bei meinem Dienstantritt fand ich die Pfarrgebäude, das Gotteshaus und den Friedhof in einem sehr verwahrlosten Zustande“. Aber Sehrt scheint von Anfang an ein sehr gutes Verhältnis zum Kirchenvorstand gefunden zu haben, seine Vorschläge zu den notwendigen Reparaturarbeiten und zur Wiederherstellung der Kirche finden allgemeine Unterstützung; als eine der ersten Arbeiten bekommt der Friedhof ein eisernes Tor. Im gleichen Jahr stellt sich die Baufälligkeit der Erbachischen Gruft unter dem Altarraum der Kirche heraus. Die Schäden werden behoben, die Gebeine in eine Art hölzernen Sarkophag gebracht. Als Haupt 1882 endlich pensioniert wird, erfolgt die Ernennung Sehrts zum Pfarrer.

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Auch Sehrt bedauert, „... daß die Bewohner Von Zell immer noch die evangelische Kirche zu Bensheim besuchen und sich dadurch der hiesigen Kirche immer mehr entwöhnen, insbesondere seit die Kirche zu Bensheim im Winter erwärmt wird.“ Das Jahr 1885 bringt der evangelischen Kirchengemeinde auch den ersten Kindergarten: „...brachte der Gemeinde Gronau auch eine Kleinkinderschule. In dem neu erbauten Schulhause befanden sich außer einem geräumigen Schulsaal im unteren Stock noch zwei Zimmer ohne irgend welche Verwendung. Diese Räume waren für eine Kleinkinderschule wie geschaffen. Da aber die Gemeinde zu klein ist, konnte die (Kinder-)Schule für sich allein nicht bestehen. (...) so fand der Vorschlag, der Kleinkinder Lehrerin auch den Industrieunterricht (Handarbeitsunterricht) zu übertragen den Beifall der Gemeinde, sowie die Genehmigung der Behörde, und (so) stellte der Ortsvorstand die vorbezeichneten Räume zur Verfügung und verpflichtete sich noch zur Lieferung von 50 buchenen Wellen pro Jahr. Da sämtliche Lehrerinnen der Umgegend in Nonnenweyer (=Diakonissen-Mutter-haus) ausgebildet sind, so baten wir um Überlaßung einer Schwester, was uns endlich, nachdem die Oberin die Räumlichkeiten in Augenschein genommen hatte, bewilligt wurde.“

Wir sehen, dal3 der Kindergarten damals durchaus als „Schule“ empfunden wurde, die Kindergärtnerin als „Lehrerin“. Die älteren Gronauer kennen noch die zwei „Zimmer“, die man so geeignet fand. In einem von ihnen, einer kleinen Kammer, wohnte die Kindergärtnerin unter wahrhaft dürftigen Verhältnissen. Und da sie trotzdem der kleinen Gemeinde noch zu teuer geworden wäre, mußte sie auch den Handarbeitsunterricht der Mädchen übernehmen, und die Winterheizung mit „...50 buchenen Wellen pro Jahr“.

Der „Unterricht“ begann im Juli 1885 mit Schwester Christina Reichert, zunächst mit 22, bald darauf mit 30 Kindern. Anläßlich der Einweihungsfeier wird die Schwester Christina als tüchtige Leherein gelobt. Daneben ist vermerkt, daß die Gemeinde zur Einrichtung nichts beigetragen hat, dagegen von der Kreissparkasse Zwingenberg 200 Mark und von der Kreisschulkommission 30 Mark jährlich beigesteuert wurden, und „S. Erlaucht viele nothwendige Möbel geschenkt hat.“

Noch im alten Jahrhundert folgt unter den Diakonissen ein zweimaliger Wechsel. Zunächst kommt Schwester Salome Holderer und 1899 Schwester Maria Metzger, die bis 1905 in Gronau Dienst tut.

Schon Pfarrer Haupt hatte die Kirche als dunkel (wegen der ungünstigen Stellung der Orgel über dem Altarraum), kalt und kahl sowie mit schlechter Akustik empfunden und auch die Stellung der Kanzel kritisiert. Seinem Nachfolger war es ähnlich ergangen, und er hatte sich von Anfang an mit dem Problem beschäftigt. Seit 1894 laufen die Vorbereitungen zu einem größeren Umbau im Innern der Kirche. Man entschließt sich, die Orgel auf die Kopfempore zu versetzen, den Altar in den freiwerdenen Chor zurückzuschieben und die südliche Längsempore zu verkürzen um den Lichteinfall zu verbessern. Mehrfacher Wechsel der Architekten und Pläne, natürlich auch vielfältige finanzielle Schwierigkeiten verzögern den Baubeginn. Dann, Ende Juli 1894 beginnen die Arbeiten und „Es ist nicht zu leugnen, daß eine kleine Erregung die Gemüther ergriff, als die Orge entfernt und ein Theil der linken Empore abgeschnitten wurde...“

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Am II. Advent, dem 16. Dezember konnte das Gotteshaus wieder eingeweiht werden. Das neue Bild fand weitgehende rkierkennung.

Zu den segensreichen Aktivitäten Sehrts gehört auch die Einführung einer geordneten Krankenpflege in Gronau: Margaretha Werner. Witwe des Johannes Werner VI.‚ beginnt nach einer entsprechenden Ausbfldung ihren Dienst als Gemeinde-Schwester.

Der Anfang des neuen Jahrhunderts bringt de: Kkchengemeinde noch eine neue Einrichtung:

„Im Frühjahr 1903 Vereinigten sich in Gronau eine Anzahl verheirateter und unverheirateter Männer und gründeten einen Posaunenverein, zur Ehre Gottes, zur Erbauung der Gemeinde und zur Freude seiner 31i "eder. Schon mehrmals haben dieselben an Festtagen den Gemeindegesang beg er.et.“

Noch ein kirchliches Problem mußte gelöst werden:

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Um 1905 war in Gronau eine Gruppe der neuapostofischen Bewegung entstanden. Pfarrer Sehrt suchte der drohenden konfessionelle: Zersplitterung durch die Einrichtung von Bibelstunden entgegenzuwirken. Dazu war aber die Raumfrage zu lösen. Etwa gleichzeitig entstanden Schwierigkeiten bei der Benutzung eines Schulsaales für den Konfirmandenunterricht, weil das Kreisschulamt in Bensheim die Stundenpläne so änderte, daß in der fraglichen Zeit kein Klassenraum zur Verfügung stand. Auseinandersetzungen und Verhandlungen waren die Folge, und „Die Erbauung eines besonderen Confirmandensaales wurde deshalb eine Notwendigkeit.“ Auf Fundamenten nicht mehr benötigter Wirtschaftsgebäude des Pfarrhofs wurde noch im gleichen Jahr mit dem Bau begonnen, dessen Vollendung Pfarrer Sehrt nicht mehr erlebte:

„Pfarrer Sehrt starb am 8. Dezember 1905, tief betrauert von seiner Familie, seinen Amtsbrüdern und dem größten Teil seiner Gemeinde.“ Und: „Sehrt hat in Gronau durch Gottes Gnade viel Segen gestiftet, er hat Liebe gesät und Liebe geerntet.“ Sein Nachfolger und neuer Chronist, Pfarrer Otto Schlosser, nennt anschließend die Entstehung der Neuapostolischen Gemeinde ein für seinen Vorgänger besonders schmerzliches Erlebnis.

17. Der Anfang unseres Jahrhunderts und der Erste Weltkrieg

Schon vor der Gründung des Gronauer Posaunenchors hatte der Jahrhundertanfang 1901 dem Dorfe den „Männergesangverein Eintracht Gronau“ beschert. Er war spontan im Anschluß an eine Holzversteigerung entstanden und umfaßte zu Anfang 24 Mitglieder. Als Gründer gilt Lehrer Wick, der erste Dirigent. Erster Vorsitzender war Georg Pfeifer.

Im gleichen Jahre berichtet die Chronik von zwei Unglücksfällen. Nach 17 Jahren ist wieder ein Brand zu nennen. Diesmal ist Peter Keil betroffen, dessen Scheune und Schuppen abbrennen. Schlimmeres geschieht in der gleichen Woche mit einem kleinen Kind:

„Am 2. Juli 1901: Das Töchterchen des Bruchmeisters Kreuzer, Margaret‚ im Alter von 3 Jahren und 4 Monaten wurde von einem beladenen Steinwagen des Fuhrmanns L. Büttner von Bensheim vor ihrer Wohnung, da wo der Weg in das Pfaffenrech einbiegt, überfahren und war sofort tot. Den Fuhrmann trifft keine Schuld.“

Über drei Jahrzehnte lang waren diese Steinwagen vom Steinbruch her durchs Dorf gefahren. Die Straße muß erbärmlich ausgesehen haben. Erst 1910 „wurde die Hauptstraße des Dorfes mit einem Kostenaufwand von etwa 12.000 M. hergerichtet und an der Bachseite mit einem eisernen Geländer versehen. Im November übernimmt der Kreis die Straße, so daß die Gemeinde in Zukunft die von den schweren Steinfuhrwerken verursachten erheblichen Unterhaltungskosten spart.

Es ist bemerkenswert, daß Gronau zu dieser Zeit weder über fließend Wasser noch über elektrischen Strom verfügte. Im Frühjahr 1907 hatte man nun mit dem Bau einer Wasserleitung durch eine Genossenschaft „Wasserwerk Gronau“ begonnen. „Auch das Pfarrhaus und die Kleinkinderschule wurden an die Wasserleitung angeschlossen, dagegen lehnte der Gemeinderat den Antrag auf Einführung der Leitung in das Schulhaus und in die Wohnung des ersten Lehrers ab, der erst vor einigen Jahren zum Bau einer Pumpe im Schulhofe veranlaßt worden war.“

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Im Jahre 1907 zog eine große Scharlachepidemie über das Land, die im September auch in Gronau ausbrach.

„Obgleich die umfassendsten Maßregeln zur Verhütung . getroffen wurden gelang es nicht, die Seuche einzuschränken. . Im November lag fast die Hälfte der hiesigen Kinder an Scharlach krank darnieder, sodaß die Kleinkinderschule gänzlich geschlossen werden mußte und in der Oberklasse der Volksschule etwa die Hälfte, in der Unterklasse aber etwa 2/3 aller Kinder fehlten. (...) Indessen waren die meisten Erkrankungen nur leichter Art. Todesfälle an Scharlach kamen hier in Gronau nicht vor. (...) Auch in der Familie des Pfarrers erkrankten nach einander fünf Kinder...“

Das Jahr 1908 war sehr gewitterreich. Am 4. Juni ging ein „schweres Gewitter mit förmlichem Wolkenbruche“ nieder und hatte eine große Überschwemmung zur Folge: „Die ganze Dorfstraße war überschwemmt und vor dem Pfarrhaus reichte das Wasser bis zu den obersten Treppenstufen.“ Wohl infolge dieser Schäden trat in den Weinbergen „trotz sorgfältigster Befolgung der Vorschriften durch die Weinbauern“ vermehrt die Peronospora auf: „Es war alles umsonst. Der Pilz breitete sich mit unheimlicher Schnelligkeit immer weiter aus und vernichtete die ganze Weinernte‚ auf die man bei der Blüte der Trauben große Hoffnung gesetzt hatte.“

Im gleichen Jahr starb Fürst Gustav zu Erbach Schönberg. Damit war wieder ein Einschnitt in die uralten historischen Verhältnisse der Heimat verbunden:

„Mit dem Tode des Fürsten Gustav hörte Schönberg auf, Wohnsitz des regierenden Fürsten zu sein, da Fürst Alexander sich nicht entschließen konnte, von König im Odenwald wegzugehen, jedoch bleibt Schloß Schönberg Witwensitz der Fürstin Mutter.“

1911 wurde anläßlich einer Visitation festgestellt: „Der Zustand des Pfarrhauses ist sehr ungenügend. Wir empfehlen daher dem Kirchenvorstand, die Frage der Erbauung eines neuen Pfarrhauses gegebenenfalls unter Verkauf des alten, weiter zu verfolgen.“ Bis zum endgültigen Beschluß zogen sich die Verhandlungen bis 1912 hin. Der Neubau wurde erst im Frühjahr 1914 im hinteren Teil des Pfarrgrundstükkes aufgeführt, das alte Haus blieb bis nach dem Kriege stehen und wurde dann von Herrn Kreuzer auf einem Granitsockel mit dem alten Balkenwerk als Wohnhaus in der „Kreuzerstraße“ neu errrichtet.

Nun bewährt sich in der Folge Pfarrer Schlosser auch als getreuer Chronist des Ersten Weltkrieges:

„Eine jähe Unterbrechung des Baues brachte, als gerade noch das Dach gedeckt war, der Ausbruch des Europäischen Krieges, der sowohl den Bauleiter als auch mehrere Bauarbeiter zu den Waffen rief. . In unserer Gemeinde hatte niemand mehr an die Möglichkeit eines Krieges gedacht. Selbst das Österreichische Ultimatum machte hier keinen besonderen Eindruck. Lauteten auch die Zeitungsnachrichten bedrohlich, so tröstete man sich damit, daß schon wiederholt in letztvergangenen Jahren von einem bevorstehenden Kriege die Rede gewesen, ohne daß es wirklich zu einer Kriegserklärung gekommen sei. . Als nun am 1. August die Mobilmachung angeordnet wurde, war die Bestürzung groß. Von einer Begeisterung, wie sie in den Städten herrschte, war hier nichts wahrzunehmen. Alle diejenigen, welche zunächst dem Rufe des Kaisers folgen mußten, waren entschlossen, ihre Schuldigkeit zu tun, mit Gottes Hilfe. So zahlreich wie am ersten Mobilmachungstage (2. August) hatte sich wohl noch nie die Gemeinde im Gotteshause zusammengefunden, um Trost und Stärkung zu suchen. Ich predigte über die altkirchliche Epistel Röm. 8, 12-17. Am Abend hielt ich noch eine Kriegsgebetsstunde mit Feier des heiligen Abendmahls an dem fast alle Wehrpflichtigen mit ihren Angehörigen teilnahmen. Es war eine ergreifende Feier. (...) In der Woche vom zweiten bis 9ten August gings nun an das Abschiednehmen. Täglich mußten einige Gemeindeglieder einrücken. Die meisten sind wohl schweren Herzens, aber doch mutig und mit Gottvertrauen ausgezogen. Es standen beim Ausbruch des Krieges im Heere zur Erfüllung ihrer aktiven Dienstpflicht (...) von Gronau: Peter Metzger, Jakob Heß und Georg Steinmann im Leibgarde-Infanterieregiment Nr. 115, in dem auch der von hier gebürtige Schulamtsbewerber Philipp Weiß sein Jahr abdiente, Peter Jung und Wilhelm Meister im Infanterieregiment Nr. 116, Georg Pfeiffer im Infanterieregiment Nr. 88, (...)“

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An Reservisten nennt er Philipp Braun, Christian Weiss, noch ein Christian Weiß, noch ein Philipp Braun, Philipp Metzger, Franz Werner, Martin Metzger, Adam Brecht, Georg Vatter, Adam Dörr, Philipp Meister, Adam Krämer, Nikolaus Hebenstreit, Wilhelm Deichert, Jakob Marquardt, Förster Heinrich Rettig, Adam Weiss, Johannes Werner, Leonhard Dörr, Johannes Kaltwasser, David Stephan, Johann Peter Mößinger, diese alle von Gronau. Schlosser nennt natürlich auch die Teilnehmer von Zell, Schannenbach und Scheuerberg sowie die Kriegsfreiwilligen. „Die Tage nach der Mobilmachung waren sehr unruhig. Merkwürdige Gerüchte von verbrecherischen Anschlägen feindlicher Spione ängstigten die Leute. Man hörte von bombenwerfenden Russen und Franzosen, die sich in mancherlei Verkleidung im Lande aufhalten sollten, sodaß man in jedem Fremden, der in unsere Gegend kam, einen Spion witterte. Auch wurde behauptet, die Feinde versuchten unsere Wasserleitungen zu vergiften, die deshalb bewacht wurden. Für besonders verdächtig hielt man femde Radfahrer. Es war das Gerücht verbreitet worden, von Frankreich sollten viele Millionen Geld durch Automobil- und Radfahrer nach Rußland geschafft werden, weshalb man jeden Radfahrer anhielt und untersuchte. So war es gefährlich, in den ersten Wochen nach Kriegsausbruch sich in einen andern Ort ohne behördlichen Ausweis zu begeben. Man wurde sicher auf Schritt und Tritt als Spion angehalten.“

Pfarrer Schlosser hatte sich von den Zeitgeschehnissen „eine religiös-sittliche Erneuerung“ erhofft. Stattdesssen geht der anfangs sehr rege Besuch der Betstunden nach einiger Zeit zurück. Es scheint dem Pfarrer, „als ob nur die Angst vor dem Feind und die Sorge um das Leben der ins Feld gezogenen Angehörigen die Leute in die Kirche treibe...“ Dagegen sei die große Opferbereitschaft und die Bereitschaft zu Sammlungen und bei Tätigkeiten aller Art erfreulich.

In Zell wird ein „Kriegskindergarten“ zur Entlastung der arbeitenden Mütter eingerichtet, von des Pfarrers Töchtern Maria und Johanna betreut. Gastwirt Vetter hat seinen Saal zur Verfügung gestellt.

Ich lasse nun einige Geschehnisse mehr stichwortartig folgen. Ähnliches hat sich natürlich überall ereignet, aber hier trägt es doch den Charakter der eigenen Heimat:

Über die Siege bei Metz, Longwy, Neufchateu herrscht „große Freude“, Glockengeläut und Posaunenchor,
dann die ersten Verwundeten: Philipp Metzger, Georg Pfeiffer, Adam Brecht von Gronau, Zimmermann Adam Volk von Zell,
dann die ersten Toten: Schulamtsbewerber Wilhelm Meister und Dienstknecht Georg Vetter von Zell,
dann Spenden fürs Lazarett in Bensheim, dann Gefallene, Vermißte, Gefangene, Verwundete, und Liebesgabenpäckchen an alle Mitglieder der Kirchengemeinde in Feld oder Lazarett,
dann neue Einberufungen, Gefallene,
1915 gibt es „...im Kirchspiel keine öffentlichen Lustbarkeiten“ mehr, „an die Arbeitskraft der Frauen und größeren Kinder“ werden „vermehrt Anforderungen gestellt.“
Einführung der Brotkarten, Verbot des Kuchen-Backens.

p138

Schon jetzt vermerkt der Pfarrer: „Es kann, wenn ein richtiges Bild von der Lage gegeben werden soll, nicht verschwiegen werden, daß auch viele Äußerungen des Unmuts laut wurden. Es will mir sogar scheinen, daß die Vaterlandsliebe bei vielen im Schwinden sei. Leider tragen zu diesen betrübenden Erscheinungen auch in Garnison befindliche Landsturmleute und beurlaubte Krieger bei, die sich über schlechte Behandlung bitter beschweren...“

1916 weitere Einberufungen, Gefallene.

„Bei dem durch die zahlreichen Einberufungen eingetretenen und sich fortwährend steigernden Mangel an Arbeitskräften war die Heranziehung von gefangenen Franzosen und Russen zu landwirtschaftlichen Arbeiten nicht zu umgehen.“ Er spricht von gelegentlich ungehörigem und frechem Benehmen der Franzosen, sowie, daß „. „manche Frauen und Mädchen sich in dem Verkehr mit den Kriegsgefangenen unwürdig benehmen.“ So ist mit der Fortsetzung des Krieges auch hier zunehmende Ermüdung erkennbar. Natürlich ist wieder von der „Verwilderung der Jugend“ die Rede, da die Väter im Felde sind, es wird über Vorgesetzte geschimpft, „ja sogar über die Regierung, (...), die man für den Krieg verantwortlich machen will.“ Weiter spricht der Pfarrer von zunehmender Selbstsucht, von Eigennutz und Schwarzhandel. Seine Töchter müssen wegen zu starker Beanspruchung den Kriegskinderkarten in Zell schließen, auch die Strick- und Nähabende der Mädchen hören auf, weil es an den nötigen Stoffresten fehlt.

Ganz langsam wird, trotz stetig steigender Preise, der Innenausbau des Pfarrhauses wiederaufgenommen, im Dezember 1916 kann die Familie endlich einziehen. —Und wieder Gefallene.

Wachsende Unzufriedenheit, im Winter 1916/17 erfrieren die Kartoffeln, so daß später Klagen aus dem Felde kommen, Kohlenmangel (doch kann man in Gronau ja immer noch auf Holz zurückgreifen).

1917 werden alle Gegenstände aus Kupfer, Messing, Bronze und Zinn beschlagnahmt‚ darunter die Prospektpfeifen der Orgel von 1837: „Achtzig Jahre lang (...) hatten sie zu Gottes Lob und Ehre und zur Erbauung der Gemeinde gedient und nun sollen sie zu Kriegswerkzeugen umgegossen werden und zur Vernichtung von Menschenleben dienen.“ Nachdem Schlosser die Hoffnung geäußert hat, daß sie wenigstens zur Verkürzung des Krieges und „zum Schutz vor den wütenden Feinden“ dienen möchten, bedauert er, daß nun die Orgel „ihr schönstes Register, Prinzipal 4 Fuß verloren“ habe, aber noch gespielt werden könne, da sie noch 14 Register hat. Auch die beiden kleineren Kirchenglocken von 1767 und 1769 werden abgegeben, wogegen die große Glocke schon damals unter Denkmalschutz stand. Notzeiten verursachen immer ein gesteigertes Interesse am Ernteergebnis. Stets hatten die Pfarrer hierzu ihre Beobachtungen niedergeschrieben. Im Herbst 1917 schreibt der Chronist besonders eingehend über die Ernte:

p139

„Die Hoffnung auf eine reichliche Obsternte wurde noch übertroffen. Kein Mensch konnte sich erinnern, jemals einen solchen Obstsegen gesehen zu haben. Kirschen, Äpfel, Birnen und Nüsse gab es in Hülle und Fülle. Auch der Wein wurde sehr gut, obgleich die Reben zum Teil unter dem langen Winter etwas gelitten hatten. Die Gemeindeglieder hatten von der reichen Obsternte sehr große Einnahmen, zumal die Obstpreise außerordentlich hoch waren. Für einen Zentner Tafelobst wurden 25 M bezahlt. Auch der Preis für Trauben war sehr hoch. Das war für die Gemeinden des Kirchspiels umso viel wichtiger, als leider die Getreideernte nicht ganz den Erwartungen entsprach. Dagegen war die Kartoffelernte sehr gut, so daß nicht nur der hiesige Bedarf Vollkommen gedeckt, sondern auch eine große Menge abgegeben werden konnte.“

Der Pfarrer hat sich auch regelmäßig über die Zeichnung der „Kriegsanleihen“ geäußert. Hier handelt es sich um die siebente ihrer Art. Infolge der genannten Einnahmen sei auch eine rege Beteiligung festzustellen, „doch halten sich immer noch manche Gemeindeglieder zurück, die recht gut hätten zeichnen können. Die oft widerlegte Behauptung, wer Kriegsanleihe zeichne trage zur Verlängerung des Krieges bei, fand hier immer wieder Glauben, namentlich, da sie unbegreiflicherweise auch von Gemeindegliedern‚ die im Felde stehen, genährt wurde.“

Es scheint allenthalben der Glauben an einen deutschen Sieg die Menschen schon längst verlassen zu haben. All die pessimistischen Töne, die unverkennbar die Chronik in wachsendem Maße durchziehen, lassen keinen Zweifel. Nun kommen wieder Einberufungen: „Möchte Gott der Herr diesen jungen Leuten, die noch halbe Kinder sind, den Anblick der Kriegsgreuel ersparen und uns den Frieden schenken, ehe auch sie ins Feld ziehen müssen.“

Und wieder Gefallene.

Die Vierhundertjahrfeier der Reformation am 31.10.1917 hatte der Pfarrer schon während des ganzen Jahres thematische Vorbereitet. Dabei macht er die Erfahrung, „daß die meisten reformatorischen Weisen unserer heutigen Gemeinde nicht liegen und nur schwer einzubringen sind.“ „Den Höhepunkt bildete natürlich der Vormittagsgottesdienst des 31. Oktobers. Obgleich dieser Tag auf einen Werktag fiel und die Arbeit auf den Feldern drängte, waren doch die Gemeindeglieder, auch die Männer, in großer Zahl erschienen.“

Brennstoffnot: „Es war aber aus Mangel an Arbeitskräften nicht genügend Holz geschlagen worden, ...“ Steigende Preise:

„Überhaupt nahm die Teuerung immer mehr zu. Die Preise aller Gebrauchsgegenstände stiegen auf das Drei- bis Vierfache. Dagegen sind die Preise für die notwendigen Lebensmittel noch bescheiden zu nennen,wenigstens gilt das für die amtlich festgesetzten Höchstpreise. Im Schleichhandel, der ständig zunimmt, werden allerdings weit höhere Preise gezahlt...“ „Tagtäglich kommen zahlreiche Leute aus Bensheim, Heppenheim, Darmstadt, Frankfurt, Mannheim um Butter und Eier zu kaufen und bieten Preise, welche die sogenannten Höchstpreise um ein Vielfaches übertreffen.“

Auch gewissenhafte Menschen seien am Schleichhandel beteiligt, weil mit den amtlich festgesetzten Rationen „kein normaler Mensch auskommen kann.“ Durch den Tauschhandel für Lebensmittel „kann man noch alles bekommen und alles erreichen, so hört man Viele sagen.“

Die Jugend verwildere zusehends: „Auf den Straßen ist abends ein Treiben, wie man es früher in unserm stillen Ort nicht für möglich gehalten hätte.“ Als Beispiele nennt er die jungen Mädchen und die Kriegsgefangenen, uneheliche Kinder, nur mäßigen Kirchenbesuch, vor allem von den Männern, „auch die aus dem Feld beurlaubten Männer besuchen nur selten den Gottesdienst, obgleich doch der Ernst der Zeit die Leute dazu treiben sollte, Gott zu suchen.“

p140

Infolge der Märzoffensive 1918 hatte sich die Stimmung in der Bevölkerung nach längerer Depression wieder etwas gehoben, „und die Furcht, das (in der Kriegsanleihe) gezeichnete Geld zu Verlieren, Schwand.“

Gefallene — Vermißte —

Seit Mitte Juli 1918 verzeichnet der Pfarrer ungünstige Nachrichten vom Kriegsschauplatz, verstärkten Druck auf die Gemüter, zunehmende Gleichgültigkeit über Sieg oder Niederlage, zum Teil sogar Freude über Niederlagen, von denen man sich ein baldiges Kriegsende erhofft.

Über den letzten Gefallenen des Kirchspiels wird vermeldet: „Am 6. November 1918, also unmittelbar vor dem Abschluß des Waffenstillstands, fiel der Gardist Nikolaus Metzger, Sohn des Küfers und Tagelöhners Peter Metzger II.‚ „Bauers Peter“, ein Jüngling von 19 Jahren.“

„Der Ausbruch der Revolution erregte aber doch allgemein große Bestürzung. Nur wenige freuten sich darüber. Man fürchtete in der ersten Zeit Plünderungen und Brandschatzungen. Die harten Waffenstillstandsbedingungen machten verhältnismäßig nur wenig Eindruck. Man war eben, was durchaus zu verstehen ist, des Krieges überdrüssig und hielt auch den schlechtesten Frieden für besser als eine Fortdauer des Krieges.“

p141

Rückkehr der Truppen, ein Bataillon des Infanterie-Regiments Nr. 439 „...kam in guter Ordnung hier an. Die Manneszucht schien noch nicht oder nur wenig gelitten zu haben. Aber schon am 2ten oder 3ten Tage lösten sich die Bande der Ordnung. Der Einfluß des Bensheimer Soldatenrates machte sich geltend, wie die Offiziere versicherten, und zahlreiche Soldaten verließen, ohne auf ordnungsmäßige Entlassung zu warten, die Truppe, sodaß, als das Bataillon Gronau verließ, kaum noch der vierte Teil mehr beisammen war.“

Anfang Dezember kehren nun die meisten Gronauer Kriegsteilnehmer zurück, „einige nach ordnungsmäßiger Entlassung, einige auch ohne eine solche. Nach der Revolution konnte eben jeder Soldat tun und lassen was er wollte, und alle wollten, was man ihnen auch nicht verdenken konnte, das Weihnachtsfest zu Hause feiern.“

18. Das Dorf zur Zeit der ersten deutschen Demokratie

Die Deutschen — und mit ihnen natürlich die Gronauer — sollten nun mit dem beginnen, was man „Demokratie“ nennt. Wir wissen heute, daß diese Lektion für die Deutschen — und natürlich auch für die Gronauer- zu schwer, die Voraussetzungen für diesen Lernprozeß zu ungünstig waren.

Es begann mit den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung und zur Hessischen Volkskammer: „Wohl noch nie ist in unserer Gemeinde so viel und so eifrig agitiert worden als diesmal“, schreibt Pfarrer Schlosser.

„Fast alle Parteien hielten eine oder mehrere Versammlungen ab, namentlich die Demokratische Partei, die den Reigen eröffnete, ließ eifrigst werben, aber auch die Sozialdemokraten blieben nicht zurück. Man war allgemein der Überzeugung, daß die Wahlen auch für die Kirche von größter Bedeutung sein müßten, War doch die Trennung von Kirche und Staat von den Arbeiter- und Soldatenräten gefordert worden...“

Aber: „In allen Wahlversammlungen, die hier abgehalten wurden, betonten Demokraten und Sozialdemokraten, daß man an eine radikale Trennung gar nicht denke, sondern nur eine friedliche Auseinandersetzung plane...“

Schlosser selbst redet in einer gut besuchten Versammlung in Gronau über das Thema der Trennung.

Bei der Wahl zur Nationalversammlung 1919 wurden hier in Gronau
82 Stimmen für die Hessische Volkspartei
81 Stimmen für die Demokratische Partei
81 Stimmen für die Sozialdemokratische Partei
25 Stimmen für die Deutsche Volkspartei
1 Stimme für das Zentrum
abgegeben,
bei der Wahl zur Hessischen Volkskammer
103 Stimmen für die Hessische Volkspartei
76 Stimmen für die Sozialdemokratische Partei
45 Stimmen für die Demokratische Partei
22 Stimmen für die Deutsche Volkspartei
2 Stimmen für das Zentrum.

p142

Bei der Gemeinderatswahl lag in Gronau nur eine Liste vor. Der alte Bürgermeister, Philipp Marquardt VII., war schon 1915 verstorbern, sein Dienst war zunächst vertretungsweise von Peter Heß III. versehen worden: „Gewählt wurde mit großer Stimmenmehrheit der Kaufmann Wilhelm Dingeldein I.“

In diesem Jahr trat Lehrer Schöffel wegen Kränklichkeit in Urlaub, wurde im folgenden Jahr pensioniert, behielt aber das Amt des Organisten bis 1922. Sein Nachfolger in der Schule war Lehrer Philipp Peter. Er wird auch Schöffels Nachfolger als Organist.

Das Jahr 1920 brachte die erste Reichstagswahl: „Die Wahlbeteiligung war vhm. schwach, in Gronau wählten nur etwa 50 °/o der Wahlberechtigten“, was der Chronist als Beweis für die Wahlmüdigkeit der Landbevölkerung ansieht. Das Ergebnis:

105 Stimmen Hessische Volkspartei (Dt. Nationale)
19 Stimmen Deutsche Volkspartei
12 Stimmen Demokratische Partei
19 Stimmen Sozialdemokratische Partei
10 Stimmen Unabhängige Sozialistische Partei (USPD)

Im folgenden Jahr wurde in einer „ernsten und würdigen“ Feier das Kriegerdenkmal an der Stützmauer der Kirche eingeweiht. Der Posaunenchor hatte sich inzwischen wieder zusammengefunden, „durch Jünglinge“ verstärkt. Auch der Gesangverein wirkte mit.

Die allgemeine Armut machte immer wieder das Ernteergebnis zu einem besonders wichtigen Thema. Für 1921 war zwar die Getreideernte befriedigend, bei den Kartoffeln aber war eine Mißernte zu beklagen: „Manche Landwirte, deren Äcker zumeist auf den sogenannten „Buckeln“ liegen, hatten nicht einmal die Saatkartoffeln geerntet.“ Die meisten Gronauer mußten sich „ihre Kartoffeln von auswärts, z.T. aus den fernsten Teilen Deutschlands (Ostpreußen oder Pommern) kommen“ lassen:

„Wegen der schlechten Verkehrsverhältnisse dauerte aber der Transport 4 Wochen, die Kartoffeln kamen hier erfroren an. Das war für die ärmeren Einwohner ein schwerer Schlag.“ „Im Laufe des Winters (21 /'22) stiegen die Kartoffelpreise zu einer Höhe an, die man früher für unmöglich gehalten hatte. Im Frühjahr 1922 wurden bis 300 M für einen Zentner gezahlt, also das Hundertfache von dem noch im Jahre 1915 gezahlten Preise.“

Die Teuerung zwingt auch zu einer Erhöhung des Beitrags für die Kinderschule. Das reicht freilich auch nicht aus, um die Schwester zu unterhalten. Man schreitet zur Gründung eines „Evangelischen Frauenvereins“ zur Erhaltung und Pflege des Kindergartens und der Ortskrankenpflege. Die meisten Frauen und Jungfauen schließen sich im Laufe des Jahres 1922 mit einer monatlichen Zahlungsverpflichtung an. Den Vorstand bilden Frau Pfarrer Schlosser, Frau Bürgermeister Dingeldein, Frau Sophie Keil, geb. Deichert, Frau Jahreis, Frau Elisabeth Weiß, geb. Hassenfratz, Frau Katharina Keil, geb. Weiß. Man beschließt, dem Verband evangelischer Frauenvereine in Hessen beizutreten.

p143

Der Gronauer Gemeinderat faßte den Entschluß‚ nunmehr das schon Vor dem Krieg angenommene „Projekt betr. Einführung des elektrischen Stromes wieder aufzunehmen.

Ein von den staatlichen Behörden genehmigter außerordentlicher Holzeinschlag machte es möglich, die ständig steigenden Kosten zur Herstellung des Ortsnetzes bis auf einen nicht allzu großen Rest zu decken. Auch das Pfarrhaus erhielt elektrisches Licht, eine große Wohltat in einer Zeit, in der auch das Petroleum im Preise stetig steigt und manchmal überhaupt nicht zu haben ist.“

Der folgende Bericht von 1923 zeigt, Wie weit sich das Dorf schon vom reinen Bauerndorf entfernt hat, zeigt auch wie es in zunehmendem Maße in den Sog der „großen weiten Welt“ geraten ist.

p146

„Die Folgen der Besetzung des Ruhrgebiets und der anderen Maßregeln, welche die Franzosen ergriffen, um Deutschland wirtschaftlich und politisch zugrunde zu richten, machten sich im Verlauf des Frühjahrs und Sommers (1923) auch hier geltend. Zahlreiche junge Männer und auch mehrere Familienvater von Gronau und Zell hatten nach der Explosion in Oppau (1921) bei den Wiederaufbauarbeiten Beschäftigung gefunden. Manche hatten ihre frühere Arbeitsstelle aufgegeben und Waren nach Oppau oder Ludwigshafen gegangen, weil dort außerordentlich hohe Löhne gezahlt wurden (=französisches Besatzungsgebiet). Als nun aber die Franzosen immer schärfer Vorgingen, das besetzte Gebiet absperrten und die im unbesetzten Deutschland heimatberechtigten Arbeiter auswiesen oder wenigstens nicht mehr in das besetzte Gebiet hereinließen, wurden jene Oppaugänger arbeitslos. Sie erhielten aber den größten Teil ihres Lohnes bis September weiter gezahlt und mußten nur an drei Tagen Arbeiten für die Gemeinde verrichten.“

Dann wurden sie aber nach einiger Zeit den übrigen Erwerbslosen gleichgestellt „...deren Zahl ständig stieg. Die wirtschaftliche Lage der Arbeiter wurde überhaupt immer ungünstiger, da in den meisten Betrieben die Kurzarbeit eingeführt wurde. Dabei nahm die Teuerung von Tag zu Tag zu. Unser Geld wurde mit rasender Geschwindigkeit immer mehr entwertet...“

Dann folgt eine Schilderung der Inflation, wie sie sich allgemein auswirkte. Schlosser schreibt unter anderm:

„Eine kleine Ausbesserung des Kirchturmdaches die 355 666,- M kostete konnte nur deshalb bezahlt werden, weil ein von hier stammender Deutsch-Amerikaner, Georg Filbert, der gerade bei seinem Bruder Balthasar Filbert weilte, der Kirche 500 000 M schenkte (einen halben Dollar).“

Für die Kirchengemeinde war eine Besoldung des Organisten und des Kirchendieners unmöglich, sie arbeiteten so gut wie umsonst.

Die Reichstagswahl von 1923 zeigt nicht nur zunehmende Wahlmüdigkeit, wenige Wahlveranstaltungen und „keine richtige Agitation“, sie zeigt auch die zunehmende parteipolitische Aufsplitterung jener Jahre:

Partei Gronau Zell  
Sozialdemokraten
Kommunisten
Dt. Volkspartei
Deutschnationale
Deutsche Demokraten
Bund der Geusen
Bauernbund
Zentrum
USPD
Wirtschaftspartei
Völkische
Hess. Wirtschaftspartei
22
14
8
9
9
6
156




32
16
15
14
24

133
9
1
2
7
3
 

Auch die zunehmende Tendenz zu Extremen ist schon erkennbar. Die folgende Reichstagswahl von 1924 verläuft im Dorfe ähnlich der vorigen. Dann wird Hindenburg zum Reichspräsidenten gewählt.

Für die Gronauer Schule rückt das Schuljahr 1926/27 besonders ins Blickfeld. Der Landtag hat wegen der schwachen Kriegsjahrgänge eine Verminderung der Volksschulklassen beschlossen. In Gronau handelt es sich in diesem Schuljahr um 42 schulpflichtige Kinder, „für die nach Ansicht der Behörden ein Lehrer genügte“. Die beiden hiesigen Lehrer erklären aber, aus Gesundheitsgründen nicht an einer einklassigen Schule unterrichten zu können, weshalb Lehrer Will sich nach Auerbach, Lehrer Peter nach Alsbach versetzen lassen. Wegen der ungeklärten Wohn- verhältnisse entsteht nun die groteske Situation, daß zunächst beide täglich ihre entfernten Schulorte aufsuchen müssen, Während gleichzeitig der- vorläufige — neue Lehrer Heldmann aus Seeheim täglich nach Gronau kommen muß.

Ab 1. 1. 1927 kommt dann Lehrer Helmreich aus Heubach nach Gronau, der bis dahin in Hiltersklingen tätig gewesen war. Er übernimmt zugleich auch den Organistendienst. Nun wird auch die notwendige Orgelreparatur beschlossen und sofort durchgeführt.

Der Posaunenchor konnte am 10. Juni 1928 sein 25jähriges Stiftungsfest begehen. Die geistlichen Vorgesetzten und die Pfarrer der benachbarten Kirchspiele waren eingeladen, dazu die Posaunenchöre des Dekanats sowie die von Darmstadt, Oberklingen, Pfeddersheim, Pfifflingen, Pfungstadt, sowie die Männergesangvereine von Gronau, Schönberg und Hofheim. Man hatte umfangreiche Vorbereitungen getroffen, fleißig geübt, im BA öffentlich eingeladen, auch Kosten nicht gescheut: „Die Straßen und Häuser waren alle schön geschmückt mit Birken, Kränzen und dergleichen. Man konnte nach allen Vorbereitungen und der Aufnahme, die unsere Einladung gefunden hatte, auf einen schönen Verlauf des Festes hoffen.“ Am Vorabend wurden einige Chöre in der Kirche geblasen, es folgte eine Vorfeier im Gasthaus zur Grünen Au, mit Ansprache Schlossers, Ehrung der anwesenden Gründer, darunter Pfarrer Sehrt, Sohn des ehemaligen Gronauer Pfarrers, der stets mit dem Dorf in Verbindung geblieben war. Mit Choralblasen und anschließendem Gottesdienst begann der eigentliche Festtag, Feiern am Kriegerdenkmal und auf dem Friedhof folgten. Aber:

p149

„Nachmittags V22 Uhr wurde am östlichen Ortsausgang der Festzug aufgestellt, der sich durch die Ortsstraßen nach dem Festplatz, der Wiese neben der Keinkinderschule begab. Aber schon während des Festzugs hatte sich der Himmel mit schwarzen Wolken überzogen, und nachdem der Massenchor gesungen und Pfarrer Sehrt seine Festrede begonnen hatte, fing es an zu regnen.“

Der Regen hörte nicht mehr auf, es goß, man versuchte in Gasthäusern notdürftig eine Fortsetzung des Festes mit den verschiedensten Vorführungen der Gastchöre, aber die Einheit des Festes war empfindlich gestört. Scharen von Gästen, die unterwegs waren, kehrten wieder um, die Gäste in Gronau stürmten förmlich die hin- und herfahrenden Autos, der wirtschaftliche Ertrag blieb gering. „Sehr schön hatte das Fest begonnen, aber der Schluß war ziemlich kläglich und war auch für unsern Chor recht betrübend.“

Der Winter 1928/29 mit seiner ungewöhnlichen Kälte ist heute noch vielen älteren Gronauern in Erinnerung. Brennstoffmangel zwingt zum Ausweichen des Gottesdienstes in den Konfirmandensaal. Frostschäden entstehen vor allem an den Nußbäumen, die in der Folgezeit auf Wunsch des Landeskirchenamtes — wegen des wertvollen Holzes — nachgepflanzt werden. Der Gesundheitszustand der Bevölkerung ist im allgemeinen gut, „nur die ganz alten Leute leiden sehr: 5 Personen, die das 80ste Lebensjahr überschritten haben sterben, darunter der alte Forstwart Stumpf, ein Veteran von 1866, der kurz vor seinem 90ten Jahre starb, ...“

p150

Noch stärker als vorher macht sich in der Gemeinde bemerkbar, was wir heute „geburtenschwache Jahrgänge“ nennen: 1929 war „Die Zahl der Konfirmanden (...) noch mehr zusammengeschmolzen.“ Pfarrer Schlosser meldet

2 Knaben 3 Mädchen von Gronau
4 Knaben 1 Mädchen von Zell
5 Knaben 2 Mädchen von Schönberg

Außer einer Außenrenovierung der Kirche und dem Verputz des Pfarrhauses — es war noch unverputzt — ist für 1930 nur ein Jahrgangstreffen der 70jährigen zu vermelden. Dabei entstand eine Aufnahme, auf der neben dem Dekan Keil auch Pfarrer Jung als geborene Gronauer zu sehen sind.

193l lesen wir die traurige Mitteilung: „Pfarrer Otto Schlosser wurde Anfang des Jahres plötzlich seiner Familie und Gemeinde entrissen.“ 68jährig wurde er das Opfer eines Sturzes auf der Treppe. Über 24 Jahre hatte er in Gronau segensreich amtiert. Sein Amtsnachfolger war Pfarrer Friedrich Clotz, bis dahin Pfarrer in Seckmauern, Kreis Erbach. Auch Clotz muß, wie sein Vorgänger, Schönberg mit versehen, eine beträchtliche Belastung.

In jenen ärmlichen Zeiten benutzte man gerne Lastautos, wenn von Kindergruppen größere Ausflüge unternommen wurden: „. . ‚besuchte uns der Lehrer der evangelischen Schule von Seckmauern mit den Schulkindern in Gronau, wo sie bewirtet wurden. Sie waren mit einem Lastauto gekommen.“ Man sollte sich dazu die miserablen Straßenverhältnisse vorstellen. Diese Unternehmen hatten oft etwas Abenteuerliches an sich. Andrerseits besuchten Mitglieder des evangelischen Frauenvereins mit dem „Autoomnibus“ die Witwe von Pfarrer Schlosser in Arheilgen.

Für viele Jahre lebte in unserm Dorfe ein Mann, der vor allem mit zunehmendem Alter immer stärker zu einem Charakteristikum wurde. Es war dies der Schuhmachermeister Heinrich Wolf (18694962), der „Wolfeschuhmacher“. Wir fügen hier einen besonders gelungenen Zeitungsartikel zu seinem 81. Geburtstag ein, der sein Wesen und Wirken gut erkennen läßt:

„Gronaus letzter Nachtwächter

Der Schuhmachermeister Heinrich Wolf aus Gronau konnte vor kurzem in voller Rüstigkeit seinen 81. Geburtstag feiern. Der alte ‚Wolfeschuhmacher‘, wie er im Volksmund genannt wird, ist durch seine humorvolle und witzige Art weit über die Grenzen seines Heimatdörfchens bekannt geworden. Alt und Jung liebt ihn. Man erlebt nicht selten, daß die alte Schusterstube sich mit Kindern füllt, die darauf warten, bis der Alte den Kleinen ‚die Haare pfeifen‘ läßt, sie durch komische Laute erschreckt oder ihnen Geschichten aus seiner Nachtwächterzeit erzählt. Heinrich Wolf ist nämlich der letzte Gronauer Nachtwächter gewesen. Voll Begeisterung hören ihm die Kinder zu, und ihre Äuglein werden immer größer und gespannter, wenn die Geschichte vom Gassenhund an die Reihe kommt. Dieser Hund, so erzählt Nachtwächter Wolf, sei ihm einmal begegnet und er sei riesig gewesen, mit Augen von der Größe einer Fensterscheibe. An dem alten Brunnen in der Hintergasse habe das Tier getrunken und dann, ohne den Nachtwächter zu beachten, sich wieder davongemacht. Wenn es dunkel wird, wagen sich die Kinder dann vom Wolfeschuhmacher nicht mehr auf die Straße. Die Vorstellung, dem Riesenhund womöglich selbst zu begegnen wurde in den kleinen Kinderherzen zu lebendig“ (64) Die Erinnerung an die liebenswerte Erscheinung dieses Mannes ist noch heute im Dorfe so lebendig, daß sie keineswegs übergangen werden durfte.

p152

Doch wieder zurück zum Jahr 1931:

„Am 19. Juli (1931), einem Sonntag, gegen 6 Uhr nachmittags ging über dem vorderen Odenwald ein wolkenbruchartiger Regen nieder...“ Wie so oft ist das Hochwasser im Schönberger Tal, in Zell und Bensheim noch schlimmer, doch sind auch in Gronau Viele Keller voll Wasser. Die dann anhaltende Nässe läßt das Getreide auswachsen und die Kartoffeln verfaulen. Das aber war in jenen armen Zeiten für viele Mittellose eine Katastrophe. Das Jahr 1932 war besser, weshalb wir lesen:

„Zur Unterstützung bedürftiger Familien, die infolge der Arbeitslosigkeit in Not sind, wurde auf Veranlassung der Behörden von den Bürgermeistern unter Heranziehung Von Gemeinderats- und Kirchenvorstandsmitgliedern und bei uns auch von Frauen des EV. Frauenvereins eine „Winterhilfe“ organisiert.“ Es wurden vor allem Kartoffeln, Gemüse und Bargeld gespendet. Für eine „evangelische Winterhilfe“ der Landeskirche wurden in Gronau und Zell 18,80 M gegeben. Mit Dankbarkeit vermerkt der Pfarrer über die Ernte:

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„Das Jahr war viel einträglicher als die letztvergangenen Jahre. Mißwachs und Verderben auf dem Felde blieben aus. Das erfüllt uns mit tiefem Dank gegen Gott. Denn bei der Schwierigkeit der Verhältnisse, insbesondere bei dem großen Arbeitslosenelend müßte eine Mißernte zu schlimmen Zuständen führen.“

In diesem Jahre vermerkt die Chronik erstmals die Omnibusverbindung nach Bensheim: „Das Wernersche Auto, das täglich mehreremale nach bestimmtem Fahrplan nach Bensheim und zurück fährt.

Bei vielen Menschen jener Zeit war die Angst vor dem Bolschewismus groß: Im Gasthaus zum Odenwald fand ein Lichtbildervortrag des Ev. Frauenvereins über die Not der evangelischen Christen in Rußland statt: „Es waren grauenerregende Bilder, die gezeigt wurden. Wehe, wenn Deutschland dem Bolschewismus anheimfiele!“

An dieser Stelle soll eine Zusammenstellung der verschiedenen Wahlen in den Jahren 1931/1932 und 1933 folgen. Man erkennt auch für unser Dorf die politische Zersplitterung, aber auch das Schwanken und die Unentschlossenheit vieler Wähler, die sich in dieser politischen Landschaft und angesichts der steigenden Not nicht zu helfen wußten und immer kritikloser wurden:

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Landtagswahl 1931:

---------------------------- Gronau ------------ Zell ------------ Schannenbach
SPD -------------------------- 29 ---------------- 19 ------------- 14
KPD --------------------------- 3 ----------------- 4 --------------- 2
Christl. Soz. Volksdienst -- 27 ---------------- 12 ------------ —
Hessisches Landvolk ------ 51 ---------------- 48 ------------- 10
Nationalsozialisten -------- 66 ----------------- 81 ------------- 15

Hierbei ist bei einigen Parteien gar nicht mehr zu erkennen, welche Ziele sie eigentlich Verfolgen. Der Anstieg der Nazipartei ist freilich unverkennbar.

Zur Reichspräsidentenwahl 1932 sah das Bild so aus:

1. Wahlgang:
----------------------------- Gronau ------------ Zell ------------ Schannenbach
Hindenburg ------------------ 161 ------------- 106 --------------- 12
Hitler --------------------------- 70 ------------- 105 --------------- 43
Thälmann ---------------------- 11 -------------- 21 --------------- 14

2. Wahlgang.-
Hindenburg ------------------ 137 -------------- 94 --------------- 28
Hitler ------------------------- 108 ------------- 123 --------------- 44
Thälmann ----------------------- 6 --------------- 7 ----------------- 8

Bei den Reichstagswahlen des gleichen Jahres sah das Bild so aus:
Nationalsozialisten ----------- 106 ------------- 110
SPD ------------------------------ 68 --------------- 33
KPD ------------------------------ 13 --------------- 20
Christl. Soz. Volksdienst ------ 23 --------------- —

Dann endete die erste deutsche Demokratie. Auch für Gronau änderte sich mit der „Machtergreifung“ Hitlers vieles und Grundsätzliches.

19. Gronau zur Zeit Hitlers bis zum Ende des 2. Weltkrieges

Nachdem Hindenburg das Kanzleramt an Hitler übertragen hatte, fand am 5. Mai die Reichstagswahl, die Wahl der „Machtergreifung“ statt. Für Gronau und Zell hatte sie folgende Ergebnisse:

Nationalsozialisten
SPD
KPD
Kampffront schwarz-weiß-rot Hugenberg
Christl. Soz. Volksdienst

Gronau
217
 58
 10
 11
 10
Zell
248
 31
 11
  6
  3

Man erkennt, daß auch in unserm Dorf starke nicht-nationalsozialistische Kräfte bestanden.

p155

Pfarrer Clotz äußert sich zu den Ereignissen folgendermaßen: „Der Nationalsozia- lismus bezeichnet dieses geschichtliche Ereignis als die „Machtergreifung“ Hitlers und seiner Bewegung. Sie wird in der nationalsozialistischen Presse als die „unblutige deutsche Revolution“ gefeiert, herbeigeführt auf dem legalen Weg der Wahlen.“ Dann heißt es: „Bei einem großen Teil des Volkes knüpfen sich daran große Hoffnungen und Erwartungenz“ Er zählt auf: die Befreiung vom Versailler Diktat, die allmähliche Aussöhnung der Stände und Klassen in Deutschland und das Ende des es zerfleischenden Klassenkampfes, Beseitigung der Not der Arbeitslosigkeit. Weiter meint er. „Ein anderer Teil des Volkes dagegen‚insbesondere der Kommunisten, Sozialdemokraten, katholisches Zentrum (in Bayern Bayerische Volkspartei) und Deutschnationale, steht nach wie vor in Opposition zu Hitler und seiner Bewegung. Unsere Kirchspielorte, wie überhaupt die Orte des Odenwaldes, stehen überwiegend auf der Seite des Nationalsozialismus.“ Soweit Pfarrer Clotz zu diesem Thema. Er selber war bereits 1930 der NSDAP beigetreten. Da wir uns aber weiterhin an seine Einträge halten wollen, muß das Folgende geklärt werden: Man hat die Vermutung ausgesprochen, daß Clotz die Ereignisse aus seiner Amtszeit erst nach seiner Beurlaubung (1945) als Rechtfertigung seines damaligen Handelns aufgezeichnet habe, und daß dieselben „nur einen relativen chronistischen Wert beanspruchen“ können. Sorgfältige Überprüfungen der Chronik geben aber dafür keinerlei Anhaltspunkt, und auch die Wahrscheinlichkeit spricht gegen die genannten Annahmen. Es ist durchaus glaubwürdig, daß der Pfarrer immer stärker in Widerspruch zur Partei geriet, aber nicht die Kraft fand auszutreten. Er hat wahrscheinlich die Einträge in der Chronik weiterhin ährlich und zwar wohl jeweils im Frühjahr des Folgejahres getätigt, wie es die früheren Pfarrer ebenfalls getan hatten.

Wie im ganzen Deutschen Reich, so liefen nun auch in Gronau die Massenveranstaltungen, die Reden, der ganze Aufwand der Propagandamaschinerie ab:

1. Mai 1933: Auf dem Platz vor der Schule hört man die Rede des alten Reichspräsidenten, der „in ergreifender Weise zur deutschen Jugend sprach. Der ganze Ort hatte Flaggenschmuck angelegt...“, damals wurde ja unaufhörlich geflaggt, „mit der schwarz-weiß-roten Fahne (die die Deutsch-Nationalen anlockt) „und der Fahne des ‚Dritten Reiches‘ (Clotz: d.h. des nationalsozialistischen).“ Und „Abends um 8 Uhr hörte man auf dem Platz (=Römer) die große Rede, die Hitler auf dem Tempelhofer Feld vor 1½ Millionen Arbeitern hielt.“

Es berührt seltsam, wenn man bald darauf die Schilderung eines Abends des Evangelischen Frauenbundes liest:

„Am 14. Mai fand hier im Konfirmandensaal ein evangelischer Frauenabend anläßlich des Muttertages statt. Auf das gemeinsam gesungene Lied 158, Vers 1-3, folgte die Deklamation des Vorspruchs: Heilig, heilig ist die Mutterliebe, das Gedicht: ‚Ob reichen Glücks dir auch beschieden‘ und die Ansprache des Pfarrers. Dann wurde Lied 414, V.1 gesungen. Aufsagen eines Gedichtes von Reinhold Braun und der Gedichte ‚Gute Nacht‘ und ‚Du hast gebetet, Kind‘ folgten. Die jungen Mädchen sangen: ‚Danket dem Herrn‘.“ Der Pfarrer liest die Erzählung: ‚Der dich behütet schläft nicht‘. Dann Lieder und Gedichte sowie die Verlesung einer kurzen Andacht. Der Abend fand bei den Frauen großen Anklang. Wenn aber bald darauf, am 21. Mai, der Eintrag zu lesen ist: „... wurde in der Kirche bekannt gemacht, daß die beabsichtigte weitere Sammlung für die ‚Evangelische Winterhilfe‘ auf staatliche Anordnung rückgängig gemacht werden mußte. Das Winterhilfswerk der Partei ist allein daseinsberechtigt“, so spricht daraus nicht gerade Übereinstimmung mit dem, was geschieht — und was folgen wird.

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Das Nationale Erntedankfest gehörte als neue Einrichtung zu den zahlreichen Nationalfeiertagen, die von nun an das deutsche Kalenderjahr füllten:

„Die Reichsregierung hat das Erntedankfest auf den 1. Oktober festgelegt und diesen Tag zum staatlichen Feiertag gemacht. Soll nun unser Erntedankfest, wie wir es stets in dankbarem Aufbliek zu Gott und in der Besinnung auf die Ernte, die unser Leben für das Reich Gottes bringen soll, gefeiert haben, auf diesen Termin einfach vorverlegt werden? Diese Frage mußte ich, sobald sie mir in meinem Innern gestellt war, verneinen. Ich fühlte mich gedrungen, zwischen dem deutschen Erntedanktag und dem christlichen Erntedankfest zu unterscheiden und gab dem gleich am Anfang der Predigt am Sonntag, dem 1. Oktober Ausdruck mit den Worten: „Auf Veranlassung der Reichsregierung begeht heute das ganze deutsche Volk das deutsche Erntedankfest. Anders als unser althergebrachtes Erntedankfest hat das deutsche Erntedankfest ganz besondere Beziehung auf das deutsche Bauerntum.“ Nach weiteren Passagen seiner Predigt über Bauerntum und Erntedank fährt Clotz fort (nicht Teil der Predigt):

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„Aber selbst solche Ausführungen geben dem deutschen Erntedankfest noch nicht den Charakter des christlichen! Das eigentliche christliche Erntedankfest wurde auf den Sonntag 3 Wochen später, den 22. Oktober, wann auch die Ernte im Wesentlichen eingebracht ist, gelegt. So haben wir hier, im Unterschied gewiß von der jetzt aufkommenden Weise, den alten Sinn und den alten Zeitpunkt des Erntedankfestes beibehalten.“

Ich lasse hier auch die farbige Beschreibung des eigentlichen Festverlaufes folgen, weil sie typisch ist für ähnliche Feste in den Anfängen der Nazizeit:

„Die, die am Morgen des 1. Oktober aus den Bergfilialen zum Gottesdienst kamen, sahen Gronau noch im Nebel liegen, während darüber die helle Morgensonne schien. Den Ort selbst aber sahen sie in reichem Fahnenschmuck. Im Gottesdienst sang die zahlreich versammelte Gemeinde unter Posaunenbegleitung „Nun lob, mein Seel, den Herren“. Je ein Chor von Schulkindern und jungen Mädchen verschönte die Feier mit zum Tage passenden Liedern. Der Festzug durch den Ort nach Zell setzte sich um 1 Uhr vom obersten Hause anfangend, in Bewegung, voran ein jugendlicher Schimmelreiter‚ Schulkinder, junge Mädchen, Ortsvorstand, Vereine, zuletzt die übrigen Ortsbewohner, inmitten des stattlichen Zuges der mit den Gaben des Herbstes geschmückte und beladene Erntefestwagen mit der Hakenkreuzfahne, davor die glänzend geschirrten Pferde. Unter frohen, vom Posaunenchor gespielten Weisen bewegte sich der Zug, während die Sonne allmählich über den Nebel triumphierte, die vielgewundene Straße nach Zell hinunter, vereinigte sich dort mit dem Zeller Festzug und uniformierten Abteilungen von Gliederungen der Partei — SA und SS — aus Bensheim und zog mit ihnen bis zur Eulerschen Papierfabrik und wieder zurück zur Vettersmühle.

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Musik, Trachten, Gesangsdarbietungen, Begrüßungsworte...

„...zogen die Gronauer Teilnehmer um 4 Uhr nach Gronau zurück, um dort im Gasthaus „Zum Odenwald“ die Übertragung der Reden des Reichsbauernführers Darre und des „Führers“, Hitlers, auf dem Bückeberge zu hören. Ein familienmäßiges Beisammensein am Abend mit Tanz beendigte das Fest. Aus alledem ließ sich erkennen, daß der Tag vorn Staate zu einem Volksfest, zu dem möglichst weite Kreise herangezogen werden und zu dem die Einzelanweisungen von der Partei und der Reichs-, Gau-‚ Kreis- und Ortsbauernführung gegeben werden, gestaltet worden ist. Der Tag führt die Menschen zusammen und soll an seinem Teil, ähnlich wie der 1. Mai, das Gefühl der Gemeinsamkeit, selbst zwischen Stadt und Land, stärken. Aber der rein religiöse Charakter des Festes, wie er früher bestanden hat, ist dahin. Der Tag wird trotz des Gottesdienstes keine Stille, keine ungestörte Sammlung und Besinnung, keine innere Tiefe mehr haben. Auch hier wieder der Vorgang fortschreitender Säkularisierung. Die Kirche hüte sich, diesem Vorgange auch selbst noch Vorschub zu leisten!“

Soweit diese Schilderung. Aus ihr kann mancherlei entnommen werden zum Thema, wie die Partei es verstand, die oft kritiklosen Bürger für sich zu gewinnen. Dann war es zu spät.

„Das eigentliche christliche Erntedankfest wurde, wie im Vorigen begründet ist, am 22. Oktober gefeiert. Nun war auch der Altar und der Chorraum der Kirche schön geschmückt.“ Die Ernte war gut, wenn auch nicht sehr gut.

1934 wird die Kirche zum IOOjährigen Jubiläum renoviert. Nach den Anweisungen von Prof. Walbe werden die zu erneuernden Objekte bestimmt, neben Schadhaftem auch vieles geschmacklich nicht mehr ansprechende, auch Bemalung und anderes. „Ein wertvolles Glasfenster aus der Zeit um 1500 befindet sich in einem Fenster des Schiffes. Infolge der Aufdringlichkeit der Musterung, die das ganze Fenster überzieht, ist die kostbare Scheibe in ihrem Wert ganz herabgedrückt.“

Die Emporenwände erhalten die Namen der Kriegsgefallenen mit den jeweiligen Daten. Im August wird die restaurierte Kirche wieder eingeweiht. „Im herrschaftlichen Stand hatten Ihre Durchlaucht der Fürst und die Fürstin zu Erbach-Schönberg, der Erbprinz und die Erbprinzessin und Prinzessin Helena (Hella) Platz genommen.“ Anschließend wurde die völlig erneuerte Fürstengruft mit vielen musikalischen Darbietungen und Predigten eingeweiht. Es ist zu vermerken, daß unter anderem der Schönberger Frauenchor den „Zvstimrnigen Gesang“...„Hebe deine Augen auf“ sowie eine Motette aus dem „Elias“ des Juden Felix Mendelssohn-Bartholdy aufführte. „Der Festtag wird denen, die ihn miterleben durften, unvergeßlich sein.“ Zu den verschiedenen gespendeten Gegenständen gehörte auch „ein gerahmtes Bild der alten gotischen Kirche und des alten Pfarrhauses, eine Zeichnung des Malers Vetter in König nach einem alten Kupferstich im Kupferstichkabinett in Berlin, der von einem Romantiker stammt.“

Diese Kopie hängt heute im Pfarrhaus.

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Die Schule, von 1903 bis 1926 zweiklassig‚ dann bei den gesunkenen Schülerzahlen einklassig, ist inzwischen auf 72 Schüler angewachsen. Trotzdem wird nur vorübergehend eine zusätzliche halbe Lehrerstelle bewilligt. Im wesentlichen bleibt sie unter Lehrer Helmreich, einklassig. Er muß außerdem die Amtsleitung der NSV betreuen.

In der Gemeindeverwaltung ist die Besetzung so aufgeführt:

Bürgermeister: Wilhelm Dingeldein I., Kaufmann, Kirchenvorsteher, (als Bürgermeister nur bis September 34 im Amt.)

Gemeinderat: Joh. Lenhart, kath., Schreiner
Franz Werner, Maurer
Valentin Filbert, Landwirt
Fritz Marquardt‚ Landwirt
Peter Pfeiffer IV, Landwirt und Arbeiter
Peter Stephan, Landwirt
Balthasar Keil IV, Landwirt (neuaposn)
Ludwig Keil IV.‚ Landwirt und Gastwirt
Wilhelm Marquardt, Landwirt
Beigeordneter: Heinrich Pfeiffer, Landwirt

Und: „Am 2. August 1934 schloß der allverehrte hochbetagte Herr Reichspräsident von Hindenburg, ‚der treue Eckhart des Deutschen Volkes‘ (...) die Augen...“ Über die Wahl vom 19. August schreibt der Chronist: „Die Abstimmung bei der Reichstagswahl, ..)‚ die keine Wahl nach Parteien mehr war, sondern Hitler und seiner Regierung die Zustimmung zu ihren bisherigen Maßnahmen und zu ihrem Vierjahresplan geben sollte...“ hatte für Gronau 359 Ja-Stimmen und 9 Nein-Stimmen.

Daß zu dieser Zeit-Jahresende 1934 — die Partei in manchen Bereichen noch tastend vorging‚ zeigt der Eintrag zur Adventsfeier der NS-Frauenschaft:

„Auch die NS-Frauenschaft hatte den Wunsch, eine Adventsfeier zu halten und baten den Pfarrer, die Adventsansprache zu halten, und die Pfarrfrau als Leiterin des Evang. Mädchenkreises mitzuwirken. (...) Die Feier (...) hatte eben infolge dieser Mitwirkung und dadurch, daß das Programm von uns aufgestellt wurde, einen durchaus christlichen Charakter. (...) Bürgermeister Lenhard (Nachfolger von W. Dingeldein) dankte in einigen Schlußworten.“

Im folgenden Jahr 1935 ändert sich die Lage: „Die nationalsozialistische Partei hat verfügt, daß die sogenannten „politischen Leiter“ kein kirchliches Amt bekleiden dürfen, sie müßten denn ihr Amt in der Partei niederlegen.“ Das würde aber als schwerwiegende Entscheidung gegen die Partei angesehen.

„Das liegt ganz in der Linie der Propaganda der ‚Deutschgläubigen‘. ‚Der totale Staat‘ geht seinen Weg (Bez. auf Rosenbergs Mythos) (...) So ist es an der Zeit, die Gemeindeglieder von der antichristlichen Propaganda, und ihren großen Gefahren in Kenntnis zu setzen‚...“.

Die Reichstagswahl von 1936 bringt in Gronau noch ganze sechs Stimmen gegen Hitler: „Die Abstimmung hatte von der Propaganda als inhaltliche Kennzeichnung den Namen ‚Volksabstimmung für Ehre, Freiheit und Frieden‘ erhalten.“

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Zwei weitere Einträge sind als zeittypisch zu vermerken: Da wird „Die Liebenzeller Krankenschwester Katharina (...) auf Veranlassung von Bürgermeister Lenhart durch die NSV-Schwester Thea Hoburg ersetzt.“ Und der Religionsunterricht der Lehrer wird zugunsten des Deutschunterrichts um eine Stunde gekürzt.

„Das Erntedankfest wurde am 4. Oktober, dem Zeitpunkt des ‚Deutschen Erntedankes‘ gefeiert.“ Offensichtlich hat man hier nachgegeben und auf einen gesonderten kirchlichen Termin verzichtet, denn der Pfarrer fügt erklärend hinzu:

„Es hat auch seine Schwierigkeiten, das Christlich-kirchliche Fest nachher zu feiern, besonders da man sich in den Pfarreien fast überall dem neuen Brauche des nationalen Festtermins angeschlossen hat. Aber beeinträchtigt wird das christlich kirchliche Fest durch die staatlichen und örtlichen Veranstaltungen, die sich ganz um das Politische, Materielle, Volkstümliche drehen, auf alle Fälle in starker Weise.“

Danach bringt er eine farbige Beschreibung der festlichen Veranstaltungen, in ähnlicher Weise wie wir es bereits einmal zitiert haben.

Das Jahr 1937 bringt folgenden interessanten Eintrag: „Seit einiger Zeit wird in einigen Gebieten („Gauen“) Deutschlands der Religionsunterricht der Pfarrer in der Schule durch staatliches Verbot aufgehoben...“ Da man das auch für Gronau fürchtet, wird von den Gronauer Frauen unter Leitung des Pfarrers eine Unterschriftensammlung in die Wege geleitet, die einer Eingabe an den „Führer“ Nachdruck verleihen soll.

Am 28. August „... ging die Unterschriftensammlung vor sich. Mit einer Ausnahme unterschrieben auch die Mitglieder der NS-Frauenschaft. Überall in den Häusern, in die die Sammlerin der Frauenhilfe, Frl. Lieschen Schmitt kam hieß es, daß das etwas Gutes sei, das man nur unterschreiben könne und gern unterschreiben wolle. 98 Namen standen bereits unter der Eingabe, als Frl. Lieschen in das Haus des Ortsgruppenleiters kam. Dieser nahm Einblick und erklärte die Eingabe sofort für beschlagnahmt, worauf sie von ihm der Kreisleitung in Bensheim, von dieser der Geheimen Staatspolizei übergeben wurde, wie sich bald zeigte.(...)“ 3 Tage darauf kam ein Gendarmeriebeamter ins Pfarrhaus und las uns ein Schreiben der Geheimen Staatspolizei vor, in dem es hieß: „Frau Pfarrer Clotz hat sich einer staatsfeindlichen Handlung schuldig gemacht. Sie ist wegen Aufreizung der Bevölkerung und volksverführerischer Zusammenrottung gegen Anordnung des Führers angeklagt. Von einer schweren Bestrafung wird für diesmal noch abgesehen, da ihr Mann Parteimitglied ist. Doch wird sie unter Bewachung gestellt, streng verwarnt und erhält öffentliches Redeverbot So haben wir erkennen müssen, daß irgendwelche noch so gut gemeinten Eingaben im Nationalsozialismus streng verboten sind. Das war eine schwere Enttäuschung.“

Wer dem Teufel... In der Folge ist von den „Anfeindungen von seiten der Partei“ wiederholt die Rede. Unter anderem wird auch der Erwerb der Kinderschule durch die evangelische Kirchengemeinde verhindert, den der Erbprinz angeboten hatte. Dann lesen wir — nach der Abstimmung über die Bestätigung der Annektion von Österreich (6 Nein-Stimmen): „Hitler hat nun auch den Pfarrern in Hessen den Religionsunterricht in der Schule verboten“, und „Am 22. April abends, nach einer Lehrerkonferenz, die den ganzen Tag über gedauert hatte, kam der hiesige Lehrer Val. Helmreich zu mir und teilte mir im Auftrage des Kirchenschulamtes mit, daß ich keinen Religionsunterricht mehr in der Schule zu geben habe...“

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Als Folge dieses Sachverhaltes wird für Vorkonfirmanden und Konfirmanden der ganzjährige Unterricht beschlossen. Der Versuch, in Schönberg einen Pfarrassistenten der „Deutschen Christen“ einzusetzen mißlingt, er wird versetzt, an seiner Stelle folgt ein „unpolitischer“ verheirateter Pfarrassistent.

Unter all den Einträgen, die sich mit den politischen Verhältnissen befassen, steht dann ein ganz „normaler“, rein menschlicher Vermerk: Am 24. 8. 1938 stirbt in Schannenbach der 95jährigeJoh. Vollrath. Er war Kriegsveteran von 1866 und 70/71 und „Teilnehmer der Belagerung von Metz und an den Schlachten von Gravelotte und Mars la Tour.“ Seine Beerdigung war die erste auf dem neuen Schannenbacher Friedhof. Bald darauf, Anfang 1939, zieht Lehrer Helmreich fort, weil er „. . ‚beständig vom Ortsgruppenleiter angefeindet wurde..“. Die kirchliche Gefalle-nen-Gedenkfeier wird aus Furcht vor Verbot durch Staat und Partei nicht mehr draußen am Gefallenendenkmal sondern in der Kirche abgehalten. „Es ist auch gut, daß dadurch ihr christlicher Charakter schon rein äußerlich dargetan wird.“

Zwar haben in Gronau nie Juden gewohnt, aber das Thema der Judenverfolgung ist offensichtlich auch hier, vor allem unter dem Eindruck der „Reichskristallnacht“ des Vorjahres, diskutiert worden:

„Am 19. Mai wurde meine Frau vom Mittagessen weggeholt und im Schulhaus bei vorgezogenen Vorhängen von 3 Beamten der Gestapo (...) einem weit über 1 Stunde dauernden Verhör unterzogen. (...) Sie war angeklagt, 1. sich gegen die Judenverfolgung gewandt und judenfreundliche Äußerungen getan zu haben, 2. sich gegen die beabsichtigte Aufhebung des evangelischen Kindergartens gewandt zu haben, 3. wegen ihres Austritts aus der NS-Frauenschaft. ..) dabei wurde ihr mit Verhaftung gedroht...“

Auch Pfarrer Clotz selbst wird anschließend verhört und unter anderem „Wegen staatsfeindlicher Äußerungen während der Predigten ...“. Die Anglegenheit hat aber keine erkennbaren Folgen für die Pfarrfamilie gehabt.

Der Kriegsausbruch:

„Alles andere tritt zurück vor dem Ausbruch eines neuen Krieges. Ein unabsehbares schreckliches Geschehen ist nun entfesselt und im Abrollen. (.. .) In der Nacht vom 25. auf den 26. August fanden bereits die ersten Einberufungen zum Heere statt, in Gronau 21, in Zell 31. In der ersten Nacht hatte der Bürgermeister die Gestellungspflichtigen zu benachrichtigen, in der Nacht noch hatten sie ihren Ort zu verlassen.“ Nun einige Einzelnotizen, die Licht auf die lokalen Verhältnisse dieses Jahres und des Anfangs von 1940 werfen:

„Sofort nach Beginn des Krieges wurden die bereit gehaltenen Karten für die Rationierung der Lebensmittel ausgegeben.“

„Das Sammelergebnis des Opfertages für die Innere Mission . war ein viel höheres, als im vorigen Jahre.“

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„ ...In diesem Jahre wird kein öffentliches Erntedankfest vom Staate aus gefeiert.“ Die Kirchenaustritte werden regelmäßig notiert: „Im ganzen Kirchspiel sind es bis jetzt 28 Personen...“. Unter den Ausgetretenen befindet sich auch der Erbprinz. „Das Patronatsrecht wird von seinem Vater, dem Fürsten Alexander ausgeübt.“

Und Ende 1940: „Ende April mußten die Kirchenglocken angemeldet werden, da sie für Heereszwecke beschlagnahmt worden sind.“ Die größte von 1706 kommt „in die dritte von 4 Gruppen, (...) die der Kirchengemeinde zunächst erhalten bleiben sollen.“

Von den beiden kleineren Glocken ist die kleinste nicht wieder zurückgeliefert worden.

Der Chronist bringt nun einige Ausführungen zur Kriegslage, obgleich er eingangs meint: „Die Kriegsereignisse können und sollen hier nicht im einzelnen zur Darstellung kommen.“ Er schreibt dann von den Angriffen auf „eine Reihe neutraler Staaten“ und lehnt die offizielle Begründung für derartiges Vorgehen ab, streift kurz die Ereignisse in Polen und Frankreich sowie die aufgegebene Absicht einer Invasion in England. Dann behandelt er — ebenfalls kurz — die Gefahren, die von einem Kriegseintritt der Amerikaner und Russen zu erwarten seien und von der ungewissen augenblicklichen Lage:

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„Der latente Kriegszustand zeigt sich auch darin, daß eine ganze Reihe von Soldaten vorübergehend mit Arbeitsurlaub nachhause entlassen worden sind, und außerdem darin, daß bisher aus dem ganzen Kirchspiel nur ein einziger, Balthasar Meister von Zell, in diesem Kriege sein Leben lassen müssen.“

Anfang Juli 1941 wird die evangelische Kinderschule endgültig „offensichtlich auf Anordnung der Partei“ vom Kreisamt mit sofortiger Wirkung geschlossen.

„Am Donnerstag, den 17. Juli, wurde der Betrieb des NS-Kindergartens begonnen Die Kinder müssen sich aufstellen, still dastehen, dann Wieder marschieren. Fast den ganzen Tag wird gesungen Die Liedchen enthalten meistenteils Vorstellungen aus dem Soldatenleben, dem Leben des Arbeitsdienstes oder beziehen sich auf Deuschland und den „Führer“. Für Schwester Berta war es ein sehr schmerzliches Erleben, die Jahrzehnte lang von ihr getriebene Arbeit aufgeben zu müssen.“

Um die Schwester am Ort zu halten, wird sie nun als Gemeindehelferin aufgestellt und mit einer ganzen Reihe von Aufgaben für die Kirchengemeinde betraut. Das zieht aber wiederum eine Menge von Auseinandersetzungen mit den Parteiorganen nach sich, Verbote und Drohungen, wobei über ganz ungenügende Unterstützung durch die Kirchenleitung geklagt wird.

Besondere Geschehnisse der folgenden Kriegsjahre können nur schlaglichtartig den Ablauf beleuchten:

In der Nacht vom 21. auf den 22. Juli 1941 werden zum ersten Male Brand— und Sprengbombenabwürfe vermeldet, im Wald zwischen Gronau und Oberhambach, „ein deutliches Zeichen, dal3 die Kriegsgefahren auch uns in der Heimat sehr nahe gerückt sind. In der Nacht vom 29. auf den 30. August wurde von einem feindlichen Flieger, trotz der allgemeinen Verdunkelung (d.h. Verhüllung der Fenster) eine Brandbombe auf die Ortsstraße in Gronau bei Johann Borger, Friedhofswärter, im Oberdorf geworfen.“

Zur Ernte schreibt der Chronist: „Gar manche Hoffnungen sind enttäuscht worden. Im Ganzen war es keine Mittelernte.“ Als Ursachen nennt er neben den vielen Kriegsteilnehmern, deren Arbeitskraft fehlt, die ungünstige Witterung, „die viele Arbeit erst später ermöglichte und Viele Arbeit in der Ernte selbst vergeblich machte.“ Dann nennt er den 13. Juli, an dem ein wolkenbruchartiger Regen mit Hagel niederging‚ und Regen, Hagel und Sturm vieles auf den Feldern niederlegten. „Weiterer Regen läßt das Getreide teilweise auswachsen und Körner ausfallen.“ Als Arbeitskräfte helfen die französischen Kriegsgefangenen.

„...sie arbeiten tagsüber auf den Höfen und Feldern, werden von den Bauern verköstigt und werden abends in das Kriegsgefangenenlager in den Räumen über der früheren Wirtschaft von Hebenstreit am Kirchplatz gebracht (die Fenster sind oben vergittert worden) oder gehen selbst dorthin; sie sind höflich und anständig, anstellig und arbeitswillig, ja fleißig, machen rein menschlich einen guten Eindruck...“.

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Zur Wehrmacht waren bis 1941 aus Gronau 67 evangelische Gemeindeglieder eingezogen; hinzu kommen noch einige, die aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen wieder entlassen wurden.

„Am 2. April (1942), gerade am Tag vor Karfreitag (I) ist uns die zweite und dritte Glocke weggenommen worden. (...) Sie hatten ein festgestelltes Gewicht von 177 kg und 57 kg.“

Am 12. Oktober ist der Schreiner Peter Böhm und am 26. November der Landwirt Georg Ludwig Keil, beide aus Gronau, gefallen.

Der folgende Eintrag für 1943 wirft einiges Licht auf das, was damals für die Jugend wichtig war:

„Um die staatlich festgelegte Eingliederung des ältesten Jungvolkjahrgangs in die Hitlerjugend nicht zu stören und wegen des Antritts der Lehrstellen durch die Knaben, des Pflichtjahres durch die Mädchen, mußte die Vorstellung der Konfirmanden schon am Sonntag Reminiscere (...) stattfinden.“

Und nun ein Vermerk, der die wachsende Gefahr von Luftangriffen verdeutlicht: „Das Landeskirchenamt hat angeordnet, daß die kirchlichen Archivalien und wichtigen gegenwärtigen Akten und Kirchenbücher bei Fliegerangriffen oder Fliegergefahr an verhältnismäßig sichere Orte (...) gebracht werden sollen. Wegen der Häufigkeit der Luftangriffe und des schnellen Eintritts der Gefahr muß aber der größte Teil des Inventars dauernd so untergebracht sein.“

Es werden darum 4 Kisten mit Tragegriffen angeschafft um diese Materialien aufzunehmen.

Nun mehren sich auch die „Massenüberflüge feindlicher Flugzeuge mit dem Ziel des Bombenabwurfs auf deutsche Großstädte“. Und weiter: „Der Konfirmandensaal in Gronau wurde vom 1. Oktober ab für Evakuierte aus der Großstadt beschlagnahmt. . .“, bald darauf auch belegt und dauernd bewohnt...

Als in Stalingrad eingeschlossen und vermißt werden genannt Friedrich Jakob Marquardt, Jungbauer, Anton Borger‚ Hans Mack und Philipp Vollrath. Gefallen sind Johann Philipp Metzger, Jungbauer und Franz Steinmann, Bäcker.

1944 mehren sich die Fliegerangriffe, nun auch auf Frankfurt, das „verglichen mit einer Anzahl von Großstädten“ bisher verschont geblieben war. Am 14. Februar trifft die Lehrerin Frl. Weisel aus Darmstadt mit ihrer Klasse von 44 10-1 1 jährigen Mädchen in Gronau ein. „Die Kinder wurden von den Familien, die sich selbst dazu angeboten hatten, freundlich aufgenommen, unentgeldlich. Die Kinder werden aber natürlich zu kleinen Dienstleistungen herangezogen.“ Als am Samstag, den 18. März eine Luftmine auf Unterhambach fällt, zerstört der Luftdruck 28 Scheiben in der Gronauer Kirche. Der Konfirmandenausflug muß nun unterbleiben, „da die Gefahr des Abwurfs von Bomben auf Züge oder ihre Beschießung (...) zu groß geworden ist.“ Am 13. April stürzen bei einem Luftkampf 2 amerikaniche Bombenflugzeuge bei Reichenbach und ein deutsches Jagdflugzeug zwischen Zell und Unterhambach ab.

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„In der Nacht vom l1. auf den 12. September ist Darmstadt das Opfer eines Massenangriffs feindlicher Bomber geworden, der in seiner Art alles bisher dagewesene übertraf. Selbst hier in Gronau sah man den durch die Brände getöteten Nachthimmel. (...) Durch die Katastrophe der uns Hessen so vertrauten und lieben Stadt, unserer Hauptstadt, sind dem ganzen Lande Wunden geschlagen (...) . Auch zu uns kamen viele Flüchtlinge aus Darmstadt, solche, die von hier stammen oder hier Verwandte haben. Es wurden dann auch Gedächtnisfeiern gehalten für einige Darmstädter, die ihren Angehörigen auf diese entsetzliche Art entrissen worden sind und deren Leichen nicht mehr geborgen und bestattet werden konnten.“ „In diesem Jahr sind die Einflüge von feindlichenn Bombengeschwadern eine fast täglich zu beobachtende Erscheinung geworden. . Manchmal in der Nacht hält das Motorengeräusch, wie ein nur selten schwächer werdendes dumpfes Brausen, unablässig über eine Stunde an.“

Wegen der „Jabos“ (:Jagdbomber) werden nun auch in den Dörfern die Alarmsirenen ernst genommen. Schulunterricht, Konfirmandenstunde und Gottesdienste werden durch Alarmsignale beunruhigt.

„In der Nacht, wenn man sich nicht durch eigene Sicht unterrichten kann, steht meist die Bevölkerung des ganzen Ortes, Einwohner und Evakuierte aus den Städten, mit den kleinen Kindern auf und begibt sich in die Schutzräume, Keller oder Stollen, die nach unten in die Seiten der tiefen Hohlwege gegraben sind...“

Es folgen Schilderungen von Alarmen, Bombenabwürfen in der Nähe, von Vorund Hauptalarmen ... Dann beschreibt der Pfarrer eine Bombardierung von Mainz, die er selbst miterlebt hat.

An gefallenen Gronauern des Jahres nennt der Chronist Christian Heinrich Lippe, Philipp Hörr, Ludwig Kraus, Peter Metzger, Christian Philipp Weiß und seinen eigenen Sohn Werner Clotz.

Die Einträge für das Jahr 1945 hat Pfarrer Clotz offensichtlich erst nach der Kapitulation vorgenommen: Am 23. Februar geht eine Fliegerbombe am Hohlweg zur steinernen First nieder, hunderte von Fensterscheiben, darunter 85 Scheiben der Kirche gehen zu Bruch. Im Februar und März fallen Bomben auf Scheuerberg. Zwei Beerdigungen müssen zwischen Fliegeralarmen vorgenommen werden. Diejenige von Balthasar Thierolf, Bäcker, wurde gleich auf dem Thierolfschen Hof zelebriert, da eine große Menschenansammlung im Freien zu gefährdet gewesen wäre. Dann folgen die Luftangriffe auf die größeren Städte und Großstädte, fortlaufende Alarme.

„Der letzte Tag, an dem die Fliegeralarme waren, bevor die Amerikaner einrückten, der 25. März, ein Sonntag, war der schlimmste. Morgens um 7 Uhr gab es Hauptalarm. Und dieser hielt den ganzen Tag über an. (...) Kein Wunder, daß das Einrücken der Amerikaner mit Ungeduld erwartet wurde. Hätte man dies aber ausgesprochen, so, daß es der Gestapo, die ja von Darmstadt nach Bensheim verlegt worden war, (ergänzen: zu Ohren gekommen wäre), man hätte noch in den letzten Tagen sein Leben verloren, man wäre abgeführt und standrechtlich erschossen worden.“

„Die kleinen deutschen Abteilungen, oder vielmehr Reste von Abteilungen, die auf der großen Flucht (...) der Vernichtung oder Gefangennahme entgangen waren (...) fuhren die Autos in die Scheunen und unter die Schuppen (...). Überall klagten die Offiziere und Soldaten, daß sie nirgends willkommen wären und sogar hie und da unfreundlich von der Bevölkerung empfangen worden wären. Am 18. (März) fuhren feindliche Panzer bereits durch Beedenkirchen und Wurzelbach.“

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„Am 24. (März) kam die letzte Post an. Dann blieb sie aus, wegen völliger Einstellung des Eisenbahnverkehrs. An diesem Tage wurden auch die französischen Kriegsgefangenen odenwaldeinwärts gebracht. Jahre lang hatten sie hier, wie auch in Zell, in der Landwirtschaft geholfen. Man war im Ort sehr zufrieden mit ihnen gewesen. Sie waren auch, von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, von den Arbeitgebern gut behandelt worden. Man ließ sie mit der Familie am Tisch mitessen, obwohl dies vom Hitler-Regime, jetzt kann man ja der Wahrheit gemäß sprechen und schreiben, nachdrücklich verboten war.

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Auch Einberufungen zum „Volkssturm“ wurden in Gronau vorgenommen: Fritz Dingeldey‚ Philipp Laut und Jacob Filbert: „Dingeldey rückte am 25., Sonntag Abend aus, Laut und Filbert Montag früh, in den Wald.“ Am 26. März schießt amerikanische Artillerie in den Hohensteiner Wald, „nun wußten wir, daß wir in Reichweite der feindlichen Artillerie waren...“ Unter dem Befehl eines SS-Majors Seydlitz rückt eine Gruppe von etwa 80 Mann in Gronau ein, in der Absicht, das Dorf zu verteidigen. Ihm Widersetzt sich der amtierende Bürgermeister Meyer mannhaft. Im Schulhaus und im Pfarrhaus liegen Verwundete. Auch nicht verwundete Soldaten haben sich hie und da versteckt. Fuhrunternehmer Peter Deichert fährt 6 Verwundete nach Bensheim. Schließlich zieht die „Kampfgruppe“, aufgeteilt in kleine Gruppen, nach und nach ab. Nun konnte endlich eine „Panzersperre“ im Unterdorf beseitigt werden. „Christian Weiß IX, Zimmermann, sein Sohn Rudi und Georg Krämer, Metzger, (...) taten dies dann auch. Auf Aufforderung eines zurückgebliebenen Oberstabsarztes‚ „so schnell wie möglich die weiße Fahne zu hissen, vor allem auf dem Kirchturm (...) Es dürfe nicht Tag Werden, ohne daß dies geschehen sei . . geschah auch das. „Dies zu Wissen, war für alle im Ort eine große seelische Entspannung. Nun konnte man sich getrost zur Ruhe begeben...“

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„Der Morgen des Mittwoch, des 28. März graute. Es wurde hell. Aber kein Amerikaner ließ sich blicken. Erst um 10 Uhr fuhren die amerikanischen Panzer, von Heppenheim über Unterhambach, durch den Bismarckweg in Zell kommend, schnell und geräuschlos, wie sie sind, in Gronau ein. Die deutschen Soldaten, die zum ersten Mal wohl seit vielen Tagen wieder ruhig hatten schlafen können, kamen aus den Kellern und wurden von ganz wenigen Amerikanern, kaum daß ein Wort oder gar ein lautes Wort fiel, bedeutet, die Straße hinabzugehen‚ zum Abtransport.“ Von den Amerikanern wurde zunächst als kommissarischer Bürgermeister der Altkommunist Joseph F aller, der „Schweizer“ eingesetzt. Ihm folgte für vielejahre der Landwirt Jakob Heß. Um die Person des Pfarrers Clotz gab es noch unerfreuliche Auseinandersetzungen, war er doch seit 1930 Parteimitglied gewesen. Er wird suspendiert und zunächst von Pfarrer Bock, von 1947 bis 49 von Pfarrer Adam vertreten. Clotz wird dann in eine andere Gemeinde versetzt. Sein Amt übernimmt 1964 Pfarrer Balz.

Wir wollen an dieser Stelle die Beschreibung der Vergangenheit unseres Dorfes abschließen. Die neue Zeit, die nach dem Zweiten Weltkriege heraufzog‚ hat es — wie allenthalben — grundlegend verändert. Zunehmend wandelte sich das Bauerndorf. Nur noch wenige Felder zeigen im Sommer das Gelb des Getreides. Die Feldwege wurden asphaltiert, notdürftig werden die Flächen von Fleischkühen vor dem völligen Verwildern bewahrt. Im Dorfe sind viele alte Häuser verschwunden, andere aber sehr schön restauriert worden, während eine dritte Gruppe noch auf Restauration wartet. Neue Viertel wurden gebaut, neue Bewohner zogen ein — wie es ja nach Kriegen immer wieder eine neue Bevölkerung gegeben hat. Diesmal waren es vor allem Flüchtlinge aus den Ostgebieten. —— Nur noch wenige Menschen finden hier ihre Arbeit: Die Autokolonnen der auswärts tätigen Gronauer beleben eine neue Straße, die 1957 von Zell herauf gebaut wurde. Gronau wurde Ortsteil der Stadt Bensheim, eine neue Schule entstand, und mehr denn je herrscht reges Leben in einer blühenden Gemeinde.

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Inhaltsverzeichnis

 1. Gronau im Laufe der Jahrhunderte
 2. Geschichtliche Anfänge
 3. Der alte Ortskern: Kirche, Pfarrhaus und Hof
 4. Gronau als Kirchspiel
 5. Die Dorfbewohner im 16. Jahrhundert (26)
 6. Recht und Ordnung
 7. Die Gronauer Fluren
 8. Die Dorfanlage bis zum 30jährigen Krieg
 9. Das Dorf im 30jährigen Krieg
10. Die Zeit nach dem Kriege bis zum Ende des 17. Jahrhunderts
11. Die Jahrhundertwende um 1700 und der Anfang des 18. Jahrhunderts
12. Das Handwerk in Gronau im 17. und 18. Jahrhundert
13. Aus dem Dorfleben im 18. Jahrhundert
14. Der Gronauer „Holzkrieg“
15. Die bürgerliche Gemeinde im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts
16. Das Kirchspiel Gronau im 19. Jahrhundert
17. Der Anfang unseres Jahrhunderts und der Erste Weltkrieg
18. Das Dorf zur Zeit der ersten deutschen Demokratie
19. Gronau zur Zeit Hitlers bis zum Ende des 2. Weltkrieges Top

Quellennachweis und Anmerkungen

(G.Bl. = Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße)

Nr.

  1. Beitrag im BA v. H. Gerd Bauer, aus den 60er Jahren
  2. Es soll zu diesem Thema eine Dissertation an unbekannter Universität existieren
  3. G.Bl. 18/187 (Kühner-Kunz: Gemarkung Gronau), zu „Obere Au“ s.
    Schatzungsregister V. 1715 nach R. Reutter
  4. G.Bl. 14/5 (Nitz: „Siedlungstätigkeit d. Lorscher Benediktiner“)
  5. n. Meier-Arendt‚ Inventar der Bodendenkmäler, Heft 4/1968 (Nrn. 4390 u.
    4389, Mittelrhein. Landesmuseum, Mainz)
  6. Stadtarchiv Bensheim, Gemarkungsbuch — J1 — nach R. Kunz
  7. s. Anm. 3/G.B1. 18
  8. Lorscher Codex, Urk. Nr. 3812 u. 3836
  9. frdl. Mitteilg. v. R. Kunz
  10. R. Kunz: 600 Jahre Pfarrkirche Gronau, in BA 1980/6
  11. frdl. Mitteilung v. R. Kunz
  12. frdl. Mitteilung v. R. Kunz
  13. s. Anm. 3/G.Bl. 18
  14. frdl. Mitteilung v. R. Kunz
  15. G.Bl., Sonderband 6 1983, „Südhessische Chroniken“
  16. s. Skizze v. Architekt Ignatz Opfermann, nach 1832 mit neuer Kirche u. altem
    Rathaus. — Der über den Dorfplatz fließende Bach ist sonst nicht zu belegen.
  17. lt. Daniel Schneider, Urk. Nr. 55 (bei Dammann, 1914)
  18. Schatzungsregister v. 1715, nach Dr. R. Reutter
  19. G.Bl. 18/222, R. Kunz: Die Kirche in Gronau b. Bensheim
  20. G.Bl. 15/204, E. Kühner: Der „Hof“ zu Gronau b. Bensheim
  21. Reg. v. Martin Knapp, S. 33a, Eintrag um 1519
  22. hierüber: W. Rösener, Bauern im Mittelalter, Beck, München 1987
  23. s. Anm. 3, G.Bl. 18
  24. M. Knapp, S. 32
  25. n. R. Kunz: „Die älteste Kirchenordnung der Grafschaft Erbach“
  26. hierzu: „Die Einwohner in Gronau an der Bergstraße im 16. Jahrhundert“ v.
    Th. Peters in „Mitteilungen der Hessischen Familiengeschichtl. Vereinigung“
    Darmstadt 1940, Bd. 6 Heft 3
  27. R. Kunz im BA 1982 9: „Die ältesten Einwohnerlisten von Gronau“, n.
    Demandt, Regsten — Bd. II S. 871
  28. s. Anm. Nr. 26, Th. Peters
  29. dtv-Atlas zur deutschen Sprache. S. 197
  30. s. Anm. Nr. 15 (Chroniken)
  31. K. Herrmann: „Die Gronauer Familien (1551-1648), Fortsetzung von HFK
    (1970) 13-20
  32. BA 1982/9, R. Kunz, „Die Pest zu Gronau“, — auch Mollat: „Die Armen im
    Mittelalter“, Beck Verl. S. 179 ff.
  33. Hier u. in den folgenden Einwohner-Statistiken Auszüge aus G.Bl. 18: Kunz:
    Bevölkerungsentwicklung in Gronau
  34. s. Anm. 26, Th. Peters
  35. G.Bl. 10: Kunz: Rechtsordnungen: „Die Gronauer Haingerichtsordnung“,
    1765 erneuert
  36. s. Anm. Nr. 15 (Chroniken)
  37. n. Killinger: Die ländliche Verfassung der Grafschaft Erbach, Straßburg 1912
  38. G.Bl. 10, Kunz: „Steinsetzerordnung in der Grafschaft Erbach (vor 1698)“ und
    Gronauer Pfarrarchiv
  39. Wegekarte der Gemarkungen Zell u. Gronau v. J. Wilh. Grimm aus Jahre 1737,
    neu aufgefunden v. Dr. R. Reutter‚ jetzt Stadtarchiv Bensheim
  40. aus R. Kunz: „Die ältesten Bensheimer Grenzsteine“ lt. Gemarkungsbuch im
    Stadtarchiv Bensheim /Jl+ von etwa 1586
  41. s. hierzu: Heinrich Winter: „Das Bauernhaus im südlichen Odenwald“ 1957 u.
    Dr. R. Reutter „Haus und Hof im Odenwald“ 1988 und W. Rösener: „Bauern
    im Mittelalter“ 1986
  42. Pfr. Dr. Haupt in „Chronik der evangelischen Pfarrei Gronau“, angefangen
    1858, S. 35
  43. Wackerfuss in „Kultur und Geschichte des Odenwaldes“ 1976
  44. G.Bl. 20/127 (Gronauer Mühlen)
  45. s. Anm. Nr. 15
  46. Vollständig in G.Bl. 16/983
  47. s. Anm. 42, S. 95-105
  48. lt. frdl. Mitteilung v. Dr. W. Rein, Michelstadt
  49. s. Anm. Nr. 42, S. 93ff.
  50. v. Ehep. Ludwig Keil, Gronau freundl. z. Verfügung gestellt
  51. s. Anm. 42, S. 96ff., ferner Dammann, Kulturdenkmäler, 1914, zum Thema
    „Orgelpfeifen“, zu „Große Glocke“, Brief im Pfarrarchiv
  52. s. Anm. 44 (Gronauer Mühlen), Bannbrief n. Kunz
  53. s. Anm. 44 (Gronauer Mühlen)
  54. G.Bl. 19/280: Beschreibung des Instruments n. Kunz
  55. R. Matthes, Der Gronauer Holzkrieg, in BA-Heimatblätter v. 15. 1. 195.,
    Arch. H. (S. 101ff.)
  56. G.Bl. 13/1980, S. 292: R. Reutter über Amt Schönberg
  57. R. Kunz: Hessen nimmt Besitz V. Amt Schönberg (1806)
  58. G.Bl. 14/81: U. Cartharius, „Die Volksbewegung im Odenwalde, insbesondere
    die Standesherrn betreffend“
  59. G.Bl. 13/80, S. 103: R. Reutter: „J. Adam Dingeldey, der Lebensweg eines
    Odenwälders vom Hütejungen zum Kammerdirektor“
  60. Der diese Thematik behandelnde Briefwechsel der Gronauer Pfarrer Simon,
    Nies, Dr. Haupt u. Sehrt liegt im Gronauer Pfarrarchiv.
  61. n. Dammann, Kunstdenkmäler Hessens v. 1914 sei lt. Luck die Gronauer
    Kirche schon 1773 als „baufälliges Gebäude“ bezeichnet worden. Sie sei auch zu
    klein, da Zell und Gronau eine Kirchengemeinde bilden.
  62. Wie die Skizze des Dorfzentrums wurden auch die architektonischen Risse dem
    Gronauer Pfarramt von Herrn R. Opfermann, Bensheim, frdl. z. Verfügung
    gestellt.
  63. Von hier an beruhen meine Berichte Vorwiegend auf den Einträgen in der
    Gronauer Pfarrchronik (s. Anm. 4.2).
  64. BA v. 23. 2. 1950 (dg), von Ehepaar Toll, Gronau‚ frdl. z. Verfügung gestellt.

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